Frage der Schuldfähigkeit: Anordnung der Unterbringung einer an paranoider Schizophrenie leidenden Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus
Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 267 StPO
Instanzenzug: Az: 606 KLs 19/21
Gründe
1Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Ihre mit der Sachrüge geführte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
21. Nach den Urteilsfeststellungen leidet die nicht vorbestrafte Beschuldigte seit mehreren Jahren an einer paranoiden Schizophrenie. Ihre krankheitsbedingten Wahnvorstellungen kreisen insbesondere darum, Opfer zahlreicher sexueller Übergriffe zu sein. Dies führte in den letzten Jahren zu Konflikten mit Freunden, Nachbarn und der Familie sowie zu einer Vielzahl unberechtigter Strafanzeigen.
3Nach dem eigenmächtigen Abbruch einer medikamentösen Behandlung verfiel die Beschuldigte Ende August 2020 in einen akut psychotischen Zustand. Am kam es zu den Anlasstaten: Am Nachmittag nahm sie krankheitsbedingt in einem Einkaufszentrum einen zweijährigen Jungen mit sich, der in der Nähe seiner Eltern spielte. Sie wollte das Kind aus einer von ihr angenommenen Gefahr befreien, mit ihm das Einkaufszentrum verlassen und es mit sich nach Hause nehmen oder mit dem Kind eine Polizeiwache aufsuchen. Dabei nahm sie zumindest billigend in Kauf, dass das Kind längere Zeit – mehr als 30 Minuten – von seinen Eltern getrennt sein würde.
4Die Eltern, vor deren Augen sich die Tat abspielte, reagierten nach wenigen Sekunden, rannten der schnellen Schritts zum Ausgang gehenden Beschuldigten nach und holten sie alsbald ein. Vom Vater zur Rede gestellt gab sie an: „Wenn ihr auf Euer Kind nicht aufpasst, dann ist das Kind halt weg.“ Es entspann sich ein Streit zwischen beiden, in dem sie den Vater des Kindes beleidigte. Sie hielt ihm vor, er habe sie zur Prostitution gezwungen, und schrie schließlich, sie sei „vom Satan besessen“. Es folgte eine Rangelei, bei der der Vater des Kindes die Beschuldigte zu Boden brachte und festhielt, während sie lauthals schrie und Drohungen ausstieß. Die Eltern und das Kind wurden durch den Vorfall nachhaltig belastet.
52. Der Sachverständigen (nach den Urteilsgründen Diplom-Psychologin) folgend hat die Strafkammer angenommen, infolge des psychotischen Zustandes der Beschuldigten sei bei Tatbegehung ihre Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen, jedenfalls sicher erheblich vermindert, nicht ausschließbar auch aufgehoben gewesen.
II.
6Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB hat keinen Bestand, weil deren Voraussetzungen nicht festgestellt sind.
71. Nach § 63 StGB darf die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruhte (st. Rspr.; , BGHSt 34, 22, 26 f.; Beschlüsse vom – 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385 f.; vom – 3 StR 407/15, NStZ 2016, 402; Urteil vom – 1 StR 463/18 Rn. 15; Beschluss vom – 1 StR 176/20, StV 2021, 239). Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist erst dann strafrechtlich von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Unrechtseinsicht zur Folge hat. In diesen Fällen ist § 21 StGB als Sonderregelung des Verbotsirrtums (§ 17 StGB) erfüllt, wenn das Fehlen der Unrechtseinsicht vorwerfbar ist; kann ein solcher Vorwurf nicht erhoben werden, greift § 20 StGB ein (st. Rspr.; vgl. etwa Rn. 12 mwN). Erkennt der Täter dagegen das Unrecht seiner Tat, handelt er – unbeschadet seiner eingeschränkten Einsichtsfähigkeit – voll schuldhaft. Die bloße Feststellung, die Einsichtsfähigkeit sei bei Tatbegehung erheblich vermindert gewesen, reicht daher nicht zur Annahme von § 21 StGB und belegt damit auch nicht diese notwendige Voraussetzung des § 63 StGB (st. Rspr.; vgl. nur mwN).
82. Dass die Unrechtseinsichtsfähigkeit der Beschuldigten bei Ausführung der Anlasstat sicher aufgehoben gewesen war, hat die Strafkammer nicht festgestellt. Zur damit entscheidenden Frage, ob bei ihr infolge der Verminderung ihrer Einsichtsfähigkeit die Unrechtseinsicht fehlte, verhält sich das Urteil nicht. Der Senat kann dies auch nicht dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen. Das angefochtene Urteil unterliegt deshalb der Aufhebung.
93. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
104. Für die neue Hauptverhandlung wird sich die Hinzuziehung eines medizinischen Sachverständigen anbieten, da es um die Beurteilung einer krankheitsbedingten Störung und deren Auswirkungen auf die Tatbegehung geht (vgl. LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 246a Rn. 4 mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:290323B5STR79.23.0
Fundstelle(n):
XAAAJ-38029