BGH Urteil v. - I ZR 167/21

Umfang der Prüfung der technischen Funktion eines Gemeinschaftsgeschmackmusters - Tellerschleifgerät

Leitsatz

Tellerschleifgerät

Die gemäß Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGV) erforderliche Prüfung, ob Erscheinungsmerkmale ausschließlich durch die technische Funktion des Erzeugnisses bedingt sind, ist für jedes den Gesamteindruck prägende Merkmal gesondert anhand aller für den Einzelfall maßgeblichen objektiven Umstände vorzunehmen (Bestätigung von , GRUR 2018, 612 = WRP 2018, 546 - DOCERAM; Urteil vom - C-684/21, WRP 2023, 434 - Papierfabrik Doetinchem; , GRUR 2021, 473 = WRP 2021, 196 - Papierspender).

Gesetze: Art 8 Abs 1 EGV 6/2002

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 6 U 40/20 Urteilvorgehend LG Frankfurt Az: 2-03 O 202/19nachgehend OLG Frankfurt Az: 6 U 40/20 Urteil

Tatbestand

1Die in Luxemburg ansässige Klägerin ist Inhaberin des Gemeinschaftsgeschmacksmusters mit der Registernummer 000713284-0001. Im Register sind folgende sieben Darstellungen hinterlegt, die ein Tellerschleifgerät zeigen:

2Die Beklagten boten ein von der Streithelferin geliefertes Tellerschleifgerät (nachfolgend auch: Verletzungsmuster) an, in dem die Klägerin eine Verletzung ihres Gemeinschaftsgeschmacksmusters (nachfolgend: Klagemuster) sieht:

3Nach erfolgloser Abmahnung hat die Klägerin die Beklagten auf Unterlassung des Anbietens, Bewerbens und Inverkehrbringens des vorstehend wiedergegebenen Verletzungsmusters, Auskunftserteilung, Zahlung von Abmahnkosten und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Beklagten antragsgemäß verurteilt (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom - 6 U 40/20, juris). Mit ihren vom Senat zugelassenen Revisionen, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, wollen die Beklagten und ihre Streithelferin die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts erreichen.

Gründe

5A. Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren relevant - ausgeführt:

6Wegen der vorhandenen Mustervielfalt sei von einem weiten Gestaltungsspielraum und damit nicht mehr nur von einem durchschnittlichen, sondern einem weiten Schutzumfang des Klagemusters auszugehen. Die von der Klägerin zum vorbekannten Formenbestand vorgelegten Tellerschleifgeräte unterschieden sich mit Blick auf ihre - durch nicht technisch bedingte Merkmale hervorgerufene - Erscheinung augenscheinlich vom Klagemuster.

7Das von den Beklagten angebotene Tellerschleifgerät verletze den Schutzumfang des Klagemusters. Das Landgericht habe sich zu sehr auf die Rückansicht beider Designs und die Lüftungs- und Kühlrippen beim Verletzungsmuster konzentriert und damit den sich aufdrängenden Gesamteindruck beider Gestaltungen aus den Augen verloren. Zudem habe es die farblichen Unterschiede einbezogen, obwohl das Klagemuster im Register ausschließlich schwarz-weiß dargestellt sei. Abweichend von der Merkmalsgliederung der Klägerin sei von folgenden prägenden ästhetischen Merkmalen des Klagemusters auszugehen:

1. Aufbau, bestehend aus einem Motorgehäuse und einem kontrastierend abgesetzten, in das Gerät integrierten Gerätefuß;

2. der obere Teil des Motorgehäuses sitze auf dem Gerätefuß auf und umrahme zugleich den sichtbaren oberen Teil des Schleiftellers, dessen untere Hälfte im Gerätefuß eingelassen sei;

3. in den Gerätefuß sei eine kontrastierend abgesetzte Schleiftischhalterung integriert;

4. mit der Schleiftischhalterung sei ein variabel verstellbarer Schleiftisch verbunden;

5. der Schleiftisch werde durch eine beidseitig vorhandene, halbmondförmige Führung gehalten, die mit einem Langloch versehen sei und in eine die Form der Führung nachahmende Vertiefung im Gerätefuß weitergeführt werde;

6. auf einer Seite des Gehäuses - etwa in Höhe des Schleiftischs - finde sich ein kontrastierend abgesetzter Knopf;

7. der harmonische Gesamteindruck werde verstärkt durch die klaren Proportionen des Klagemusters, wobei sich das Gerätegehäuse auf etwa 2/3, der waagrechte Schleiftisch auf etwa 1/3 der Gesamtlänge erstreckten.

