Schiedsrichterliches Verfahren: Bildung eines nicht-ständigen Schiedsgerichts; Zulässigkeit des Antrags auf Feststellung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens nach Konstituierung des Schiedsgerichts
Leitsatz
1. Ein nicht-ständiges Schiedsgericht ist im Sinne des § 1032 Abs. 2 ZPO gebildet, wenn alle Schiedsrichter bestellt sind. Es kommt nicht darauf an, ob der Antragsteller des Verfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO hiervon Kenntnis hat.
2. Der Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO kann ab der vollständigen erstmaligen Konstituierung des Schiedsgerichts nicht mehr in zulässiger Weise gestellt werden. Spätere Wechsel in der Zusammensetzung desselben Schiedsgerichts, etwa durch Ernennung eines Ersatzschiedsrichters nach § 1039 Abs. 1 ZPO, führen nicht dazu, dass ein solcher Antrag erneut zulässig wird.
Gesetze: § 1032 Abs 2 ZPO, § 1039 Abs 1 ZPO
Instanzenzug: Hanseatisches Az: 6 Sch 3/22
Gründe
1I. Die in Polen ansässige Antragstellerin verhandelte im Sommer 2021 mit der in Deutschland ansässigen Antragsgegnerin über den Verkauf von Sojabohnenkuchen. Am übersandte die Antragsgegnerin der Antragstellerin per E-Mail einen Kaufvertrag. Dieser enthält eine Schiedsklausel, mit der die Zuständigkeit des Schiedsgerichts des Vereins der Getreidehändler der Hamburger Börse e.V. (nachfolgend auch: Verein) begründet werden soll. Die Antragsgegnerin meint, der Kaufvertrag und die Schiedsvereinbarung seien wirksam zustande gekommen; die Antragstellerin ist der Ansicht, es handle sich um eine einseitige Erklärung der Antragsgegnerin. Die Antragstellerin belieferte die Antragsgegnerin nicht.
2Die Antragsgegnerin reichte beim Schiedsgericht des Vereins (nachfolgend auch: Schiedsgericht) gegen die Antragstellerin Schiedsklage auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 158.180 € wegen Nichterfüllung des ihrer Meinung nach geschlossenen Kaufvertrags ein. Die Schiedsgerichtsordnung für das Schiedsgericht des Vereins (nachfolgend: Schiedsgerichtsordnung) lautet auszugsweise wie folgt:
(1) Das Schiedsgericht entscheidet in der Besetzung von drei Schiedsrichtern, ...
(2) Jede Partei ernennt einen Schiedsrichter. Es wird empfohlen, diese aus den von der Börse bzw. dem Verein aufgestellten Schiedsrichterlisten zu entnehmen. Der Obmann wird durch den Vorsitzenden des Vorstands oder dessen Beauftragten ernannt. In einem Verfahren zwischen einem Mitglied und einem Nichtmitglied kann jede Partei verlangen, dass die Ernennung des Obmanns durch die Handelskammer Hamburg erfolgt. Ein derartiger Antrag muss bis zum Ablauf der Frist für die Ernennung des Gegenschiedsrichters gestellt werden. Anderenfalls erfolgt die Ernennung des Obmanns gemäß Satz 2.
(3) Die Ernennung der Schiedsrichter durch die Parteien erfolgt nach den Vorschriften der §§ 6 und 7. Erfolgt die Ernennung nicht innerhalb der vorgeschriebenen Fristen, so ernennt der Vorsitzende des Vorstands oder dessen Beauftragter den Schiedsrichter für die Partei, die von ihrem Ernennungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat. In einem Verfahren zwischen einem Mitglied und einem Nichtmitglied erfolgt die Ernennung des Zwangsschiedsrichters durch die Handelskammer Hamburg.
(4) Bis zur Ernennung des Schiedsrichters durch den Vorsitzenden des Vorstands oder dessen Beauftragten kann eine verspätete Ernennung des Schiedsrichters durch die säumige Partei noch berücksichtigt werden.
3Die Antragsgegnerin hat vorgebracht, beim Verein ein als Schiedsklage bezeichnetes Schreiben vom eingereicht zu haben, das einen Klageantrag und die Benennung eines Schiedsrichters, aber noch keine Klagebegründung enthalten habe.
4Am übersandte die Antragsgegnerin dem Schiedsgericht ein Schreiben "zur bereits am [gemeint 2022] eingereichten Schiedsklage", das - neben dem Klageantrag und der Schiedsrichterbenennung - eine Klagebegründung enthält.
5Der Verein informierte die Parteien mit Schreiben vom , dass die Handelskammer Hamburg auf Bitte des Vereins mit Schreiben vom nach § 2 Abs. 3 der Schiedsgerichtsordnung für die Antragstellerin einen Zwangsschiedsrichter ernannt und sich das Schiedsgericht am konstituiert habe.
