Nichtzulassungsbeschwerde - absoluter Revisionsgrund - Öffentlichkeit des Verfahrens - vorzeitiger Aufruf der Sache
Gesetze: § 72a ArbGG, § 72 Abs 2 Nr 3 Alt 1 ArbGG, § 137 Abs 1 ZPO, § 220 Abs 1 ZPO, § 547 Nr 5 ZPO, § 169 GVG
Instanzenzug: Az: 4 Ca 1984/19 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln Az: 2 Sa 215/21 Urteilnachgehend Az: 1 BvR 2385/22 Nichtannahmebeschlussnachgehend Az: 1 BvR 612/23 Nichtannahmebeschluss
Gründe
1Die Beschwerde hat - nur - in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Sie führt insoweit zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 72a Abs. 7 ArbGG). Im Übrigen bleibt die Beschwerde erfolglos.
2I. Zu 3.1.2.1 der Beschwerdebegründung zeigt der Kläger nicht auf, dass das Landesarbeitsgericht die auf Seite 5 der Beschwerdebegründung formulierte Fragestellung verneint hat. Vielmehr ist es ersichtlich - und von der Beschwerde ausdrücklich selbst für möglich gehalten - nicht von einer Maßregelung des Klägers iSv. § 16 Abs. 1 Satz 1 AGG durch die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Parteien ausgegangen. Erst recht hat es offenkundig nicht auf die bloße Stellung des Auflösungsantrags durch den Beklagten abgestellt.
3II. Die zu 3.1.2.2 der Beschwerdebegründung erhobene Rüge greift ebenfalls nicht durch. Das Berufungsgericht hat Art. 17 DSGVO nicht für unanwendbar gehalten. Vielmehr hat es das diesbezügliche Vorbringen des Klägers übergangen (siehe unten Rn. 9).
4III. Die zu 3.2.2 bis 3.2.4 sowie 3.2.6 der Beschwerdebegründung vom Kläger erhobenen Rügen der Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG iVm. Art. 103 Abs. 1 GG greifen nicht durch. Insofern sieht der Senat nach § 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG von einer Begründung gänzlich ab, weil diese nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist. Weitere Ausführungen sind weder aus verfassungsrechtlichen noch aus konventionsrechtlichen Gründen geboten (vgl. ua. - Rn. 6; - 2 BvR 792/11 - Rn. 19, 25; - 1 BvR 1382/10 - Rn. 12 ff.).
5IV. Ohne Erfolg bleibt auch die zu 3.3 der Beschwerdebegründung erhobene Rüge des Vorliegens eines absoluten Revisionsgrundes nach § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG iVm. § 547 Nr. 5 ZPO. Das Landesarbeitsgericht hat nicht die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens (§§ 169 ff. GVG) verletzt. Das gilt auch, wenn es die Sache am Verhandlungstag bereits vor 09:30 Uhr aufgerufen und sogar die Anträge der Parteien schon vorher aufgenommen haben sollte.
61. Der Grundsatz der Öffentlichkeit soll gewährleisten, dass sich die Rechtsprechung der Gerichte grundsätzlich „in aller Öffentlichkeit“, nicht hinter verschlossenen Türen, abspielt. Er dient letztlich der Kontrolle der Gerichte (vgl. - Rn. 10). Entsprechend diesem Sinn ist der Grundsatz der Öffentlichkeit gewahrt, wenn die Verhandlung in Räumen stattfindet, zu denen während der Dauer der Verhandlung grundsätzlich jedermann der Zutritt offensteht ( - BFHE 121, 392). Die Beschwerde zieht nicht in Zweifel, dass dies - zumal angesichts der Verhandlung bei „offener Tür“ - vorliegend der Fall war.
72. Dagegen erfordert der Grundsatz der Öffentlichkeit nicht, dass jedermann weiß, wann und wo eine mündliche Verhandlung stattfindet ( - zu 2 der Gründe; - zu 3 c der Gründe; - VII R 122/73 - BFHE 121, 392). Der Schutz des Vertrauens in Terminankündigungen wird von ihm nicht erfasst ( - aaO; - zu 3 der Gründe; - 1 StR 553/83 - zu 3 der Gründe). Denn die Kontrolle des Verfahrensgangs durch die Allgemeinheit wird durch die bloße Abweichung von einer gerichtlichen Terminankündigung nicht beeinträchtigt (vgl. III-3 RBs 149/12 - zu II der Gründe).
83. Das Landesarbeitsgericht hat, selbst wenn es die Sache vorzeitig aufgerufen (§ 220 Abs. 1 ZPO) und vor allem vorzeitig die Anträge der Parteien aufgenommen haben sollte (§ 137 Abs. 1 ZPO), auch nicht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Denn dessen Prozessbevollmächtigter war bereits bei Aufruf der Sache anwesend und hat sich durch seine nachfolgende Antragstellung rügelos iSv. § 295 Abs. 1 ZPO eingelassen. Damit liegt nicht einmal - mehr - ein mit einer zugelassenen Revision zu rügender Verfahrensfehler vor (vgl. MüKoZPO/Stackmann 6. Aufl. § 220 Rn. 3). Erst recht kann unter diesem Gesichtspunkt die vorliegende Beschwerde keinen Erfolg haben.
9V. Demgegenüber greift die zu 3.2.5 der Beschwerdebegründung geführte Rüge in Bezug auf die Klageanträge zu 9. bis 13. (Entfernung von Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers) durch. Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Annahme, diese - von ihm nicht etwa iSv. § 321 ZPO übergangenen - Klageanträge fielen nicht zur Entscheidung an, weil sie von der Auflösung des Arbeitsverhältnisses abhängig seien, den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (§ 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG). Es hat dessen mit der eigenen, fettgedruckten Überschrift „Entfernung der Abmahnungen nach Ende des Arbeitsverhältnisses“ versehenes Vorbringen auf Seite 122 f. der Berufungsbegründung (2.4.2.2.3) dazu übergangen, warum die Abmahnungen (gerade) auch im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien sowohl nach §§ 241, 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB als auch gemäß Art. 17 DSGVO aus der Personalakte des Klägers zu entfernen seien. Der darin liegende Gehörsverstoß ist für die Entscheidung über die Klageanträge zu 9. bis 13. erheblich. Nach dem betreffenden Vorbringen durfte das Landesarbeitsgericht keinesfalls von unechten Hilfsanträgen für den Fall des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses ausgehen.
10VI. Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass dem Landesarbeitsgericht die Schriftsätze aus dem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht vorliegen.
11VII. Von einer weiteren Begründung wird nach § 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG abgesehen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2022:241122.B.2AZN335.22.0
Fundstelle(n):
BB 2023 S. 1268 Nr. 22
NJW 2023 S. 10 Nr. 25
NAAAJ-37231