8Das Verletzungsmuster übernehme alle sieben prägenden gestalterischen Merkmale. Die gleichwohl vorhandenen Unterschiede seien nicht geeignet, beim informierten Benutzer einen abweichenden Gesamteindruck zu erwecken. Entscheidend seien dabei das Verhältnis der Proportionen der einzelnen Bauelemente zueinander, die Grundform des Gehäuses sowie der variable Schleiftisch mit der markanten halbmondförmigen Halterung, die bei beiden Designs annähernd gleich seien. Das Verletzungsmuster wirke letztlich wie eine "intelligente Kopie", bei dem das Klagemuster als Vorlage gedient habe und durch kleinere Hinzufügungen ein abweichender Gesamteindruck hergestellt werden solle, was aber nicht gelungen sei. Die von den Beklagten und der Streithelferin in der mündlichen Verhandlung nochmals dargestellte Auffassung, eine Tellerschleifmaschine mit den gestellten Anforderungen könne aus technischen Gründen nicht anders aussehen, überzeuge nicht. Der Entwerfer des Verletzungsmusters habe den - insbesondere im Hinblick auf die Gehäuseverkleidung und die Gestaltung des variablen Schleiftischs - gegebenen weiten Gestaltungsspielraum bei der Formgebung nicht genutzt.

9Auch die geltend gemachten Folgeansprüche stünden der Klägerin zu.

10B. Die Revisionen der Beklagten und der Streithelferin haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

11I. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist auch unter Geltung des § 545 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen. Für die vorliegende Verletzungsklage nach Art. 81 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGV) folgt sie aus Art. 82 Abs. 1 GGV. Die Beklagten haben ihren Sitz in Deutschland. Die ausschließliche sachliche Zuständigkeit nach Art. 81 Buchst. a GGV erfasst neben dem Unterlassungsanspruch auch Klagen über Nebenansprüche, die aus einer Verletzung des Gemeinschaftsgeschmacksmusters erwachsen. Hierzu gehören Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht (vgl. , GRUR 2018, 832 [juris Rn. 11] = WRP 2018, 950 - Ballerinaschuh) sowie auf Erstattung von Abmahnkosten.

12II. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Unterlassungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagten nach Art. 89 Abs. 1 Buchst. a GGV nicht bejaht werden.

131. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass nach Art. 85 Abs. 1 Satz 1 GGV im Verletzungsverfahren von der Rechtsgültigkeit des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters auszugehen ist. Dies bedeutet zum einen, dass das Vorliegen der Schutzvoraussetzungen (Art. 4 Abs. 1 GGV) der Neuheit (Art. 5 GGV) und der Eigenart (Art. 6 GGV) zu unterstellen ist. Zum anderen ist davon auszugehen, dass das Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht wegen ausschließlich technischer Bedingtheit sämtlicher relevanter Erscheinungsmerkmale (Art. 8 Abs. 1 und 2 GGV; vgl. , GRUR 2021, 473 [juris Rn. 9] = WRP 2021, 196 - Papierspender) oder wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten (Art. 9 GGV) schutzunfähig ist.

142. Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GGV gewährt das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster seinem Inhaber das ausschließliche Recht, es zu benutzen und Dritten zu verbieten, es ohne seine Zustimmung zu benutzen. Der Umfang des Schutzes aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster erstreckt sich nach Art. 10 Abs. 1 GGV auf jedes Geschmacksmuster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt. Die Prüfung, ob ein Modell in den Schutzbereich eines Geschmacksmusters eingreift, erfordert, dass der Schutzumfang des Geschmacksmusters bestimmt sowie sein Gesamteindruck und derjenige des angegriffenen Modells ermittelt und verglichen werden (vgl. , GRUR 2019, 398 [juris Rn. 12] = WRP 2019, 464 - Meda Gate, mwN). Auch hiervon ist das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen.

153. Mit Erfolg wenden sich die Revisionen der Beklagten und der Streithelferin gegen die Bestimmung des Schutzumfangs des Klagemusters durch das Berufungsgericht. Soweit das Berufungsgericht einzelne für den Gesamteindruck prägende Erscheinungsmerkmale des Klagemusters als nicht ausschließlich technisch bedingt erachtet hat, hat es den diesbezüglichen Vortrag der Beklagten und der Streithelferin nicht erschöpfend gewürdigt.

16a) Bei der Beurteilung des Schutzumfangs ist der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung seines Geschmacksmusters zu berücksichtigen (Art. 10 Abs. 2 GGV). Eine geringere Musterdichte und damit ein großer Gestaltungsspielraum können zu einem weiten Schutzumfang des Geschmacksmusters führen. Der Schutzumfang hängt demnach vom Abstand des Klagemusters zum vorbekannten Formenschatz ab. Dieser Abstand ist durch einen Vergleich des Gesamteindrucks des Klagemusters und der vorbekannten Formgestaltungen zu ermitteln. Je größer der Abstand ist, desto größer ist der Schutzumfang des Klagemusters zu bemessen. Der anerkannte Grundsatz, dass der Schutzumfang eines Geschmacksmusters von dessen Abstand zum vorbekannten Formenschatz abhängt, gilt auch für die Bestimmung des Schutzumfangs eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nach Art. 10 Abs. 2 GGV (vgl. BGH, GRUR 2019, 398 [juris Rn. 14] - Meda Gate).

17Allerdings besteht ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster nach Art. 8 Abs. 1 GGV nicht an Erscheinungsmerkmalen eines Erzeugnisses, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind. Eine Übereinstimmung in solchen Merkmalen kann eine Verletzung des Schutzbereichs eines Geschmacksmusters nicht begründen. Ihnen kann daher auch für die Bestimmung des Gesamteindrucks eines Geschmacksmusters keine entscheidende Bedeutung zukommen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist für die bei Anwendung des Art. 8 Abs. 1 GGV vorzunehmende Beurteilung, ob Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, zu ermitteln, ob diese Funktion der einzige diese Merkmale bestimmende Faktor ist. Die Vorschrift schließt den geschmacksmusterrechtlichen Schutz für Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses aus, wenn Erwägungen anderer Art als das Erfordernis, dass dieses Erzeugnis seine technische Funktion erfüllt, insbesondere solche, die mit der visuellen Erscheinung zusammenhängen, bei der Entscheidung für diese Merkmale keine Rolle gespielt haben, und zwar auch dann, wenn es andere Geschmacksmuster gibt, mit denen sich dieselbe Funktion erfüllen lässt (, GRUR 2018, 612 [juris Rn. 32 = WRP 2018, 546 - DOCERAM; Urteil vom - C-684/21, WRP 2023, 434 [juris Rn. 20] - Papierfabriek Doetinchem; BGH, GRUR 2021, 473 [juris Rn. 10] - Papierspender).

