BGH Beschluss v. - 1 StR 266/22

Berufsverbot wegen unzulässiger Cannabis-Verschreibung

Gesetze: § 13 Abs 1 BtMG, § 13 Abs 3 S 2 Nr 1 BtMG, § 29 Abs 1 S 1 Nr 6a BtMG, § 29 Abs 3 S 1 BtMG, § 70 Abs 1 S 1 StGB, § 73 Abs 1 StGB, § 73c S 1 StGB, § 154 Abs 2 StPO, § 206a Abs 1 StPO

Instanzenzug: LG München I Az: 19 KLs 370 Js 130932/18

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen des Verschreibens von Betäubungsmitteln entgegen § 13 Abs. 1 BtMG in 539 Fällen, hiervon in 24 Fällen in Tateinheit mit „Zuwiderhandlung einer Rechtsverordnung nach § 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtmG“ sowie des vorsätzlichen „unerlaubten“ Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe und des „vorsätzlichen unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 47.740 Euro angeordnet sowie für die Dauer von drei Jahren ein beschränktes Berufsverbot verhängt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Das Landgericht hat – soweit für die Revision von Relevanz – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3a) Der Angeklagte ist praktischer Arzt. Nachdem mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom eine ärztliche Verordnung von Cannabisblüten und Extrakten aus Cannabis mittels eines Betäubungsmittelrezeptes ermöglicht worden war, beschloss er, unter dem Deckmantel seiner ärztlichen Zulassung Handel mit Marihuana zu betreiben. Er mietete hierzu Praxisräume an und verschrieb in der Zeit von März 2017 bis Juli 2018 in mehreren hundert Fällen Cannabis an eine Vielzahl von "Patienten" ohne medizinische Indikation und ohne diese vorher körperlich untersucht zu haben. Seine Leistungen rechnete er nicht nach der Gebührenordnung für Ärzte ab, sondern verlangte Barzahlungen in Höhe von 120 Euro (im Jahr 2017) beziehungsweise 150 Euro (ab 2018) für eine Erstverschreibung und in Höhe von 60 Euro für eine Folgeverordnung. Er vereinnahmte insgesamt mindestens 48.300 Euro.

4b) Das Landgericht hat diese Taten jeweils als – gewerbsmäßiges – Verschreiben von Betäubungsmitteln im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6a BtMG gewertet und gegen den Angeklagten, ausgehend von dem Strafrahmen des § 29 Abs. 3 Satz 1 BtMG, grundsätzlich Einzelfreiheitsstrafen von je einem Jahr und zwei Monaten verhängt. Einzelfreiheitsstrafen von je einem Jahr und sechs Monaten hat es u.a. in den Fällen verhängt, in denen sich die jeweilige Verschreibung auf eine nicht geringe Menge von Betäubungsmitteln bezog.

52. Auf Antrag des Generalbundesanwalts stellt der Senat das Verfahren hinsichtlich Ziffer III.2. der Urteilsgründe in den Fällen 23, 24, 149, 150, 171 bis 175, 245 bis 248, 299 bis 302, 336 bis 345, 358, 359, 390, 392, 421 bis 424, 430, 431 und 433 bis 436 aus prozessökonomischen Erwägungen gemäß § 154 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 StPO ein.

63. Die Revision führt zudem zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 206a StPO, soweit der Angeklagte in den Fällen 363, 364, 366 bis 370, 391, 488 bis 522 der Ziffer III.2. der Urteilsgründe verurteilt worden ist. Insoweit steht seiner Verurteilung die bereits vom Landgericht vorgenommene Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO entgegen. Mit der wirksamen Einstellung durch Gerichtsbeschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO entsteht ein Verfahrenshindernis, das in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten ist ( Rn. 2 mwN).

74. Die vorgenannten Teileinstellungen des Verfahrens ziehen die Änderung des Schuldspruchs nach sich, den der Senat neu fasst. Zugleich lässt der Senat die Kennzeichnung der Taten als „unerlaubt“ im Hinblick auf den Besitz von Betäubungsmitteln und einer halbautomatischen Kurzwaffe im Tenor des angefochtenen Urteils entfallen; sie ist entbehrlich (vgl. Rn. 35 und Beschluss vom – 3 StR 378/22 Rn. 6 mwN). Hinsichtlich des Betäubungsmitteldelikts gilt dies auch für die Schuldform.

85. Die Verfahrenseinstellungen haben den Wegfall der jeweiligen Einzelstrafe zur Folge. Der Ausspruch über die Gesamtstrafe hat hingegen Bestand. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht aus den verbleibenden 175 Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten, 280 Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und zwei Monaten, einer Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten sowie einer Einzelgeldstrafe von 120 Tagessätzen auf eine geringere als die ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten erkannt hätte.

