BGH Beschluss v. - 4 StR 300/22

Körperverletzungsvorsatz im Hinblick auf eine lebensgefährdende Behandlung

Gesetze: § 24 Abs 1 S 1 StGB, § 64 S 1 StGB, § 185 StGB vom , § 224 Abs 1 Nr 5 StGB, § 240 StGB, § 241 StGB vom

Instanzenzug: LG Landau (Pfalz) Az: 3 KLs 7281 Js 14867/18

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, wegen „vorsätzlicher“ Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung und wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer „Freiheitsstrafe“ von drei Jahren und einem Monat verurteilt. Zwei Monate der Gesamtfreiheitsstrafe hat es aufgrund einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für verbüßt erklärt. Zudem hat es eine Maßregel nach § 64 StGB angeordnet. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Dem Angeklagten war in der unverändert zugelassenen Anklage vom als rechtlich selbständige Tat der Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung angelastet worden, gegenüber dem Geschädigten I.     geäußert zu haben: „Ich schlage das ganze Lokal zusammen“, „Ich trete Dir den Schädel ein“ und „Fick Deine Mutter“, nachdem er ihn geschlagen und gestoßen hatte. Diese Äußerungen hat das Landgericht nicht feststellen können. Unbeschadet des Umstands, dass die Strafkammer bei den Vorwürfen zu 1 bis 4 aus vorbezeichneter Anklage von einem einheitlichen Geschehen ausgegangen ist, wäre bei der Nichterweisbarkeit einer tatmehrheitlich angeklagten Tat zur Erschöpfung des Eröffnungsbeschlusses ein Teilfreispruch erforderlich gewesen (st. Rspr.; vgl. ‒ 4 StR 272/98, BGHSt 44, 196, 202; Beschluss vom – 4 StR 656/19). Diesen holt der Senat mit der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 StPO nach.

32. Die Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung im Fall 1 der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht nicht geprüft hat, ob der Angeklagte vom Versuch der Nötigung gemäß § 240 Abs. 1, 2 und 3 StGB strafbefreiend zurückgetreten ist.

4Nach den Feststellungen äußerte der Angeklagte nach einem tätlichen Angriff auf den Geschädigten I.     zur Zeugin B.      : „Ruf doch die Bullen, dann mach ich dich und den Laden auch noch platt“, um diese davon abzuhalten, die Polizei zu rufen. Sodann lief der Angeklagte davon. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich weiter, dass die Polizei später am Tatort eintraf.

5Bei dieser Sachlage hätte sich die Strafkammer veranlasst sehen müssen, Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach der letzten Ausführungshandlung zu treffen und zu prüfen, ob der Angeklagte von der versuchten Nötigung gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB strafbefreiend zurückgetreten ist. Hierzu verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Die Verurteilung wegen versuchter Nötigung kann daher nicht bestehen bleiben. Das zieht auch die Aufhebung der für sich genommen rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB nach sich, da das Landgericht insoweit von Tateinheit ausgegangen ist (vgl. , NStZ 1997, 276; Beschluss vom – 4 StR 155/21).

63. Die für Fall 2 der Urteilsgründe ausgesprochene Einzelstrafe unterliegt bereits auf die Sachrüge der Aufhebung, weil das Landgericht von einem unzutreffenden Strafrahmen ausgegangen ist. Auf die hierzu erhobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht mehr an.

7Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Dabei hat es angenommen, der § 185 Halbsatz 2 StGB bzw. § 241 Abs. 2 StGB zu entnehmende Strafrahmen reiche bis zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Der Grundtatbestand des § 185 StGB und § 241 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung sahen indes lediglich Strafobergrenzen von einem Jahr Freiheitsstrafe vor. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Einzelstrafe niedriger ausgefallen wäre, hätte das Tatgericht den zutreffenden Strafrahmen zu Grunde gelegt.

84. Auch die Einzelstrafe im Fall 3 der Urteilsgründe ist aufzuheben.

9Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dabei hat es strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte drei Tatvarianten des § 224 Abs. 1 StGB verwirklicht habe. Diese Erwägung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil zwar die Voraussetzungen von § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB, nicht aber die des vom Landgericht ebenso angenommenen § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB rechtsfehlerfrei festgestellt sind.

10Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die teils mittels eines Stuhls und eines Tischs geführten Schläge, die der Angeklagte und die gesondert Verfolgte dem Geschädigten beibrachten, geeignet waren, dessen Leben zu gefährden. Ausführungen zu einem hierauf bezogenen Vorsatz des Angeklagten fehlen. Für den Körperverletzungsvorsatz im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist es neben einem bedingten Verletzungsvorsatz erforderlich, dass der Täter die Umstände erkennt, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns in der konkreten Situation für das Leben des Opfers ergibt. Der Täter muss sie nicht als solche bewerten, seiner Vorstellung nach muss sein Handeln aber auf Lebensgefährdung angelegt sein (vgl. , NStZ 2021, 107, 108). Dass diese Voraussetzungen vorliegen, ergibt sich hier auch nicht von selbst, zumal die Strafkammer die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes mit der Begründung abgelehnt hat, es habe sich nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte die besondere Gefährlichkeit seiner Handlungen im vollem Umfang erkannt habe.

115. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall 1 und der Wegfall der Einzelstrafen in den Fällen 2 und 3 entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.

126. Auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kann nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat den erforderlichen Hang des Angeklagten, Alkohol im Übermaß zu konsumieren, nicht tragfähig begründet.

13a) Für die Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ist es ausreichend, dass der Angeklagte eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung hat, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren. Den Grad einer physischen Abhängigkeit muss diese Neigung nicht erreicht haben. Ein übermäßiger Konsum von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 451/03, NStZ 2004, 384, 385; vom – 4 StR 405/20 Rn. 4). Ein solcher Hang muss sicher festgestellt sein. Es reicht nicht aus, dass sein Vorliegen möglich oder nur nicht auszuschließen ist (vgl. ‒ 1 StR 382/02 Rn. 14).

14b) Danach sind die landgerichtlichen Ausführungen zum Vorliegen eines Hanges im Sinne des § 64 Satz 1 StGB lückenhaft. Das Landgericht hat hierzu lediglich die Ausführungen der Sachverständigen wiedergegeben, wonach bei dem Angeklagten ein schädlicher Gebrauch von Alkohol gegeben sei und daher aus psychiatrischer Sicht ein Hang im Sinne des § 64 StGB vorliege. Diesen Ausführungen hat sich die Strafkammer sodann ohne eigene Würdigung angeschlossen. Derer hätte es jedoch bedurft. Denn angesichts der Feststellungen, nach denen der Angeklagte derzeit „alle zwei bis drei Wochen am Wochenende … etwa sechs bis sieben Weinschorlen über den Abend verteilt“ und wochentags keinen Alkohol trinkt, liegt das Vorliegen eines alkoholbedingten Hanges im allein relevanten Zeitpunkt des Urteils (vgl. ‒ 2 StR 331/19 Rn. 7 mwN) jedenfalls nicht auf der Hand.

157. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

168. Das neue Tatgericht kann im Fall 1 ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese nicht in Widerspruch zu den bindend gewordenen Feststellungen treten. Gegebenenfalls (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB) wird es die voraussichtliche Dauer des Maßregelvollzugs festzustellen haben. Der Senat weist zudem darauf hin, dass die Kompensationsentscheidung von der Aufhebung des Rechtsfolgen-ausspruchs nicht betroffen ist (vgl. Rn. 8 mwN).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:150223B4STR300.22.0

Fundstelle(n):
VAAAJ-37597