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LSG Bayern Urteil v. - L 2 U 44/19

Leitsatz

Leitsatz:

1. Bei der ersten Alternative des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X handelt es sich um eine rein rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der bestandskräftig gewordenen Entscheidung, bei der es auf den Vortrag neuer Tatsachen nicht ankommt und die von Amts wegen zu erfolgen hat. Eine Überprüfung in diesem Sinn bedeutet jedoch nicht, dass eine vollständige Überprüfung des Sachverhalts mittels neuer Ermittlung des Sachverhalts und neu einzuholender Gutachten durchzuführen wäre. Vielmehr ist lediglich aus rein rechtlicher Sicht zu würdigen, ob der der bestandskräftig gewordenen Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt rechtlich zutreffend beurteilt und in nicht zu beanstandender Weise bewertet worden ist.

2. Für die zweite Alternative des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X kommt es im Gegensatz zur ersten Alternative auf die Benennung neuer Tatsachen bzw. Beweismittel und ein abgestuftes Verfahren an. Ergibt sich bei diesem Verfahren nichts, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung berufen. Werden zwar neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte tatsächlich nicht vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren, darf sich die Behörde ebenfalls auf die Bindungswirkung stützen.

3. Hat eine Behörde unter zutreffender Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SGB X zurecht eine erneute Sachprüfung und Sachentscheidung abgelehnt, kann sich das Gericht über diese Entscheidung nicht hinwegsetzen und den gesamten Sachverhalt einer wiederholten Prüfung insbesondere durch Einholung neuer Gutachten unterziehen. Denn § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X gibt nur der Verwaltung selbst, nicht aber dem Gericht die Möglichkeit, sich über eine frühere negative Entscheidung zugunsten des Antragstellers hinwegzusetzen und den gesamten Sachverhalt einer erneuten Prüfung zu unterziehen).

4. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts nach § 45 SGB X hat die zurücknehmende Behörde von Amts wegen zu ermitteln . Die Rechtswidrigkeit der begünstigenden Entscheidung muss feststehen, wobei dafür der Zeitpunkt ihres Erlasses maßgebend ist. Von einer Rechtswidrigkeit in diesem Sinne ist aber auch dann auszugehen, wenn die in dem zurückzunehmenden Bescheid eingeräumte begünstigende Rechtsposition erst auf der Grundlage später zu Tage getretener Erkenntnisse bereits aus damaliger Sicht rechtsfehlerhaft war.

5. Der Umstand, dass die Rechtswidrigkeit einer (bestandskräftig gewordenen) Verwaltungsentscheidung im Rahmen eines Rücknahmebescheids nach § 45 SGB X zu prüfen ist, bewirkt keine Änderung des Beweismaßstabs bei der Beurteilung der ursprünglich getroffenen Entscheidung. Vielmehr ist derselbe Beweismaßstab anzulegen, wie er bei einer originären Prüfung dieser Entscheidung zu beachten gewesen wäre. Dies bedeutet, dass eine Anerkennung von Unfallfolgen nach § 45 SGB X nur zurückgenommen werden kann, wenn sich bei erneuter Prüfung herausstellt, dass die anerkannte Unfallfolge nicht hinreichend wahrscheinlich auf den Unfall zurückzuführen ist. Eine Entziehung oder Herabsetzung der Verletztenrente setzt bei Anwendung der aufgezeigten Grundsätze voraus, dass die bislang der Rentengewährung zugrunde gelegte MdE nicht im Vollbeweis nachgewiesen ist.

6. Wenn sich nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten die entscheidungserheblichen Tatsachen nicht feststellen lassen, gilt der Grundsatz der objektiven Beweislast. Die Nichterweislichkeit einer Tatsache geht dann zu Lasten desjenigen, der aus ihr eine bestimmte, für ihn günstige Rechtsfolge herleitet. Das ist im Fall des § 45 SGB X die Behörde, die sich darauf beruft, dass ein Verwaltungsakt rechtswidrig war und ein Vertrauen des Betroffenen nicht besteht oder nicht schutzwürdig ist. Der Umstand, dass eine (bestandskräftig gewordene) Verwaltungsentscheidung Gegenstand eines Verfahrens nach § 45 SGB X wird, bedeutet somit für die Beurteilung der ursprünglichen Entscheidung im Rahmen des § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB X keine Änderung der zu beachtenden Beweismaßstäbe, sehr wohl aber eine Umkehr der objektiven Beweislast bei Nichterweislichkeit der Tatsache.

Fundstelle(n):
ZAAAJ-39437

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LSG Bayern, Urteil v. 22.11.2022 - L 2 U 44/19

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