Vernehmung eines Sachverständigen vor Unterbringung in Entziehungsanstalt
Gesetze: § 244 Abs 4 StPO, § 246a StPO, § 64 StGB
Instanzenzug: Az: 7 KLs 221 Js 90690/20
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln und wegen Besitzes kinderpornografischer Inhalte in Tateinheit mit Besitz jugendpornografischer Inhalte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Das Absehen von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3a) Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 Satz 1 StGB genügt eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Wenngleich erhebliche Beeinträchtigungen der Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden indizielle Bedeutung für einen Hang haben und in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise einen Hang aus (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 327/21 Rn. 7; vom – 3 StR 352/20 Rn. 8 und vom – 6 StR 212/21 Rn. 5; je mwN). Vielmehr kann ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln jedenfalls auch dann festzustellen sein, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint, was bei einem Betäubungsmittelkonsumenten insbesondere im Bereich der Beschaffungskriminalität in Betracht kommt (vgl. Rn. 7 mwN).
4b) Das Landgericht hat – ohne Hinzuziehung sachverständiger Hilfe – bereits einen Hang mit der knappen Begründung verneint, die Abhängigkeit des Angeklagten von Cannabis sei niederschwellig und er könne seinen Konsum kontrollieren; er habe ohne Einschränkung als Sportlehrer und als Fitnesstrainer arbeiten sowie daneben ausgiebig Sport treiben können (UA S. 17, 14). Diese Erwägungen lassen besorgen, dass die Strafkammer nicht den zutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt hat. Tatsächlich konsumierte der Angeklagte in den Jahren vor seiner Verhaftung täglich Cannabis; der Betäubungsmittelhandel diente neben dem Bestreiten seines Lebensunterhalts der Finanzierung seines Eigenkonsums (UA S. 5). Angesichts dieser Umstände hätte das Landgericht einen Hang jedenfalls nicht ohne ein Sachverständigengutachten ablehnen dürfen.
52. Da auch die weiteren Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht von vornherein zu verneinen sind, muss unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) neu verhandelt und entschieden werden.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:260122B1STR1.22.0
Fundstelle(n):
IAAAJ-36910