BGH Beschluss v. - XII ZB 228/22

Leitsatz

1. Wird ein Wiedereinsetzungsantrag auf einen vorübergehenden Funktionsausfall eines Computers gestützt, bedarf es näherer Darlegungen zur Art des Defekts und seiner Behebung (im Anschluss an , NJW 2004, 2525).

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten bzw. seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 701/10, NJW 2011, 1972).

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 130d ZPO, § 233 ZPO, § 236 ZPO, § 113 Abs 1 S 2 FamFG, § 117 Abs 1 S 4 FamFG, § 117 Abs 5 FamFG

Instanzenzug: OLG Rostock Az: 11 UF 168/21vorgehend AG Neubrandenburg Az: 208 F 572/19

Gründe

I.

1Das antragstellende Land verlangt vom Antragsgegner Zahlung von Kindesunterhalt aus übergegangenem Recht wegen geleisteter Unterhaltsvorschusszahlungen. Das Amtsgericht hat den Antragsgegner antragsgemäß zur Zahlung verpflichtet. Gegen den ihm am zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner form- und fristgemäß Beschwerde eingelegt.

2Auf Antrag des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners hat das Oberlandesgericht die Frist zur Begründung der Beschwerde bis einschließlich verlängert. Die Beschwerdebegründung des Antragsgegners ist am um 0:03 Uhr per besonderem elektronischen Anwaltspostfach beim Oberlandesgericht eingegangen.

3Nachdem der Antragsgegner auf die Unzulässigkeit seiner Beschwerde wegen des verspäteten Eingangs der Beschwerdebegründung hingewiesen worden ist, hat er wegen der versäumten Beschwerdebegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

4Zur Begründung hat er vorgetragen, sein Verfahrensbevollmächtigter habe die Beschwerdebegründung nicht fristgerecht einreichen können, weil die verwendete Computertechnik am Tage des Fristablaufes von 23:54 Uhr bis 23:58 Uhr nicht mehr funktioniert habe. Sein Verfahrensbevollmächtigter habe gegen 23:50 Uhr die PDF-Datei mit der Beschwerdebegründung über die Weboberfläche des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs hochladen und an das Oberlandesgericht digital übermitteln wollen. Dabei sei es zu einem nicht mehr nachvollziehbaren Problem mit dem verwendeten Laptop gekommen, sodass die Beschwerdebegründung erst nach Neustart des Computers habe übersandt werden können. Der IT-Berater seines Verfahrensbevollmächtigten, den dieser am Tage nach dem Fristablauf zu Rate gezogen habe, habe festgestellt, dass der verwendete Laptop bereits am Tage des Fristendes um 23:20 Uhr begonnen habe, Fehlermeldungen aufzuzeichnen. Er habe die aufgezeichneten Fehler aber nicht benennen können. Die Aufzeichnung der Warnungen hätten mit dem Neustart des Gerätes um 23:54 Uhr geendet. Der Ausfall der Computerhardware sei für seinen Verfahrensbevollmächtigten nicht vorhersehbar gewesen.

5Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit der Rechtsbeschwerde.

II.

6Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

7Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 2, 117 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 5 FamFG iVm §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt den Antragsgegner weder in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) noch in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip).

81. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung Folgendes ausgeführt: Die Beschwerdebegründungfrist sei nicht eingehalten, weil der Beschwerdebegründungsschriftsatz erst nach Ablauf der bis verlängerten Begründungsfrist beim Oberlandesgericht eingegangen sei.

9Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist könne dem Antragsgegner nicht gewährt werden. Der Antragsgegner habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass seinen Verfahrensbevollmächtigten kein Verschulden treffe. Die Möglichkeit, dass ein Fehler in der Bedienung des Programms vorgelegen habe oder Wartungsdefizite der Hard- und Software ursächlich gewesen seien, die der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners verschuldet habe, sei ebenso wahrscheinlich, wie das vom Antragsgegner behauptete spontane Auftreten eines Hardwarefehlers, der sich nach etwa 30 Minuten ohne weitere Maßnahmen von selbst behoben habe. Es bestehe somit keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners kein Verschulden treffe. Der Antragsgegner habe in der Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages selbst angegeben, dass auch der die IT-Technik der Kanzlei des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners betreuende Berater nach Kontrolle des maßgeblichen Laptops die Ursachen der im Ereignisprotokoll aufgezeichneten Fehler nicht habe feststellen können. Der Wiedereinsetzungsantrag des Antragsgegners verhalte sich auch nicht dazu, ob der für den Versand des Beschwerdebegründungsschriftsatzes per beA zum Einsatz gekommene Laptop nach dem Vorfall einer technischen Wartung oder Reparatur unterzogen worden sei und ob das Gerät vor dem Vorfall stets einwandfrei funktioniert habe. Nach alledem sei ein dem Antragsgegner zuzurechnendes Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten an der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist nicht auszuschließen.

102. Diese Ausführungen halten sich im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

11a) Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zu Recht gemäß §§ 112 Nr. 1, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen, weil der Antragsgegner diese nicht innerhalb der bis zum verlängerten Beschwerdebegründungsfrist begründet hat.

12b) Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Oberlandesgericht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde abgelehnt.

