Strafverurteilung wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung: Notwendige Urteilsfeststellungen bei Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen
Gesetze: § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Stade Az: 201 KLs 20/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit besonders schwerem Raub, wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung, wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung, wegen Betruges, wegen Diebstahls und wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung im Fall II.5 der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil sie einer tragfähigen Beweiswürdigung entbehrt.
3a) Nach den dazu getroffenen Feststellungen forderten der Angeklagte und der gesondert Verfolgte W. die Zeugen S. und B. unter Androhung von Schlägen auf, ihre Taschen zu leeren. Nachdem diese daraufhin ihre Mobiltelefone und Portemonnaies herausgegeben hatten, veranlasste W. sie unter erneuter Androhung von Schlägen dazu, mit ihm und dem Angeklagten zu einer Sparkassenfiliale zu fahren, um dort mit der Sparkassenkarte des Zeugen S. , die er in dessen Portemonnaie gefunden hatte, Geld abzuheben. Als sie an der Sparkassenfiliale angekommen waren, bedrohte W. die Zeugen mit einem Teleskopschlagstock, den ihm der Angeklagte aus dem Auto gegeben hatte, und betrat mit S. das Gebäude, während der Angeklagte mit B. im Fahrzeug zurückblieb. W. hob mit der Sparkassenkarte insgesamt 1.240 Euro vom Konto des Zeugen S. ab, nachdem er ihn dazu gezwungen hatte, seine PIN einzugeben.
4Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten maßgeblich darauf gestützt, dass die Zeugen S. und B. den ihnen vorher unbekannten Angeklagten im Rahmen von Lichtbildvorlagen bei der Polizei wiedererkannt hätten. Der Zeuge S. habe angegeben, den Angeklagten „auf ihm vorgelegten Bildern wiedererkannt“ zu haben. Der Zeuge B. habe den Angeklagten seinen Angaben zufolge bei der Lichtbildvorlage „direkt“ erkannt. Heute sehe der Angeklagte dagegen etwas verändert aus, insbesondere habe er damals keine Glatze gehabt.
5b) Diese Ausführungen genügen nicht den besonderen Darlegungsanforderungen in Fällen, in denen – wie hier – der Tatnachweis im Wesentlichen auf einem Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen beruht. Danach ist das Tatgericht aus sachlich-rechtlichen Gründen regelmäßig verpflichtet, die Angaben des Zeugen zur Täterbeschreibung zumindest in gedrängter Form wiederzugeben und die Täterbeschreibung des Zeugen zum Äußeren und zum Erscheinungsbild des Angeklagten in der Hauptverhandlung in Beziehung zu setzen; zudem sind in den Urteilsgründen diejenigen Gesichtspunkte darzulegen, auf denen die Folgerung des Tatgerichts beruht, dass insoweit tatsächlich Übereinstimmung besteht. Darüber hinaus bedarf es einer Mitteilung der Umstände, die zur Identifizierung des Angeklagten durch den Zeugen geführt haben, insbesondere, ob das (erste) Wiedererkennen auf einer Einzel- oder Wahllichtbildvorlage beruht; wegen der damit verbundenen suggestiven Wirkung kommt dem Wiedererkennen aufgrund einer Einzellichtbildvorlage grundsätzlich ein geringerer Beweiswert zu (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 472/16, NStZ-RR 2017, 90; vom – 6 StR 516/22, NStZ 2023, 250, jeweils mwN).
6Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Ihnen lässt sich nicht entnehmen, aufgrund welcher konkreten äußeren Merkmale die Zeugen S. und B. den Angeklagten wiedererkannten. Ebenso fehlen Ausführungen zur konkreten Durchführung der Lichtbildvorlagen.
72. Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung im Fall II.3 der Urteilsgründe und wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchter Nötigung im Fall II.6 der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom Versuch (§ 24 StGB) jeweils mit rechtlich nicht tragfähiger Begründung verneint hat.
