Berücksichtigung des Erziehungsgedankens bei Bemessung der Jugendstrafe; Unterbringung in Entziehungsanstalt
Gesetze: § 64 S 1 StGB, § 5 Abs 3 JGG, § 18 Abs 2 JGG
Instanzenzug: Az: 4 KLs 41 Js 56092/21 jug
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Begründung, mit der die Strafkammer die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat, erweist sich als rechtsfehlerhaft.
3Der – wovon auch der psychiatrische Sachverständige ausgegangen ist – alkoholkranke Angeklagte hat eine schwere Gewalttat begangen. Vor diesem Hintergrund ist die Wertung des Landgerichts nicht verständlich, es fehle an einer Gefahr der Begehung künftiger erheblicher Straftaten aufgrund des Hangs. Zutreffend hat das Landgericht erkannt, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die von § 64 Satz 1 StGB geforderte Gefahr in aller Regel schon allein durch eine hangbedingte schwere Gewalttat als Anlasstat hinreichend belegt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 509/14 Rn. 2 mwN; vom – 4 StR 464/03 Rn. 6 und vom – 5 StR 289/00 Rn. 2). Nicht nachvollziehbar hat es die Gefahr der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten lediglich aufgrund der Angaben des Angeklagten selbst, seiner Eltern, seines Bruders und der mit ihm (dem Angeklagten) befreundeten Zeugen K. , Kü. , A. , H. , J. und Hä. verneint, zuvor sei der Angeklagte – auch unter Alkoholeinfluss bzw. in betrunkenem Zustand – noch nie gewalttätig gewesen (UA S. 27). Außer Betracht gelassen hat das Landgericht in diesem Zusammenhang die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen, wonach der Angeklagte aufgrund der Störungen in seiner Identitätsentwicklung „eigene aggressive Anteile […] überhaupt nicht wahr[nehme]“. Der Angeklagte habe ein „Pseudo-Selbst“ entwickelt; „sein Bild von sich als höflich, nett und sozial engagiert stimme nicht mit der Realität überein“ (UA S. 20). Weiter hat das Landgericht es unterlassen, Feststellungen zu der Tat zu treffen, aufgrund derer der Angeklagte mit Urteil vom durch das Amtsgericht Waiblingen zur Erbringung von Arbeitsleistungen wegen Sachbeschädigung verurteilt worden war. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass diese Tat gleichfalls Aufschluss geben könnte über ein etwaiges Aggressionspotential des Angeklagten.
42. Bereits wegen des durch § 5 Abs. 3 JGG vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung ist auch der Strafausspruch aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 111/17 Rn. 3; vom aaO Rn. 4; vom – 3 StR 42/12 Rn. 2 und vom – 4 StR 152/03 Rn. 3).
5Insoweit hätten jedoch auch für sich genommen Bedenken bestanden. Denn die Erwägungen des Landgerichts zur Höhe der – als solches rechtsfehlerfrei – wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe lassen besorgen, dass es die nach § 18 Abs. 2 JGG stets vorrangigen erzieherischen Gesichtspunkte nicht hinreichend in den Blick genommen und das Gewicht des Tatunrechts nicht gegen die Folgen der Strafe gerade für die weitere Entwicklung des im Tatzeitpunkt noch jugendlichen Angeklagten abgewogen hat. Der Erziehungsgedanke ist bei der Bemessung der Jugendstrafe jedoch stets einzustellen; die Urteilsgründe müssen in jedem Fall erkennen lassen, dass ihm die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist (BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 452/18 Rn. 5 und vom – 1 StR 95/16 Rn. 5, 7 mwN). Im Widerspruch hierzu hat das Landgericht die Strafzumessung wesentlich an solchen Erwägungen ausgerichtet, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen.
6Nicht erörtert hat es hingegen, dass die persönliche und schulische Laufbahn des mit seiner Familie eng verbundenen Angeklagten bis zum Februar 2019 zunächst unauffällig verlief, als der Angeklagte – nach Wechsel der Schulform ein Jahr zuvor – die Schule „aufgrund fehlender Motivation“ verließ, ferner dass er dessen ungeachtet schon im Sommer desselben Jahres beschloss, den Schulbesuch fortzusetzen. Diesen Entschluss setzte der Angeklagte unmittelbar und – mit dem Erwerb des Realschulabschlusses im Sommer 2021 – auch erfolgreich um; für seine weitere schulische und berufliche Ausbildung hegt er Pläne. Einen Teil der Prüfungsleistungen muss der Angeklagte, der sich seit dem in dieser Sache in Untersuchungshaft befindet, aus der Haft heraus erbracht haben. Nicht zuletzt in dieser Hinsicht hätte das Landgericht Anlass gehabt, auch die erzieherische Wirkung der erlittenen Untersuchungshaft in die Strafzumessungserwägungen einzustellen (vgl. aaO Rn. 7).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:280722B1STR108.22.0
Fundstelle(n):
PAAAJ-36883