6Aufgrund eines Schreibens der Antragstellerin vom wurde der von der Handelskammer Hamburg ernannte Zwangsschiedsrichter durch einen von der Antragstellerin benannten Schiedsrichter und der durch den Vorstandsvorsitzenden des Vereins oder dessen Beauftragten ernannte Obmann durch einen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 4 der Schiedsgerichtsordnung von der Handelskammer Hamburg ernannten Obmann ersetzt.
7Mit Schreiben vom teilte der Verein dies den Parteien mit und führte aus:
Somit wird die Konstituierung vom zurückgezogen und das Schiedsgericht setzt sich nunmehr wie folgt zusammen: …
8Die Antragstellerin hat beim Oberlandesgericht am einen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens gestellt. Das Oberlandesgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin, deren Zurückweisung die Antragsgegnerin beantragt.
9II. Das Oberlandesgericht hat den Antrag wegen Verspätung für unzulässig gehalten und zur Begründung - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren relevant - ausgeführt:
10Bei dem Schiedsgericht des Vereins der Getreidehändler der Hamburger Börse e.V. handle es sich nicht um ein ständiges Schiedsgericht, weil nach der Schiedsgerichtsordnung für jede neue Streitigkeit ein Schiedsgericht in der Besetzung von drei Schiedsrichtern gebildet werden müsse. Das Schiedsgericht habe sich am konstituiert gehabt und der Zeitkorridor für die Antragstellung nach § 1032 Abs. 2 ZPO sei daher abgelaufen gewesen, bevor der Feststellungsantrag der Antragstellerin am bei Gericht eingegangen sei. Aus den Schreiben vom und ergebe sich, dass für die Antragstellerin durch die Handelskammer Hamburg ein Zwangsschiedsrichter ernannt und der Obmann durch den Vorstandsvorsitzenden des Vereins oder dessen Beauftragten ernannt worden sei. Dem Schreiben vom lasse sich nicht entnehmen, dass die vorangegangene Konstituierung als von Anfang an ungültig angesehen worden sei. Gegen eine solche Rückwirkung spreche auch die Verwendung des Worts "nunmehr" bei der Vorstellung der geänderten Zusammensetzung des Schiedsgerichts.
11III. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 1065 Abs. 1 Satz 1, § 1062 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1, § 1032 Abs. 2 ZPO) und auch sonst zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Sie ist jedoch unbegründet. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens zu Recht für unzulässig gehalten.
121. Nach § 1032 Abs. 2 ZPO kann beim Oberlandesgericht bis zur Bildung des Schiedsgerichts Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens gestellt werden. Wird der Antrag danach gestellt, ist er unzulässig. Steht die Zulässigkeit des Verfahrens vor einem ständigen Schiedsgericht in Rede, so kommt es für die Anwendbarkeit des § 1032 Abs. 2 ZPO nicht auf dessen Bildung, sondern darauf an, ob sich das Schiedsgericht bereits mit der Sache befasst hat (vgl. , NJW-RR 2018, 1402 [juris Rn. 8] mwN). Allerdings ist nicht jedes bei einer Institution angegliederte Schiedsgericht ein ständiges Schiedsgericht in diesem Sinne. Entscheidend ist, ob das Schiedsgericht dauerhaft besetzt ist und daher nicht für den Streitfall gebildet werden muss.
132. Das Oberlandesgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass das im Streitfall angerufene Schiedsgericht des Vereins der Getreidehändler der Hamburger Börse e.V. kein ständiges Schiedsgericht ist. Dies folgt aus § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 bis 3 der Schiedsgerichtsordnung, der die Bildung eines dreiköpfigen Schiedsgerichts vorsieht, das im Regelfall aus je einem von den Parteien zu ernennenden Schiedsrichter und einem vom Vorstandsvorsitzenden des Vereins oder dessen Beauftragten zu ernennenden Obmann besteht. Die in § 2 Abs. 2 Satz 4 bis 6, Abs. 3 und 4 der Schiedsgerichtsordnung vorgesehenen ergänzenden Regelungen führen zu keiner abweichenden Beurteilung.
143. Bei Stellung des Antrags auf Feststellung der Unzulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens am ist das Schiedsgericht bereits im Sinne des § 1032 Abs. 2 ZPO gebildet gewesen.
15a) Ein nicht-ständiges Schiedsgericht ist im Sinne des § 1032 Abs. 2 ZPO gebildet, wenn alle Schiedsrichter bestellt sind (vgl. Voit in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 1032 Rn. 10; MünchKomm. ZPO/Münch, 6. Aufl., § 1032 Rn. 30; Zöller/Geimer, ZPO, 34. Aufl., § 1032 Rn. 25; Prütting in Prütting/Gehrlein, ZPO, 14. Aufl., § 1032 Rn. 6; Dietrich in Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl., § 1032 Rn. 19). Die Schiedsrichter müssen nicht nur benannt sein, sondern ihr Amt auch angenommen haben (vgl. BeckOK. ZPO/Wolf/Eslami, 47. Edition [Stand ], § 1032 Rn. 33; MünchKomm. ZPO/Münch aaO § 1032 Rn. 30 mit Fn. 147; Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 1032 Rn. 9; Schlosser in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 1032 Rn. 41; Lachmann, Handbuch der Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl., Rn. 675). Es kommt nicht darauf an, ob der Antragsteller des Verfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO hiervon Kenntnis hat (aA wohl Schlosser in Stein/Jonas aaO § 1032 Rn. 41 mwN). Maßgebender Zeitpunkt für die Frage, ob das Schiedsgericht bereits gebildet ist, ist der des Antragseingangs beim Oberlandesgericht (vgl. , SchiedsVZ 2011, 281 [juris Rn. 10]).