18Das nationale Gericht hat für die Beurteilung der Frage, ob die fraglichen Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses im Sinne dieser Vorschrift ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, alle objektiven maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Die Beurteilung ist insbesondere mit Blick auf das fragliche Geschmacksmuster, auf die objektiven Umstände, aus denen die Motive für die Wahl der Erscheinungsmerkmale des betreffenden Erzeugnisses deutlich werden, auf Informationen über dessen Verwendung oder auch auf das Bestehen alternativer Geschmacksmuster, mit denen sich dieselbe technische Funktion erfüllen lässt, vorzunehmen, soweit für diese Umstände, Informationen oder Alternativen tragfähige Beweise vorliegen (EuGH, GRUR 2018, 612 Rn. 38 - DOCERAM; EuGH, WRP 2023, 434 [juris Rn. 22 f.] - Papierfabriek Doetinchem; BGH, GRUR 2021, 473 [juris Rn. 11] - Papierspender). Ein ästhetischer Gehalt gehört nicht zu den Schutzvoraussetzungen eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters (vgl. EuGH, GRUR 2018, 612 [juris Rn. 23] - DOCERAM; BGH, GRUR 2021, 473 [juris Rn. 12] - Papierspender).

19Die Darlegungs- und Beweislast für einen Schutzausschluss nach Art. 8 Abs. 1 GGV obliegt der Partei, die sich darauf beruft; es kommt jedoch eine sekundäre Darlegungslast des Designinhabers für in seiner Sphäre liegende Umstände in Betracht (vgl. BGH, GRUR 2021, 473 [juris Rn. 27 f.] - Papierspender). Die Prüfung ist für jedes Erscheinungsmerkmal gesondert vorzunehmen (vgl. BGH, GRUR 2021, 473 [juris Rn. 32] - Papierspender).

20b) Bei der nach Art. 8 Abs. 1 GGV vorzunehmenden Beurteilung, ob Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses nach den für den Einzelfall maßgeblichen objektiven Umständen ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, handelt es sich um eine tatgerichtliche Würdigung. Sie ist vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüfbar, ob das Tatgericht einen zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt, nicht gegen Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen und keine wesentlichen Umstände unberücksichtigt gelassen hat (vgl. BGH, GRUR 2021, 473 [juris Rn. 21] - Papierspender). Solche Rechtsfehler liegen im Streitfall vor.

21c) Das Berufungsgericht ist zwar im Wesentlichen von den genannten Grundsätzen ausgegangen. Es hat jedoch den Vortrag der Beklagten und der Streithelferin nicht vollständig in die gebotene Würdigung aller für den Einzelfall maßgeblichen objektiven Umstände einbezogen, die für jedes den Gesamteindruck prägende Merkmal gesondert vorzunehmen ist.

22aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, der runde Schleifteller, der davor angebrachte Schleiftisch, ein Motor zum Antrieb des Schleiftellers sowie ein Gerätefuß oder eine vergleichbare Standvorrichtung seien technisch bedingt.

23Nicht technisch bedingt seien die konkrete Gestaltung von Schleiftisch und Gerätefuß sowie die Anordnung des Motors hinter dem Schleifteller; ebenfalls denkbar sei eine seitliche Anordnung. Nicht technisch bedingt sei zudem, welches Größenverhältnis die einzelnen Bauelemente zueinander hätten sowie ob und wie sie durch Gehäuse verkleidet würden. Dies gelte auch für die Anordnung von Bedienelementen und die farbliche Gestaltung. Diese Gestaltungselemente folgten ersichtlich nicht rein funktionalen Erwägungen, sondern dienten einem harmonischen Gesamteindruck einer kompakten und durchaus elegant gestalteten Schleifmaschine. Ansprechend wirke hierbei auch die halbkreisförmige Führungseinrichtung für den beweglichen Schleiftisch, die letztlich die Formensprache des Schleiftellers aufgreife.

24Der variabel verstellbare Schleiftisch sei nicht ausschließlich technisch bedingt. Es seien andere Mechanismen vorstellbar, die es ermöglichen könnten, eine Neigung des Tischs zu erreichen. Die sichtbar gestaltete halbkreisartige Form von Führungsschiene und Führungsnut als Langloch greife die Formensprache des Schleiftellers auf und wirke ästhetisch ansprechend. Die Funktion von Führungsschiene und Langloch sei für den informierten Benutzer erkennbar.

