Einkommensteuer | Sonderausgabenabzug für Vorsorgeaufwendungen bei Tätigkeit in einem Drittstaat (BFH)
Bezieht ein Steuerpflichtiger für eine Tätigkeit in einem Drittstaat steuerfreien Arbeitslohn, sind hiermit im Zusammenhang stehende Vorsorgeaufwendungen (im Streitfall Beiträge zur gesetzlichen Renten- sowie Arbeitslosenversicherung) nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG zur Vermeidung einer doppelten steuerlichen Berücksichtigung nicht als Sonderausgaben abziehbar. Das Verfassungsrecht verpflichtet den Gesetzgeber auch dann nicht, hiervon eine Ausnahme zu machen, wenn im Tätigkeitsstaat keine steuerliche Entlastung für die Aufwendungen gewährt wird (; veröffentlicht am ).
Hintergrund: § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG schließt den Abzug der dort genannten ‑ und auch vorliegend betroffenen ‑ Vorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben aus, wenn diese in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen. Durch diese Regelung soll ein ansonsten eintretender doppelter steuerlicher Vorteil vermieden werden (, BStBl II 2020, 763, Rz 15, sowie , Rz 16).
Sachverhalt: Der inzwischen verstorbene E war im Streitjahr 2016 als Arbeitnehmer von seinem inländischen Arbeitgeber befristet in die Volksrepublik China entsandt worden. Seinen inländischen Wohnsitz behielt E mit seiner Ehefrau, der Klägerin, bei. Im Streitjahr erzielte der Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit sowohl in Deutschland als auch in China. Von den erklärten Einkünften entfielen 12,28 % auf im Inland steuerpflichtige Einkünfte und die restlichen 87,72 % auf nach Art. 15 DBA-China im Inland steuerfreie Einkünfte.
Die Klägerin und E erklärten für das Streitjahr als Altersvorsorgeaufwendungen Beiträge des E zur inländischen gesetzlichen Rentenversicherung von 13.913 €, wobei dessen Arbeitgeber die Hälfte der Beiträge geleistet hatte. Zudem erklärten sie eigene Beiträge des E zur Versicherung gegen Arbeitslosigkeit von 1.116 €.
Das FA erkannte im Einkommensteuerbescheid Altersvorsorgeaufwendungen von 547 € als Sonderausgaben an. Hierbei bezog es nur 12,28 % der geleisteten Beiträge in die Berechnung ein (= 1.708 €), berücksichtigte nach den Vorgaben in § 10 Abs. 3 Sätze 4 und 6 EStG 82 % jener Beiträge (= 1.401 €) und zog schließlich nach Satz 5 der Vorschrift 12,28 % der vom Arbeitgeber geleisteten Beiträge (= 854 €) ab. Auch die Aufwendungen zur Versicherung gegen Arbeitslosigkeit erkannte das FA nur zu 12,28 % (= 137 €) als Sonderausgaben an. Zur Begründung führte es an, dass Vorsorgeaufwendungen, die mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stünden, nicht als Sonderausgaben abziehbar seien.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg (, s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 30.9.2021).
Die Richter des BFH wiesen die hiergegen gerichtete Revision ab:
Im Streitfall unterliegen die geltend gemachten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie zur Arbeitslosenversicherung dem Abzugsverbot des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG.
Der auf die Auslandstätigkeit entfallende Arbeitslohn wurde nach § 4 Abs. 1 SGB IV i.V.m. Art. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China über Sozialversicherung v. (BGBl II 2002, 82) in die Beitragsbemessung für die inländische Renten- sowie Arbeitslosenversicherung einbezogen, sodass ‑ wie vom FG dem Grunde und der Höhe nach zutreffend erkannt ‑ ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang der Beiträge mit steuerfreien Einnahmen bestand.
Die Geltung des Abzugsverbots wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die künftigen Leistungen aus der Rentenversicherung als sonstige Einkünfte gem. § 22 Nr. 1 Satz 3 EStG im Inland steuerpflichtig sind.
Im Hinblick auf das in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG geregelte Erfordernis eines "unmittelbaren" wirtschaftlichen Zusammenhangs müssen die steuerfreien Einnahmen und die Vorsorgeaufwendungen durch dasselbe Ereignis veranlasst sein (u.a. , BStBl II 2012, 721, Rz 17; HHR/Kulosa, § 10 EStG Rz 305). Abzustellen ist somit allein auf die Einnahmen, aus denen die Vorsorgeaufwendungen stammen (, Rz 16).
Aus demselben Grund ist es unerheblich, dass einer etwaigen künftigen Zahlung von Arbeitslosengeld wegen des Progressionsvorbehalts gemäß § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG steuersatzerhöhende Wirkung zukäme.
Darüber hinaus ist sowohl der teilweise Ausschluss des Sonderausgabenabzugs für Beiträge zur Versicherung gegen Arbeitslosigkeit gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG als auch der auf § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG beruhende Ausschluss des Sonderausgabenabzugs für die von E erbrachten Altersvorsorgeaufwendungen mit verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar.
Anmerkung von Prof. Dr. Gregor Nöcker, Richter im X. Senat des BFH:
Das BFH-Urteil fasst die Grundsätze der Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Einkommensteuergesetz zusammen – und wendet sie folgerichtig auf den Fall des Bezugs von steuerfreiem Arbeitslohn aus einem Nicht-EU/EWR-Staat an.
Da das Arbeitslosengeld nicht der Absicherung des Existenzminimums dient, ist der Gesetzgeber schon nicht verpflichtet, Beiträge zur Arbeitslosenversicherung überhaupt steuerlich freizustellen (, Rz 16). Es erfolgt dennoch in den Grenzen des § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG.
Dagegen sind Altersvorsorgeaufwendungen, die der Gesetzgeber den Sonderausgaben zugeordnet hat, nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a EStG zu berücksichtigen. Eine etwaige doppelte Besteuerung ist nicht in der Altersvorsorgeaufbauphase, sondern erst in der Rentenauszahlungsphase geltend zu machen (, BStBl II 2016, 801, Rz 57).
In beiden Fällen setzt der Sonderausgabenabzug jedoch voraus, dass die Beiträge nicht mit steuerfreien Einnahmen im Zusammenhang stehen, was insbesondere bei steuerfreiem Arbeitslohn aus dem Ausland der Fall ist (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG). Nur soweit der steuerfreie Arbeitslohn aus einem EU/EWR-Staat sowie die Schweiz stammt, ist als Folge der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) die Ausnahmeregelung in Teilsatz 2 Buchst. a dieser Vorschrift relevant. Werden die Vorsorgeaufwendungen in einem solchen Beschäftigungsstaat nicht berücksichtigt, sind Sonderausgaben im Inland ansetzbar.
Dies ist bei einer Beschäftigung in China nicht der Fall. Verfassungsrechtlich geboten ist ein solcher Abzug nicht, da schon der Arbeitslohn im Inland steuerfrei ist und selbst bei einer fehlenden steuerlichen Freistellung der Beiträge in China der deutsche Gesetzgeber nicht verpflichtet werden kann, die verminderte Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Etwas anderes gelte, wenn dies im DBA China vereinbart worden wäre, was nicht gegeben ist.
Quelle: ; NWB Datenbank (il)
Fundstelle(n):
VAAAJ-38624