BVerwG Beschluss v. - 5 PB 5/22

Verletzung rechtlichen Gehörs bei Annahme einer unstatthaften Klageänderung

Gesetze: § 264 ZPO, § 267 ZPO, § 139 ZPO, § 81 Abs 3 S 1 ArbGG, § 87 Abs 2 S 3 ArbGG, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: OVG 62 PV 11/20 Beschlussvorgehend Az: 72 K 10/20 PVB Beschluss

Gründe

1Der Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg ist stattzugeben. Zwar greifen die von ihm geltend gemachten Grundsatzrügen nicht durch (1.). Die ebenfalls erhobene Verfahrensrüge hat allerdings Erfolg. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht (2.).

21. Die Rechtsbeschwerde ist nicht wegen Grundsatzbedeutung zuzulassen.

3Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 108 Abs. 2 BPersVG i. V. m. § 92 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kommt einer Rechtsfrage nur zu, wenn mit ihr eine für die erstrebte Rechtsbeschwerdeentscheidung erhebliche Frage aufgeworfen wird, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts der Klärung bedarf. Die Rechtsfrage muss zudem klärungsfähig sein, was der Fall ist, wenn sie in der Rechtsbeschwerdeinstanz beantwortet werden kann. Nach § 108 Abs. 2 BPersVG i. V. m. § 92a Satz 2 i. V. m. § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG muss die Begründung der auf den Zulassungsgrund des § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG gestützten Nichtzulassungsbeschwerde die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage und deren Entscheidungserheblichkeit enthalten. Dieses Darlegungserfordernis setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerdeentscheidung erheblichen Rechtsfrage sowie die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss substantiiert erläutern, dass und inwiefern die Rechtsbeschwerdeentscheidung zur Klärung einer bisher vom Bundesverwaltungsgericht nicht beantworteten, fallübergreifenden und entscheidungserheblichen Rechtsfrage führen kann. Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Beschlusses, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt. Es bedarf auch der substantiierten Auseinandersetzung mit den Gründen bereits ergangener einschlägiger Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts. Soweit sich die Vorinstanz mit der von der Beschwerde als grundsätzlich angesehenen Frage beschäftigt hat, gehört zu der erforderlichen Durchdringung des Prozessstoffes die Erörterung sämtlicher Gesichtspunkte, die im Einzelfall für die erstrebte Zulassung der Rechtsbeschwerde rechtlich Bedeutung haben können. In der Begründung ist auch substantiiert aufzuzeigen, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der aufgeworfenen Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung zugrunde liegt, zu folgen ist (stRspr, vgl. etwa 5 PB 7.18 - juris Rn. 15 m. w. N.). Die von der Beschwerde bezeichneten Grundsatzfragen, die der Senat in einer von der Beschwerdeschrift abweichenden Reihenfolge prüft, werden diesen Anforderungen nicht gerecht.

4a) Die Beschwerde bezeichnet (unter Nr. III) als Rechtsfrage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung:

"Ist die Stellung eines abstrakten Feststellungsantrags nach der Erledigung der anlassgebenden Maßnahme und des konkret gestellten Feststellungsantrags eine Antragsänderung?"

5Diese Frage wird unter (nach richtiger Zählung) Nr. V der Beschwerdeschrift leicht umformuliert nochmals aufgeworfen. Nach Ansicht der Beschwerde handelt es sich bei einer derartigen Antragsumstellung nicht um eine Antragsänderung (i. S. v. § 263 ZPO).

6Die aufgeworfene Frage ist jedoch, soweit sie überhaupt klärungsfähig ist, nicht klärungsbedürftig, weil sie bereits geklärt ist. Denn der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich ohne Weiteres entnehmen, dass sich der Übergang vom konkreten Feststellungsantrag zum abstrakten Feststellungsantrag grundsätzlich als Antragsänderung darstellt, auf die die Regelungen des § 81 Abs. 3 ArbGG anzuwenden sind (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom - 6 P 9.06 - juris Rn. 9 f., vom - 6 PB 19.08 - juris Rn. 9 und vom - 5 P 6.16 - Buchholz 250 § 25 BPersVG Nr. 20 Rn. 11 ff., Rn. 18 m. w. N., wobei § 81 Abs. 3 ArbGG im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht anwendbar ist). Als Folge der Umstellung ändert sich regelmäßig der zu beurteilende Sachverhalt und damit der Klagegrund, sodass § 264 ZPO nicht anzuwenden ist. Soweit aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalls ausnahmsweise etwas Anderes gelten mag, entzieht sich dies einer weiteren rechtsgrundsätzlichen Klärung.