9Soweit das Landgericht unter Ziffer V.2.b (1. Spiegelstrich) der Urteilsgründe Einzelfreiheitsstrafen von je einem Jahr und sechs Monaten festgesetzt hat für alle Taten, bei denen die ärztlich nicht indizierte Verschreibung den Grenzwert für die nicht geringe Menge von 7,5 Gramm Tetrahydrocannabinol überschritt (vgl. die tabellarische Darstellung unter Ziffer III.2. der Urteilsgründe, dort die Spalten 6 und 7), hat es versehentlich die Fälle 7, 92, 237, 321 und 325 als zu dem Kreis der betroffenen Taten gehörend kenntlich gemacht; zugleich hat es eine entsprechende Kenntlichmachung der Fälle 6, 236, 240 und 393 unterlassen. Der Senat stellt klar, dass das Landgericht wegen Überschreitens des vorgenannten Grenzwertes (auch) in den Fällen 6, 236, 240 und 393 Einzelfreiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und sechs Monaten verhängt hat, in den Fällen 7, 92, 237, 321 und 325 hingegen Einzelfreiheitsstrafen von je einem Jahr und zwei Monaten gemäß Ziffer V.2.b (4. Spiegelstrich) der Urteilsgründe.

106. Im Fall III.3. der Urteilsgründe hat das Landgericht den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt und dafür eine Einzelgeldstrafe von 120 Tagessätzen verhängt. Die Höhe des Tagessatzes hat es rechtsfehlerhaft nicht bestimmt. Dieser Festsetzung bedarf es jedoch auch dann, wenn – wie hier – aus Geld- und Freiheitsstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden ist (st. Rspr.; vgl. mwN). Ausgehend von den Feststellungen der Strafkammer zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten setzt der Senat, dem Antrag des Generalbundesanwalts folgend, in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO (vgl. ) die Tagessatzhöhe auf 10 Euro fest (§ 40 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 StGB).

117. Der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung teilweise nicht stand.

12a) Angesichts der Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten in den von der Teileinstellung betroffenen Fällen (vorstehend unter 2.) musste zunächst die daran anknüpfende Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.030 Euro entfallen.

13b) Darüber hinaus tragen die Feststellungen auch nicht die vom Landgericht angeordnete Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB in vollem Umfang. Danach stellte der Angeklagte in den dem geänderten Schuldspruch zugrunde liegenden Fällen 142 Erstverschreibungen im Jahr 2017, 81 Erstverschreibungen im Jahr 2018 und insgesamt 232 Folgeverschreibungen aus. Hierzu hat der Senat berücksichtigt, dass die Fälle 138, 371 und 372, die in der Tabelle unter Ziffer III.2. der Urteilsgründe als Erstverschreibungen erscheinen, tatsächlich Folgeverschreibungen betreffen, welche auf anderweitige Erstverschreibungen folgten, hinsichtlich derer das Landgericht das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt hat. Der Angeklagte hat danach einen Gesamtbetrag von 43.110 Euro erlangt.

14Der Senat setzt daher die Anordnung der Einziehung entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf einen Betrag von 43.110 Euro herab.

158. Auch das Berufsverbot als Arzt für den Bereich der Verschreibung von Betäubungsmitteln hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Die Strafkammer lässt bereits nicht erkennen, dass sie sich des ihr durch die Vorschrift des § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB auf der Rechtsfolgenseite eingeräumten Ermessens bewusst gewesen ist (UA S. 61; vgl. -, Rn. 7 m.w.N.). Es erschließt sich zudem nicht, weshalb allein die Anzahl der abgeurteilten Taten die Gefahr begründen soll, dass der Angeklagte weitere derartige Taten begeht (vgl. UA S. 5). So hat der 69-jährige Angeklagte seine Approbation als Arzt zurückgegeben. Laut den Strafzumessungserwägungen der Strafkammer soll eine Wiederholungsgefahr gerade nicht gegeben sein (UA S. 55, 59).“

16Dem schließt sich der Senat an.

179. Abschließend weist der Senat darauf hin, dass die Tat 426 der Anklageschrift vom , anders als von dem Generalbundesanwalt angenommen, zum Gegenstand des Urteils geworden (Ziffer III.2. Fall 411) und daher nicht bei dem Landgericht anhängig geblieben ist.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:200323B1STR266.22.0

Fundstelle(n):
wistra 2023 S. 3 Nr. 6
EAAAJ-37529