13aa) Nach §§ 117 Abs. 5 FamFG, 233 Satz 1 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein Verfahrensbeteiligter ohne sein Verschulden verhindert war, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten. Das Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten ist dem Beteiligten zuzurechnen (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO). Der Verfahrensbeteiligte muss die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen glaubhaft machen (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 236 Abs. 2 ZPO). Dabei verlangt ein auf einen vorübergehenden „Computer-Defekt” oder „Computer-Absturz” gestützter Wiedereinsetzungsantrag nähere Darlegungen zur Art des Defekts und seiner Behebung (vgl. - NJW 2004, 2525, 2526). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten bzw. seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 701/10 - NJW 2011, 1972 Rn. 8 mwN).

14bb) Gemessen hieran ist die Auffassung des Beschwerdegerichts, der Antragsgegner habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass sein Verfahrensbevollmächtigter die Fristversäumung nicht verschuldet hat, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

15Zwar stellen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht vorhersehbare und nicht vermeidbare Störungen einer EDV-Anlage einen Wiedereinsetzungsgrund dar, wenn sie das rechtzeitige Erstellen oder Absenden eines Schriftsatzes verhindern (BGH Beschlüsse vom - VII ZB 67/15 - FamRZ 2018, 281 Rn. 23 und vom - V ZB 75/13 - NJW-RR 2015, 1196 Rn. 10 mwN). Nach dem vom Antragsgegner zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags gehaltenen Vortrag besteht jedoch im vorliegenden Fall nicht die zur Glaubhaftmachung erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 227/21 - FamRZ 2022, 647 Rn. 11 mwN) dafür, dass der Computerdefekt auf einem unvorhersehbaren und nicht vermeidbaren Fehler der verwendeten Hard- oder Software beruhte.

16Der Antragsgegner räumt in seinem Wiedereinsetzungsantrag selbst ein, dass der Grund für die Funktionsstörung des verwendeten Laptops letztlich nicht aufgeklärt werden konnte. Auch dem von seinem Verfahrensbevollmächtigten beauftragten IT-Berater war es nach Auswertung der im Ereignisprotokoll aufgezeichneten Fehler nicht möglich, eine Ursache für den Computerabsturz zu benennen. Aus dem Vortrag des Antragsgegners ergibt sich weiter, dass der Laptop offensichtlich vor dem hier maßgeblichen Zeitraum fehlerfrei funktionierte, es nach dem Neustart des Computers auch zu keinen weiteren Funktionsstörungen mehr kam und eine Reparatur oder Wartung des Laptops nicht erforderlich war.

17Für die Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax hat der Bundesgerichtshof jedoch bereits entschieden, dass ein einen Bedienungsfehler ausschließendes, auf einem technischen Defekt beruhendes Spontanversagen eines Faxgeräts nicht hinreichend glaubhaft gemacht wird, wenn vor und nach dem erfolglosen Versuch der Übermittlung eines Schriftsatzes erfolgreiche Übermittlungen an die jeweiligen Empfänger stattgefunden haben, ohne dass zwischenzeitlich eine technische Wartung oder Reparatur erfolgt ist ( - NJW 2007, 601 Rn. 12). Unter diesen Umständen begegnet die Annahme des Beschwerdegerichts, dass ein von dem Verfahrensbevollmächtigten verschuldeter Bedienfehler mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein unerwartet aufgetretener Hard- oder Softwarefehler, der sich nach 30 Minuten ohne weitere Maßnahmen von selbst behoben hat, keinen rechtlichen Bedenken.

18Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde spricht gegen einen vom Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners verschuldeten Bedienfehler auch nicht, dass dieser mit dem elektronischen Versand und der Signierung von Schriftstücken über den hier eingesetzten Laptop vertraut war. Im vorliegenden Fall nutzte der Verfahrensbevollmächtigte zur Fertigung und Übermittlung der Beschwerdebegründungsschrift einen aufwendigen Weg, obwohl ihm bis zum Ablauf der Begründungsfrist nur noch wenig Zeit zur Verfügung stand. Nach dem Vortrag des Antragsgegners hatte sein Verfahrensbevollmächtigter den Schriftsatz zunächst unter Verwendung einer Spracherkennungssoftware auf einem älteren Desktop-PC erstellt. Gegen 23:26 Uhr begann er mit den erforderlichen Korrekturen des Schriftsatzes. Anschließend wechselte er zu seinem Laptop, um gegen 23:50 Uhr den Schriftsatz zu signieren und ihn an das Beschwerdegericht per beA zu übermitteln. Unter diesen Umständen ist es nicht auszuschließen, dass es auch bei jemandem, der mit der Bedienung eines Computers und den Arbeitsabläufen vertraut ist, aufgrund des Zeitdrucks zu einer Fehlbedienung des Computers kommt.

19cc) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es im vorliegenden Fall auch an der Darlegung fehlt, weshalb der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners nicht von der in § 130 d Satz 2 ZPO vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufungsbegründungsschrift vor Ablauf der Begründungsfrist in herkömmlicher Weise - etwa per Telefax - einzureichen. Denn die in dieser Vorschrift vorgesehene Möglichkeit, bei einer technischen Störung ein Dokument nach den allgemeinen Vorschriften zu übermitteln, besteht unabhängig davon, ob die Störung auf einem Defekt des Übertragungsgeräts beruht oder in der Sphäre des Einreichenden liegt (vgl. Thomas/Putzo/Seiler ZPO 43. Aufl. § 130 d Rn. 2).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:010323BXIIZB228.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 8 Nr. 17
NJW-RR 2023 S. 760 Nr. 11
BAAAJ-36866