7b) Die Beschwerde sieht als Frage von grundsätzlicher Bedeutung (unter Nr. IV) weiter an:

"Lässt sich ein Beteiligter rügelos auf eine Antragsänderung ein, wenn er die Zurückweisung der geänderten Anträge beantragt und in Frage stellt, ob der antragstellende Personalrat hinsichtlich der geänderten Anträge einen Beschluss getroffen hat."

8Sie verweist darauf, dass § 81 Abs. 3 Satz 1 ArbGG weiter reiche als § 267 ZPO, weil die Zustimmungsfiktion schon greife, wenn die Abweisung des geänderten Antrags beantragt werde, ohne der Änderung zu widersprechen. Auch diese Frage ist weder klärungsbedürftig noch klärungsfähig.

9In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass ein Verfahrensbeteiligter sich im Sinne von § 81 Abs. 3 Satz 1 ArbGG dann auf einen geänderten Antrag einlässt, wenn er dazu Stellung nimmt, etwa indem er die Ablehnung des Antrags als unbegründet beantragt, ohne der Antragsänderung zu widersprechen (vgl. - NZA 1991, 817 <818>). Für den Widerspruch ist ein positives Handeln erforderlich, in dem der Widerspruchswille (zumindest schlüssig) zum Ausdruck kommt (vgl. zu § 267 ZPO: - NJW 1990, 2682). Ob - wie die Beschwerde formuliert - hierfür allein der Einwand genügt, dass der antragstellende Personalrat hinsichtlich der geänderten Anträge keinen Beschluss getroffen habe, ist eine Frage der richtigen Rechtsanwendung im hier zu beurteilenden Einzelfall und einer grundsätzlichen Klärung daher nicht zugänglich. Einen darüberhinausgehenden Klärungsbedarf mit Blick auf die Auslegung des § 81 Abs. 3 Satz 1 ArbGG zeigt die Beschwerde nicht auf.

10c) Die Beschwerde wirft als Frage von vermeintlich grundsätzlicher Bedeutung unter (nach richtiger Zählung) Nr. V der Beschwerdeschrift weiter auf:

"Ist die Stellung abstrakter Feststellungsanträge zur Klärung der Mitbestimmungspflichtigkeit bezeichneter Maßnahmen unzulässig, wenn die zum Rechtsstreit anlassgebenden Maßnahmen unter Geltung des BPersVG vor Erlass der Novelle zum erfolgten und die einschlägigen Mitbestimmungstatbestände textlich ergänzt wurden?"

11Die aufgeworfene Frage ist, wie die Beschwerde selber erkennt (vgl. Nr. V 3. der Beschwerdeschrift), nur insoweit entscheidungserheblich, als das Oberverwaltungsgericht die Sachdienlichkeit der Antragsänderung verneint hat, weil es die geänderten Anträge als unzulässig angesehen hat. Sie zielt also letztlich auf die Auslegung des Merkmals der Sachdienlichkeit der Antragsänderung in § 81 Abs. 3 Satz 1 ArbGG. So verstanden fehlt es einerseits an der Klärungsbedürftigkeit und im Übrigen an der Darlegung der Klärungsfähigkeit.

12Sachdienlichkeit im Sinne des § 81 Abs. 3 Satz 1 ArbGG ist zu bejahen, wenn damit der Streit zwischen den Beteiligten endgültig erledigt und einem weiteren Verfahren vorgebeugt wird (vgl. - BAGE 174, 103 = juris Rn. 25). Dies zugrunde gelegt schließt, wovon das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgegangen ist, die Unzulässigkeit des geänderten Antrags die Sachdienlichkeit der Antragsänderung regelmäßig aus, weil ohne eine Sachentscheidung der Streit der Verfahrensbeteiligten nicht endgültig erledigt werden kann (vgl. RiZ (R) 1/01 - NJW-RR 2002, 929 <930>). Bei der Beurteilung der Frage der Sachdienlichkeit hat das Gericht einen Beurteilungsspielraum, den das Rechtsmittelgericht nur darauf überprüfen darf, ob der Begriff der Sachdienlichkeit verkannt oder sonst die Grenzen des Beurteilungsspielraums überschritten worden sind (vgl. - NJW 2007, 2414 Rn. 9 m. w. N.; - juris Rn. 83; zu § 91 VwGO auch 4 C 13.04 - BVerwGE 124, 132 <136>). Der Beschwerde ist mit ihren Einwänden gegen die Richtigkeit der Beurteilung der Zulässigkeitsfrage durch das Oberverwaltungsgericht allein eine derartige Verkennung des Begriffs der Sachdienlichkeit nicht zu entnehmen. Sie vermag daher auch nicht darzulegen, dass die allein darauf bezogene Grundsatzfrage in einem Rechtsbeschwerdeverfahren geklärt werden könnte und nicht dem Beurteilungsspielraum unterfällt.

