Gründe
1Das Verfahren betrifft die Bestimmung des zuständigen Gerichts für eine abgetrennte isolierte Drittwiderklage.
2I. Der hiesige Kläger, der im Bezirk des Landgerichts Baden-Baden wohnt, wird vor diesem aus einer Bürgschaft in Anspruch genommen. Er hat gegen die hiesige Beklagte, die ihren Sitz in Bad Heilbrunn hat, isolierte Drittwiderklage erhoben, mit der er Freistellung von der Bürgenhaftung wegen Pflichtverletzungen bei der Veräußerung von Geschäftsanteilen der Darlehensschuldnerin begehrt.
3Das Landgericht Baden-Baden hat die isolierte Drittwiderklage abgetrennt und den Rechtsstreit auf Antrag des hiesigen Klägers insoweit an das Landgericht München II verwiesen. Dieses hat die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und an das Landgericht Baden-Baden zurückverwiesen. Dieses hat die Übernahme des Verfahrens ebenfalls abgelehnt und eine Bestimmung des Gerichtsstands durch das Oberlandesgericht Karlsruhe veranlasst.
4Der Kläger hat die isolierte Drittwiderklage in der Folgezeit durch Schriftsatz an das Landgericht Baden-Baden zurückgenommen.
5Das Oberlandesgericht hat das Verfahren dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
6II. Die Vorlage ist zulässig.
7Nach § 36 Abs. 3 Satz 1 ZPO hat ein Oberlandesgericht, wenn es im Rahmen eines Gerichtsstandbestimmungsverfahrens nach § 36 Abs. 2 ZPO in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen will, die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen.
8Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben.
91. Ein negativer Kompetenzkonflikt im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegt vor.
10Das Landgericht Baden-Baden hat sich durch unanfechtbaren Beschluss (§ 281 Abs. 2 Satz 1 ZPO) für unzuständig erklärt. Das Landgericht München II hat ebenfalls durch einen solchen Beschluss seine Zuständigkeit verneint.
112. Da die Landgerichte zu unterschiedlichen Oberlandesgerichtsbezirken gehören, ist der Bundesgerichtshof das nächsthöhere gemeinschaftliche Gericht und das vorlegende Gericht nach § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung berufen.
123. Eine Divergenz im Sinne von § 36 Abs. 3 ZPO liegt vor.
13Das vorlegende Gericht sieht aufgrund der Klagerücknahme die Voraussetzungen einer Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als nicht mehr gegeben an. Mit dieser Auffassung würde es von einem Beschluss des Oberlandesgerichts Brandenburg (Beschluss vom - 1 AR 46/00, BeckRS 2000, 7460) abweichen. Dieses hat entschieden, eine Klagerücknahme stehe einer Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Beschluss nach § 269 Abs. 3 ZPO noch ausstehe.
14III. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind nicht mehr gegeben.
151. Wie das vorlegende Gericht zutreffend dargelegt hat, kommt eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht mehr in Betracht, wenn die Klage vollständig zurückgenommen wurde. Dies gilt auch dann, wenn noch eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 ZPO zu treffen ist.
16a) Eine Gerichtsstandbestimmung ist grundsätzlich nur zulässig, solange noch gerichtliche Entscheidungen durch das in der Hauptsache zuständige Gericht zu treffen sind.
17An dieser Voraussetzung fehlt es etwa, wenn lediglich noch ein bereits erlassener Vollstreckungsbescheid zuzustellen ist; die Zustellung hat unabhängig von der Zuständigkeit in der Hauptsache durch dasjenige Gericht zu erfolgen, das den Bescheid erlassen hat (, NJW 1983, 472). Anders liegt es im Falle einer einseitigen Erledigungserklärung; über deren Zulässigkeit und Begründetheit hat das in der Hauptsache zuständige Gericht zu entscheiden (vgl. 1Z AR 5/96, BayObLGZ 1996, 14).
18b) Die nach einer vollständigen Rücknahme der Klage zu treffende Kostenentscheidung gemäß § 269 Abs. 3 ZPO ist grundsätzlich durch dasjenige Gericht zu treffen, bei dem die Hauptsache im Zeitpunkt der Klagerücknahme anhängig ist. Dies gilt unabhängig davon, ob das Gericht zur Entscheidung über die zurückgenommene Klage zuständig war.
