Berichtigung der Urteilsformel nach der Urteilsverkündung wegen eines "offensichtlichen Verkündungsversehens"
Gesetze: § 260 Abs 1 StPO, § 260 Abs 4 StPO, § 319 StPO, § 55 StGB
Instanzenzug: Az: 10 KLs 2620 Js 41659/18
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten ausweislich der Sitzungsniederschrift wegen Vergewaltigung in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung in einem weiteren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und hiervon einen Monat zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt. Durch Beschluss vom selben Tage hat das Landgericht die verkündete Urteilsformel im „Einverständnis mit den Verfahrensbeteiligten“ wegen eines „offensichtlichen Verkündungsversehens“ dahingehend berichtigt, dass der Angeklagte unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Eschwege vom zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt ist; dem entspricht auch der Tenor in der Urteilsurkunde.
2Zur Begründung der Berichtigung hat die Strafkammer ausgeführt, die Strafe aus vorbezeichnetem Strafbefehl sei – wie sich „aus dem Verfahrensablauf und der mündlichen Urteilsbegründung ergeben“ habe – im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung einbezogen, die Einbeziehung aber versehentlich nicht in die mündlich verkündete Urteilsformel aufgenommen worden. Hierauf seien die Verfahrensbeteiligten bereits „im Rahmen der Urteilsbegründung“ aufmerksam gemacht worden; sie hätten ihr Einverständnis mit der Berichtigung der Urteilsformel erklärt.
3Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll vom ergibt sich hierzu lediglich, dass im Anschluss an die Verkündung des Urteils durch Verlesung der Urteilsformel und mündliche Mitteilung des wesentlichen Inhalts der Urteilsgründe „sämtliche Verfahrensbeteiligten […] nach dem Hinweis des Vorsitzenden, wonach in dem Tenor die Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl entsprechend der mündlichen Urteilsbegründung unerwähnt geblieben sei“, erklärten, „dass gegen eine entsprechende Berichtigung des Tenors keine Bedenken bestehen“.
4Die auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
51. Die Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
62. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung der schriftlichen Urteilsgründe hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Lediglich der Gesamtstrafenausspruch war wie geschehen zu berichtigen.
7Die in den Urteilsgründen ausgewiesene Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Eschwege vom steht nicht im Einklang mit der in der Hauptverhandlung verkündeten Urteilsformel. Zwar weist der in die Urteilsurkunde aufgenommene Urteilstenor eine Gesamtfreiheitsstrafe unter Einbeziehung der Strafe aus dem vorgenannten Strafbefehl aus. Dies beruht jedoch auf dem der unzulässig und damit unwirksam ist.
8a) Eine Berichtigung der Urteilsformel nach der Urteilsverkündung, die mit der mündlichen Bekanntgabe der Urteilsgründe abgeschlossen ist, kommt nur bei einem offensichtlichen Schreib- bzw. Verkündungsversehen in Betracht. Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer solchen Berichtigung eine unzulässige inhaltliche Abänderung des Urteils verbunden ist. Insbesondere ist in Ansehung der überragenden Bedeutung der Urteilsformel, die – anders als die schriftlichen Urteilsgründe – bei Verkündung schriftlich vorliegen muss, bei einer Berichtigung der Urteilsformel Zurückhaltung geboten. Ein der Berichtigung zugängliches offensichtliches Verkündungsversehen kann nur angenommen werden, wenn sich der Fehler ohne Weiteres aus solchen Tatsachen ergibt, die für alle Verfahrensbeteiligten – auch ohne Berichtigung – klar zutage liegen und der auch nur entfernte Verdacht einer späteren inhaltlichen Änderung des verkündeten Urteils ausgeschlossen ist, die Berichtigung also lediglich dazu dient, die äußere Übereinstimmung der Urteilsformel mit der tatsächlich beschlossenen herzustellen (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteile vom – 2 StR 290/14, NStZ-RR 2015, 119; vom – 2 StR 542/16, juris Rn. 17 f.; Beschlüsse vom – 2 StR 48/20, NStZ-RR 2021, 181 und vom – 2 StR 344/22 jeweils mwN).
9b) Hieran gemessen liegen die Voraussetzungen für die vom Landgericht vorgenommene Berichtigung nicht vor.
10Die ausweislich der Sitzungsniederschrift verkündete Urteilsformel lässt einen offensichtlichen Fehler oder eine sonstige offensichtliche Unrichtigkeit nicht erkennen. Auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände vermag der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass ein offensichtliches Verkündungsversehen vorliegt. Das gilt auch in Ansehung des vom Landgericht in seinem Berichtigungsbeschluss angeführten Umstandes, wonach sich aus dem Verfahrensablauf und der mündlichen Urteilsbegründung ergeben habe, dass „die Kammer die Strafe aus dem Strafbefehl im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung einbezogen“ habe.
11So verhält sich der Berichtigungsbeschluss weder zum „Verfahrensablauf“ noch zu Inhalt und Umfang der Darstellung der Vorsitzenden in der mündlichen Urteilsbegründung zur Einbeziehung der Strafe aus der Vorverurteilung.
12Die Sitzungsniederschrift weist unter der Urteilsformel keine Liste der angewendeten Vorschriften aus (§ 260 Abs. 5 StPO), die gegebenenfalls einen Rückschluss auf die Anwendung des § 55 StGB ermöglicht hätte (vgl. zur Zweckmäßigkeit der Liste unter der Urteilsformel Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 260 Rn. 52). Im Übrigen wird § 55 StGB auch in der Liste der angewendeten Vorschriften in den schriftlichen Urteilsgründen nicht erwähnt.
13Eine dienstliche Erklärung der beteiligten Berufsrichter (vgl. hierzu Senat, Urteil vom – 2 StR 645/80) und ggf. der Schöffen zum Beratungsergebnis und der mündlichen Urteilsbegründung findet sich ebenso wenig in den Akten wie eine Stellungnahme der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers.
14Im Übrigen rechtfertigt auch ein nach Urteilsverkündung erklärtes Einverständnis aller Verfahrensbeteiligten nicht die Berichtigung, denn es steht nicht im „freien Belieben“ der Verfahrensbeteiligten, einen verkündeten Urteilstenor nachträglich zu ändern.
15c) Die Unwirksamkeit der Berichtigung des Urteilstenors nach Abschluss der Urteilsverkündung führt dazu, dass der Berichtigungsbeschluss im Revisionsverfahren unbeachtlich ist (vgl. Senat, Urteil vom – 2 StR 542/16, juris Rn. 20). Maßgeblich ist allein die protokollierte Urteilsformel. Danach wurde der Angeklagte ohne Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Eschwege zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt.
16d) Da jedoch die nachträgliche Einbeziehung gemäß § 55 StGB zwingend geboten war und auszuschließen ist, dass das Landgericht die Gesamtstrafe ohne den Rechtsfehler anders bemessen hätte, ändert der Senat den Gesamtstrafenausspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass der Angeklagte unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Eschwege vom zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt ist.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:140323B2STR265.22.0
Fundstelle(n):
UAAAJ-37904