13d) Die Beschwerde wirft als Frage von vermeintlich grundsätzlicher Bedeutung unter Nr. II der Beschwerdeschrift zudem auf:

"Kann ein Antragsteller einen Antrag im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren in der Beschwerdeinstanz konkludent zurücknehmen?"

14Sie verweist darauf, dass § 87 Abs. 2 Satz 3 ArbGG kein konkludentes Fallenlassen von Anträgen vorsehe, weshalb es einer ausdrücklichen verfahrensgestaltenden Erklärung bedürfe. Damit legt die Beschwerde die Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht hinreichend dar. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist für das Urteilsverfahren, das sich nach zivilprozessualen Regeln richtet, seit langem geklärt, dass die Klagerücknahme (im Sinne von § 269 ZPO) nicht nur ausdrücklich, sondern auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen kann, sofern sich daraus der eindeutige Wille zur Rücknahme ergibt (vgl. - NJW 1961, 2371; - NJW-RR 1996, 885 <886> m. w. N.). Die Beschwerde legt nicht dar, warum dies nicht auch für die Antragsrücknahme im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren zu gelten hat. Sie verhält sich weder dazu, warum trotz der ähnlichen Formulierung in § 81 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 ArbGG diese Vorschrift im Vergleich zu § 269 ZPO erschwerte Anforderungen an die Antragsrücknahme stellen sollte (vgl. dazu auch LAG Frankfurt, Beschluss vom - 5 Ta 324/87 - BeckRS 1987, 30886473), noch geht sie darauf ein, dass § 87 Abs. 2 Satz 3 ArbGG für die Antragsrücknahme in der Beschwerdeinstanz ausdrücklich nicht auf § 81 Abs. 2 Satz 1 ArbGG verweist.

15e) Die Beschwerde wirft als Frage von vermeintlich grundsätzlicher Bedeutung unter Nr. II der Beschwerdeschrift weiter auf:

"Lässt ein Antragsteller im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren gestellte konkrete Feststellungsanträge konkludent fallen, wenn er abstrakte Feststellungsanträge zu den streitgegenständlichen Rechtsfragen stellt und zu den konkreten Feststellungsanträgen keine Erklärung abgibt?"

16Sie verweist darauf, dass in der Stellung weiterer Anträge noch keine eindeutige und unzweifelhafte Erklärung zum Schicksal bereits gestellter Anträge liege. Damit wird jedoch keine Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt. Die Beschwerde will nicht - über die bereits zuvor dargestellten Grundsätze hinaus - geklärt wissen, unter welchen allgemeinen Voraussetzungen § 87 Abs. 2 Satz 3 ArbGG eine konkludente Antragsrücknahme in der Beschwerdeinstanz zulässt. Mit der Thematisierung der Frage, ob unter den vorliegend gegebenen Voraussetzungen in der Konstellation der Umstellung auf abstrakte Feststellungsanträge ein eindeutiger Wille zur Rücknahme angenommen werden kann, bezieht sie sich vielmehr auf die richtige Rechtsanwendung im hier zu beurteilenden Einzelfall, ohne dass ein allgemeiner Klärungsbedarf erkennbar ist.

17f) Die Beschwerde bezeichnet als Frage von vermeintlich grundsätzlicher Bedeutung unter Nr. II der Beschwerdeschrift außerdem:

"Kann ein gestellter Antrag in der mündlichen Verhandlung in der Beschwerdeinstanz im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren konkludent fallen gelassen werden, ohne dass die Beteiligte ausdrücklich einwilligt?"

18Sie verweist darauf, dass die Rücknahme des Antrags in der Beschwerdeinstanz der Einwilligung der Beteiligten bedürfe. Ihr Fehlen mache die Antragsrücknahme wirkungslos. Auch damit wird eine grundsätzliche Bedeutung nicht hinreichend erläutert.