16b) Im Streitfall hat das Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass sich das Schiedsgericht am - und damit vor Eingang des Antrags beim Oberlandesgericht am - konstituiert hatte. Auf die Frage, ob die Antragstellerin - wie von ihr behauptet - erst mit der Übersendung des Schreibens vom und damit nach der Konstituierung des Schiedsgerichts Kenntnis von der Schiedsklage erhalten hat, kommt es insoweit nicht an.
17Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde liegt hierin keine unzulässige Verkürzung des Rechtsschutzes der Antragstellerin. Ab der Konstituierung des Schiedsgerichts hat ihr der Rechtsbehelf des § 1040 Abs. 2 und 3 ZPO zur Verfügung gestanden, mit dem die Unzulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens ebenfalls geltend gemacht werden kann. Nach § 1040 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die Rüge der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts spätestens mit der Klagebeantwortung vorzubringen; das Schiedsgericht kann nach § 1040 Abs. 2 Satz 4 ZPO eine spätere Rüge zulassen, wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt. Das Schiedsgericht entscheidet, wenn es sich für zuständig hält, über die Rüge in der Regel durch Zwischenentscheid, gegen den jede Partei innerhalb eines Monats nach schriftlicher Mitteilung beim Oberlandesgericht gemäß § 1040 Abs. 3 Satz 1 und 2, § 1062 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO gerichtliche Entscheidung beantragen kann. Es entspricht danach der Konzeption des Gesetzes, dass das bereits bestehende Schiedsgericht zunächst selbst gemäß § 1040 Abs. 2 ZPO über seine Zuständigkeit befindet (vgl. Voit in Musielak/Voit aaO § 1032 Rn. 10).
184. Der spätere Wechsel in der Zusammensetzung des Schiedsgerichts hat die Zulässigkeit eines Antrags nach § 1032 Abs. 2 ZPO nicht erneut eröffnet.
19a) Der Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO kann ab der vollständigen erstmaligen Konstituierung des Schiedsgerichts nicht mehr in zulässiger Weise gestellt werden. Spätere Wechsel in der Zusammensetzung desselben Schiedsgerichts, etwa durch Ernennung eines Ersatzschiedsrichters nach § 1039 Abs. 1 ZPO, führen nicht dazu, dass ein solcher Antrag erneut zulässig wird. Das gilt selbst dann, wenn alle Schiedsrichter ausscheiden. Anders verhält es sich nur, wenn das Schiedsgericht als solches neu gebildet wird, etwa nach einer Beendigung des schiedsrichterlichen Verfahrens im Sinne des § 1056 Abs. 3 ZPO (vgl. MünchKomm. ZPO/Münch aaO § 1032 Rn. 30).
20b) Das Oberlandesgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der spätere Wechsel von zwei Schiedsrichtern im Streitfall nicht zu einer erneuten Bildung des Schiedsgerichts geführt hat. Wäre der Wechsel - wie von der Antragsgegnerin vorgebracht - im beiderseitigen Einverständnis erfolgt, stellte dies eine Aufhebung des Amts der beiden betroffenen Schiedsrichter durch Vereinbarung der Parteien dar, die unter die Vorschrift des § 1039 Abs. 1 Satz 1 ZPO fiele. Hätte der Verein - wie von der Antragstellerin vertreten - die Konstituierung des Schiedsgerichts vom wegen offensichtlicher Verfahrensfehler zurückgezogen, wäre auch dadurch die damalige Bildung des Schiedsgerichts nicht ex tunc hinfällig geworden. Die Behebung etwaiger Fehler bei der Bildung des Schiedsgerichts änderte nichts daran, dass das mit der Sache befasste Schiedsgericht zu jeder Zeit über eine Zuständigkeitsrüge nach § 1040 Abs. 2 Satz 1 ZPO hätte entscheiden können. Auf den Wortlaut des Schreibens vom kommt es in diesem Zusammenhang nicht entscheidend an.
21IV. Danach ist die Rechtsbeschwerde mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
22V. Der Wert des Beschwerdegegenstands ist auf ein Fünftel des Hauptsachewerts festzusetzen (vgl. , SchiedsVZ 2020, 50 [juris Rn. 26]).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:090223BIZB62.22.0
Fundstelle(n):
BB 2023 S. 1483 Nr. 26
BB 2023 S. 833 Nr. 16
WM 2024 S. 362 Nr. 8
ZIP 2024 S. 208 Nr. 4
QAAAJ-36874