25bb) Die Beklagten haben vor dem Landgericht vorgetragen, jedes elektrisch betriebene Tellerschleifgerät müsse aus technischen Gründen einen runden Schleifteller, einen dahinter liegenden Motor mit einem diesen umgebenden Gehäuse, einen davor liegenden Schleiftisch und einen Gerätefuß haben. Die Form und Dimension der Bauteile sowie deren Anordnung zueinander seien technisch vorgegeben.

26Die Streithelferin der Beklagten hat hierzu ergänzt, die technische Konstruktion des Klagemusters und des angegriffenen Modells zeichneten sich durch ihre Kühlluftführung aus. Der Motor sei nicht in einem zusätzlichen, verrippten Kühlgehäuse aus Metall untergebracht, sondern trage auf seiner frei nach außen ragenden Motorwelle ein nacktes Lüfterrad. Der einfache, kompakte und billige Motor müsse in einem Gehäuse untergebracht sein, damit der Kühlluftstrom durch das Innere des Motors gezogen werde. Um den Kostenvorteil des Motors nicht wieder zu verlieren, komme dafür nur ein preisgünstiges Kunststoffgehäuse in Betracht. Das Kunststoffgehäuse müsse einen definierten Raum ausbilden, der zum Aufbau einer hinreichenden gehäuseinternen Luftbewegung führe. Zum Schleifteller hin sei das Gehäuse nach vorne und radial außen gezogen, damit auf ein teures zusätzliches Schutzblech verzichtet werden könne. Der Gerätefuß, der das Kippen des Geräts bei Benutzung mit vertikal ausgerichtetem Schleifteller verhindere, könne zusammen mit dem Schleiftisch abgenommen werden, um eine Benutzung des auf der Gehäuserückseite stehenden Geräts mit horizontal ausgerichtetem Schleifteller zu ermöglichen.

27Im Berufungsrechtszug haben die Beklagten vorgebracht, der Gerätefuß werde vorne und flächig auf dem Untergrund aufliegend ausgebildet, um einen sicheren Stand des Geräts auch bei einer Belastung im vorderen Bereich des Schleiftischs zu gewährleisten. Die Abschrägung solle ein Absenken des Schleiftischs ermöglichen. Die direkte Montage des Schleiftellers auf die Achse des Motors ohne Winkelgetriebe oder Ähnliches sei üblich und die kostengünstigste Variante. Die rechteckige Form des Schleiftischs sei üblich und erforderlich, um dem zu bearbeitenden Werkstück eine sichere Auflage zu ermöglichen. Die Schleiftischhalterung solle eine Bearbeitung des Werkstücks nicht nur im Winkel von 90 Grad, sondern auch in anderen Winkeln ermöglichen. Bogenform, Gradeinteilung und Arretierung folgten dieser technischen Anforderung.

28cc) Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag, der in den Gründen des Berufungsurteils und dem in Bezug genommenen Tatbestand des Urteils des Landgerichts zusammengefasst wiedergegeben ist, nicht erkennbar in eine für jedes Merkmal gesondert vorzunehmende Gesamtwürdigung der maßgeblichen objektiven Umstände eingestellt. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung wird das Vorbringen nicht dadurch entkräftet, dass die Beklagten und die Streithelferin im Rechtsstreit auch zu nicht-technischen Gestaltungselementen des Klagemusters vorgetragen haben. Die erforderliche inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Vortrag kann auch nicht durch den pauschalen Hinweis ersetzt werden, dass das Berufungsgericht die Argumentation der Beklagten und der Streithelferin in der mündlichen Berufungsverhandlung als nicht überzeugend erachtet hat.

29Im Einzelnen:

30(1) Die Revisionen beanstanden zu Recht nicht, dass das Berufungsgericht das Vorhandensein der Komponenten Schleifteller, Schleiftisch, Motor und Gerätefuß als (ausschließlich) technisch bedingt angesehen hat.