8a) Nach den Feststellungen suchte der Angeklagte im Fall II.3 der Urteilsgründe mit zwei Begleitern den Zeugen St. auf und verlangte von diesem, ihm ein Mobiltelefon zurückzugeben, das er St. geliehen hatte. Als dieser erwiderte, dass das Mobiltelefon kaputt sei, zog einer der Begleiter des Angeklagten ein Messer und hielt es St. an bzw. vor den Bauch. Der Angeklagte forderte ihn sodann auf, ihm innerhalb von drei Tagen 2.000 Euro zu zahlen, wozu es allerdings nicht kam.
9Im Fall II.6 der Urteilsgründe passten der Angeklagte und die Zeugin We. den Zeugen Bo. auf dem Nachhauseweg ab und forderten ihn auf, eine Strafanzeige zurückzunehmen, die er gegen den Bruder der Zeugin We. erstattet hatte. Außerdem verlangte der Angeklagte von Bo. die Zahlung eines Betrages von 600 Euro und drohte ihm damit, dass ihm anderenfalls „etwas Schlimmes“ passieren werde. Als Bo. erwiderte, dass er so viel Geld nicht bei sich habe, hielt ihm der Angeklagte ein Messer vor den Bauch, drohte ihm, dass Bo. „das Ganze lieber ernst nehmen“ solle, weil er ihn sonst „hier auch abstechen“ könne, und räumte ihm schließlich eine Zahlungsfrist bis zum nächsten Tag ein. Zu einer Geldübergabe kam es jedoch nicht, Bo. suchte vielmehr am nächsten Tag die Polizei auf und erstattete Anzeige.
10Einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch hat das Landgericht jeweils mit der Begründung verneint, dass die Versuche fehlgeschlagen seien. Die Zeugen St. und Bo. hätten keine Zahlungen geleistet, und „aufgrund der zeitlich-örtlichen Umstände“ sei „für die Kammer auch nicht ersichtlich, dass es dem Angeklagten jeweils möglich gewesen wäre, den Taterfolg mit den bereits eingesetzten oder zur Hand liegenden Mitteln und ohne eine neue Handlungs- bzw. Kausalkette in Gang zu setzen, zu erreichen“.
11b) Diese Ausführungen belegen nicht, dass die Versuche fehlgeschlagen waren.
12Sowohl für den fehlgeschlagenen Versuch als auch für die Frage, ob ein Versuch unbeendet oder beendet ist, kommt es maßgeblich nicht auf die objektiven Umstände, sondern auf das Vorstellungsbild des Täters nach seiner letzten Ausführungshandlung an (sogenannter Rücktrittshorizont, vgl. etwa , BGHSt 39, 221, 227 f.). Selbst wenn es ihm tatsächlich nicht mehr möglich ist, den Taterfolg mit den bereits eingesetzten oder ihm sonst zur Hand liegenden Mitteln herbeizuführen, ohne eine neue Handlungs- und Kausalkette in Gang setzen zu müssen, ist der Versuch nur dann fehlgeschlagen, wenn der Täter dies auch erkennt. Entsprechendes gilt für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch. Geht der Täter zum Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung davon aus, noch nicht alles getan zu haben, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Taterfolges erforderlich oder zumindest ausreichend ist, liegt ein unbeendeter Versuch vor, von dem er durch bloßes Nichtweiterhandeln zurücktreten kann (vgl. zu allem etwa mwN).
13Feststellungen zum Rücktrittshorizont hat das Landgericht jedoch nicht getroffen. Angesichts der den Zeugen gesetzten Zahlungsfristen versteht es sich auch nicht von selbst, dass der Angeklagte die Vorstellung hatte, seine Forderungen nicht mehr durchsetzen zu können. Die Sache bedarf deshalb auch insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
143. Die Aufhebung des Urteils in den Fällen II.3, 5 und 6 der Urteilsgründe entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:040423B6STR110.23.0
Fundstelle(n):
NAAAJ-39133