19aa) Die Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 ZPO richtet sich in der Regel allein nach formellen Kriterien. Die Zuständigkeit für solche Entscheidungen ist nicht an die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Hauptsache geknüpft. So ist auch die Entscheidung über die Kosten einer beim Berufungsgericht eingelegten und vor Abgabe zurückgenommenen Nichtzulassungsbeschwerde nicht von dem für die Entscheidung über das Rechtsmittel zuständigen Bundesgerichtshof zu treffen, sondern von dem Gericht, bei dem das Rechtsmittel eingelegt wurde und bei Rücknahme noch anhängig war (, NJW-RR 2022, 648).
20bb) Für den Fall, dass der Kläger eine Kostenentscheidung nach billigem Ermessen gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO anstrebt, gilt nichts anderes.
21Für die Ausübung des billigen Ermessens kann zwar von Bedeutung sein, ob die Klage zu einem früheren Zeitpunkt zulässig und begründet war. Dennoch geht es nicht um eine verbindliche Entscheidung dieser Frage, sondern um eine an Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und Billigkeit orientierte Entscheidung über die Kosten, wie sie nach § 91a ZPO auch nach einer beiderseitigen Erledigungserklärung zu treffen ist.
22Eine Kostenentscheidung gemäß § 91a ZPO ist durch dasjenige Gericht zu treffen, bei dem die Sache im Zeitpunkt der Erledigungserklärung anhängig ist (, GRUR 2010, 1037 Rn. 9 - Unzuständigkeitsrüge; 1 WDS-VR 11.15, juris Rn. 16; , NJW 2016, 3469 Rn. 12). Für eine Entscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO kann nichts anderes gelten.
23cc) Dass für eine Kostenentscheidung nach Rücknahme eines Mahnantrags etwas anderes gilt, spricht nicht gegen, sondern für das oben aufgezeigte Ergebnis.
24Wenn nach Rücknahme eines Mahnantrags eine Kostenentscheidung entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO in Betracht kommt, ist das Verfahren an das für das streitige Verfahren zuständige Gericht abzugeben. Grund hierfür ist, dass das Mahnverfahren für eine solche Entscheidung weder bestimmt noch geeignet ist (, NJW 2005, 512).
25Nach einer Klagerücknahme liegt eine andere Ausgangslage vor. In dieser Konstellation war schon vor der Rücknahme ein streitiges Verfahren anhängig, in dem eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO ergehen kann.
262. Im Streitfall kommt damit die Bestimmung eines zuständigen Gerichts nicht mehr in Betracht.
27a) Der Kläger hat die isolierte Widerklage wirksam zurückgenommen.
28aa) Nach § 269 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die Klagerücknahme dem Gericht gegenüber zu erklären. Dies ist das Gericht, bei dem die Sache anhängig ist (Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 269 Rn. 51; BeckOKZPO/Bacher, 47. Edition, Stand , § 269 Rn. 3).
29Das Landgericht Baden-Baden war danach im Streitfall der richtige Adressat. Die Hauptsache war nach der Verweisung durch das Landgericht München II dort anhängig. Dass das Landgericht Baden-Baden die Übernahme der Sache abgelehnt und das Oberlandesgericht Karlsruhe um Gerichtsstandbestimmung ersucht hat, führte nicht zu einer anderweitigen Anhängigkeit in der Hauptsache.
30bb) Eine Zustimmung der hiesigen Beklagten war nicht erforderlich, weil noch keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.
31b) Nach den oben aufgezeigten Grundsätzen ist für eine Gerichtsstandbestimmung damit kein Raum mehr.
32c) Eine Gerichtsstandbestimmung ist auch nicht in analoger Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO veranlasst.
33Im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit ist regelmäßig eine deklaratorische Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO geboten, wenn die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, dass eine baldige Beilegung des Zuständigkeitsstreits nicht erwartet werden kann (, NJW 1983, 1062; , NJW 2016, 3469).
34Im Streitfall bestehen keine diesbezüglichen Anhaltspunkte.
35Die Klage ist erst nach Einleitung des Verfahrens zur Gerichtsstandbestimmung zurückgenommen worden. Dass das Landgericht Baden-Baden trotz der neu eingetretenen Prozesssituation eine Übernahme weiterhin ablehnen wird, ist nicht anzunehmen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:140323BXARZ588.22.0
Fundstelle(n):
MAAAJ-38679