31(2) Soweit das Berufungsgericht insoweit mit Blick auf das Vorhandensein eines Motorgehäuses offenbar zu einer abweichenden Einschätzung gelangt ist (Merkmal 1), fehlt jedoch eine nachvollziehbare Begründung unter Würdigung des Vortrags der Beklagten und der Streithelferin zur technischen Funktion des Gehäuses. Es bleibt auch unklar, ob der Umstand, dass der Motor direkt hinter dem Schleifteller und nicht seitlich versetzt angeordnet ist, in diese Beurteilung eingeflossen ist. Keinen rechtlichen Bedenken unterliegt hingegen, dass das Berufungsgericht die Integration des Gerätefußes in das Motorgehäuse und den Kontrast zwischen einem dunkleren Gehäuse und einem helleren Gerätefuß als nicht technisch bedingt angesehen hat (zur Berücksichtigungsfähigkeit der Graustufen bei Schwarz-Weiß-Abbildungen vgl. , GRUR 2019, 835 [juris Rn. 17 bis 23] = WRP 2019, 1032 - Sportbrillen).

32(3) Soweit das Berufungsgericht es als prägend erachtet hat, dass das Motorgehäuse auf dem Gerätefuß aufsitzt und den sichtbaren oberen Teil des Schleiftellers umrahmt (Merkmal 2), lässt dies eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beklagten und der Streithelferin zu den technischen Anforderungen an das Motorgehäuse ebenfalls vermissen. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings den Umstand, dass die untere Hälfte des Schleiftellers in den Gerätefuß eingelassen ist, als nicht ausschließlich technisch bedingt angesehen. Soweit die Revision der Streithelferin meint, dies lasse sich den Darstellungen des Klagemusters nicht entnehmen, versucht sie lediglich in revisionsrechtlich unzulässiger Weise, ihre eigene Sichtweise an die Stelle derjenigen des Tatgerichts zu setzen.

33(4) Dass das Berufungsgericht auf die Integration der dunkleren Schleiftischhalterung in den helleren Gerätefuß abgestellt hat (Merkmal 3), begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken.

34(5) Soweit das Berufungsgericht die Gestaltung der Verbindung zwischen Schleiftischhalterung und Schleiftisch als prägendes Merkmal erachtet hat (Merkmale 4 und 5), bleibt hingegen bereits unklar, welche anderen Gestaltungen zur Ausbildung eines solchen Mechanismus mit Gradeinteilung es als vorstellbar erachtet hat.

35(6) Von den Revisionen unangegriffen und rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht den vom dunklen Gehäuse kontrastierend abgesetzten Knopf als prägendes Merkmal erachtet (Merkmal 6).

36(7) Auch soweit das Berufungsgericht auf die klaren Proportionen des Klagemusters abgestellt hat, wobei sich das Gerätegehäuse auf etwa zwei Drittel und der waagrechte Schleiftisch auf etwa ein Drittel der Gesamtlänge erstreckten (Merkmal 7), hat es sich nicht mit den von den Beklagten und der Streithelferin vorgetragenen technischen Anforderungen auseinandergesetzt. Die Revision der Streithelferin weist zudem mit Recht darauf hin, dass die vom Berufungsgericht in diesem Rahmen getroffene Feststellung eines "harmonischen Gesamteindrucks" keine objektivierbare Charakterisierung eines Einzelmerkmals darstellt. Das Berufungsgericht hätte konkret feststellen müssen, durch welche nicht ausschließlich technisch bedingten Merkmale oder durch welche nicht ausschließlich technisch bedingte Kombination von Merkmalen dieser Eindruck entsteht. In diesem Zusammenhang kommt es auch darauf an, welche Bedeutung den festgestellten Einzelmerkmalen für den Gesamteindruck zukommt (vgl. , GRUR 2013, 285 [juris Rn. 52] = WRP 2013, 341 - Kinderwagen II).

37dd) Entgegen der Auffassung der Revisionen der Beklagten und der Streithelferin hat das Berufungsgericht damit zwar nicht den fehlerhaften Rechtsstandpunkt eingenommen, es komme ausschließlich auf das Bestehen alternativer Geschmacksmuster oder Gestaltungsmöglichkeiten an. Jedoch rügen die Revisionen mit Recht, dass das Berufungsgericht seine Prüfung, ob die von ihm als prägend erachteten Erscheinungsmerkmale ausschließlich technisch bedingt sind, weitgehend auf diesen Aspekt verengt hat. Andere objektive Umstände, aus denen die Motive für die Wahl der Erscheinungsmerkmale des Erzeugnisses deutlich werden können, hat es nicht hinreichend in seine Prüfung einbezogen.

