Unterbringung in Entziehungsanstalt bei suchtgefährdendem Gebrauch von Alkohol und Kokain
Gesetze: § 64 StGB
Instanzenzug: LG Verden Az: 10 KLs 10/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes sowie versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilaufhebung (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Entscheidung, von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3a) Die Strafkammer hat sich zur Begründung den Ausführungen der Sachverständigen angeschlossen, dass bereits das Vorliegen eines Hanges zweifelhaft sei. Der Angeklagte leide lediglich unter einem schädlichen und suchtgefährdenden Gebrauch von Alkohol (ICD-10: F10.1) und Kokain (ICD-10: F14.1). Eine „süchtige Bindung zu Alkohol und Kokain“ bestehe hingegen nicht. Er habe nie Entzugserscheinungen gezeigt, sei jederzeit in der Lage gewesen, seinen Alkohol- und Kokainkonsum zu kontrollieren und habe weder beruflich noch privat konsumbedingte Einschränkungen erlitten. Im Übrigen liege auch kein symptomatischer Zusammenhang vor zwischen „der ohnehin nicht bestehenden Alkohol- und Kokainabhängigkeitserkrankung oder des Missbrauchsverhaltens und den begangenen Taten, weil er diese nicht durchführte, um einen (ohnehin nicht) bestehenden Suchtdruck zu stillen, sondern infolge häufiger Geldknappheit Barmittel benötigte“.
4b) Dies lässt besorgen, dass das Landgericht bei der Prüfung, ob ein Hang im Sinne des § 64 StGB vorliegt, einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt hat.
5Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 18/21 Rn. 4; vom – 6 StR 28/20 Rn. 12 und vom – 1 StR 604/16, StV 2017, 672, 673). Die Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Arbeits- und Leistungsfähigkeit sowie der Verlust über die Kontrolle des Alkoholkonsums haben zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs, deren Fehlen schließt ihn jedoch nicht aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 90/21 Rn. 4 und vom , aaO).
6Danach kann angesichts der weiteren Feststellungen zu dem Konsumverhalten des Angeklagten ein Hang nicht ausgeschlossen werden.
7b) Der erforderliche symptomatische Zusammenhang bestünde auch bei einer Mitursächlichkeit der Intoxikation für die Begehung der Tat (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 270/20 Rn. 1; vom – 4 StR 330/19 Rn. 14 f. mwN). Diese liegt nahe, weil das Landgericht bei allen Taten eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten (§ 21 StGB) aufgrund einer „Intoxikationspsychose“ angenommen hat (vgl. Rn. 6, NStZ-RR 2020, 338).
82. Die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. , BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:230222B6STR15.22.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-36879