38ee) Das Berufungsurteil beruht auf diesem Rechtsfehler (§ 545 Abs. 1 ZPO). Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht den Schutzumfang des Klagemusters unter Einbeziehung des genannten Vorbringens enger bestimmt und auf dieser Basis zu einem für die Beklagten und ihre Streithelferin günstigen Vergleich des Gesamteindrucks von Klagemuster und Verletzungsmuster gekommen wäre.

39III. Kann der Klägerin mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kein Unterlassungsanspruch zugesprochen werden, entfällt auch die Grundlage für die geltend gemachten Folgeansprüche auf Auskunftserteilung (Art. 89 Abs. 1 Buchst. d GGV in Verbindung mit § 46 DesignG, § 242 BGB) und Feststellung der Schadensersatzpflicht (Art. 89 Abs. 1 Buchst. d GGV in Verbindung mit § 42 Abs. 2 DesignG) der Beklagten sowie Erstattung von Abmahnkosten (Art. 89 Abs. 1 Buchst. d GGV in Verbindung mit §§ 677, 683 Satz 1, § 670 BGB).

40IV. Ob der Klägerin die von ihr geltend gemachten Ansprüche aus Wettbewerbsrecht zustehen, hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht geprüft und dazu auch keine Feststellungen getroffen.

41C. Danach ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

42D. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst. Nach derzeitigem Sach- und Streitstand stellt sich keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung des Unionsrechts, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt oder nicht zweifelsfrei zu beantworten ist (zu diesem Maßstab vgl. 283/81, Slg. 1982, 3415 [juris Rn. 21] = NJW 1983, 1257 - Cilfit u.a.; Urteil vom - C-561/19, NJW 2021, 3303 [juris Rn. 33, 36 und 39 bis 49] - Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi). Die Relevanz der von den Revisionen der Beklagten und der Streithelferin aufgeworfenen Frage, ob und inwieweit die technische Funktion eines Erzeugnisses derart durch wirtschaftliche Aspekte wie zum Beispiel Kostenfaktoren, Verkaufspreise und Kundenzielgruppen konkretisiert werden kann, dass alternative Gestaltungen, die zu einem unverhältnismäßigem finanziellen Mehraufwand führen, unzumutbar und deshalb auch rechtlich irrelevant sind, hängt von den Feststellungen des Berufungsgerichts im wiedereröffneten Berufungsverfahren ab.

43E. Für das wiedereröffnete Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

44I. Bei der für jedes den Gesamteindruck prägende Erscheinungsmerkmal gesondert vorzunehmenden Prüfung, ob es ausschließlich technisch bedingt ist, kommt eine differenzierende Betrachtung der Bauteile des Klagemusters in Betracht. So mögen das Vorhandensein eines Gehäuses und möglicherweise auch seine Grundform ausschließlich technisch bedingt sein, nicht aber weitere Eigenschaften wie insbesondere die Gestaltung der Oberfläche des Gehäuses.

45II. Soweit das Berufungsgericht gemeint hat, es komme darauf an, ob ästhetische Erwägungen für die Wahl der Erscheinungsmerkmale des fraglichen Erzeugnisses eine Rolle gespielt hätten, weicht dies - zumindest begrifflich - von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Senats ab. Ein ästhetischer Gehalt gehört nicht zu den Schutzvoraussetzungen eines Designs (vgl. EuGH, GRUR 2018, 612 [juris Rn. 23] - DOCERAM; BGH, GRUR 2021, 473 [juris Rn. 12] - Papierspender).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:090323UIZR167.21.0

Fundstelle(n):
BB 2023 S. 1153 Nr. 21
OAAAJ-39766