19In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass dann, wenn eine Klageänderung nicht als sachdienlich anzusehen ist, der ursprünglich gestellte Klageantrag rechtshängig bleibt, sofern er nicht zurückgenommen worden ist (vgl. - NJW 1988, 128). Die Beschwerde legt insoweit einen weitergehenden Klärungsbedarf für das personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren nicht dar. Dies gilt auch mit Blick auf die Frage der Notwendigkeit der Einwilligung der Beteiligten in die Rücknahme. Die Beschwerde führt nicht aus, warum auf diese Antragsrücknahme in der Beschwerdeinstanz die ihrem Wortlaut nach ohne Weiteres einschlägige Vorschrift des § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 ArbGG keine Anwendung finden sollte, zumal die Literatur nicht nur die oben genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf die Antragsänderung nach § 81 Abs. 3 ArbGG überträgt, sondern im Fall einer unzulässigen Antragsänderung für das Verfahren in den Rechtsmittelinstanzen ebenfalls die Zustimmung der Beteiligten zur Rücknahme des ursprünglichen Antrags verlangt (vgl. Ahrendt, in: GK-ArbGG, 120. Lieferung, § 81 Rn. 142; Poeche, in: BeckOK Arbeitsrecht, 65. Edition, § 81 ArbGG Rn. 47; Spinner, in: Germelmann/Matthes/Prütting, Arbeitsgerichtsgesetz, 10. Aufl. 2022, § 81 Rn. 88). Ebenso wenig setzt sie sich damit auseinander, dass jedenfalls die Einwilligung in die Klagerücknahme nach § 269 Abs. 1 ZPO auch durch ein schlüssiges Verhalten erklärt werden kann (vgl. - NZA 2007, 278 Rn. 17 m. w. N). Demzufolge erläutert sie auch nicht, warum für die Zustimmung zur Antragsrücknahme in der Beschwerdeinstanz nach § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 ArbGG eine "ausdrückliche" Einwilligung erforderlich sein soll. Der Sache nach will die Beschwerde vielmehr rügen, dass das Oberverwaltungsgericht das Erfordernis der Zustimmung der Beteiligten (nach § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 ArbGG) nicht beachtet habe und zielt damit auf eine unrichtige Anwendung des Prozessrechts im Einzelfall, was nicht mit der Grundsatzrüge geltend gemacht werden kann.

202. Die von der Beschwerde erhobene Verfahrensrüge hat hingegen Erfolg. Sie zeigt in hinreichender Weise eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs auf, die auch vorliegt (§ 108 Abs. 2 BPersVG i. V. m. § 92a Satz 2 und § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht (§ 108 Abs. 2 BPersVG i. V. m. § 72a Abs. 7 und § 92a Satz 2 ArbGG).

21Aus dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs folgt keine allgemeine Aufklärungs- und Hinweispflicht des Gerichts. Art. 103 Abs. 1 GG kann allerdings im Einzelfall das Gericht dazu anhalten, in besonderen Situationen die Beteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die es seiner Entscheidung zugrunde zu legen beabsichtigt (vgl. § 139 ZPO). Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht ( 5 PB 7.16 - juris Rn. 4 f. m. w. N.). Rügt die Nichtzulassungsbeschwerde eine Verletzung der Hinweispflicht, hat sie zunächst darzulegen, bei welchen Ausführungen die Vorinstanz auf Gesichtspunkte abgestellt hat, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Verfahrensbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte. Anschließend ist anzugeben, welchen Hinweis die Vorinstanz hätte erteilen müssen, mit welchem Vorbringen der Beschwerdeführer hierauf reagiert hätte und dass dies im Ergebnis - ausgehend von der materiellen Rechtsauffassung der Vorinstanz - zu einer für ihn günstigen Entscheidung geführt hätte. Diesen Anforderungen wird die Beschwerde gerecht.

22Sie trägt vor, der Antragsteller habe nicht damit rechnen müssen, dass das Oberverwaltungsgericht von einem konkludenten Fallenlassen der konkreten Feststellungsanträge ausgehen würde, zumal eine Einwilligung der Beteiligten nicht vorlag. Hierzu habe es eines Hinweises des Gerichts bedurft. Wäre ein solcher Hinweis erfolgt, hätte der Antragsteller klargestellt, dass die Anträge in objektiver Antragshäufung gestellt und die konkreten Feststellungsanträge nicht zurückgenommen werden sollten.

23Diese Einwendungen sind berechtigt. Willigt der Beklagte nicht in eine Klageänderung ein und lässt das Gericht diese auch nicht als sachdienlich zu, so hat das Gericht, wenn der ursprüngliche Antrag nicht von vornherein als Hilfsantrag aufrechterhalten worden ist, gemäß § 139 Abs. 2 ZPO in Zweifelsfällen aufzuklären, ob der Kläger diesen noch weiterverfolgen will (vgl. Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2019, § 263 Rn. 102; Greger, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 263 Rn. 17; Becker-Eberhard, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 263 Rn. 55; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 263 Rn. 11). Für die Antragsänderung nach § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 i. V. m. § 81 Abs. 3 ArbGG kann nichts Anderes gelten (vgl. auch Schwab/Weth, in: Schwab/Weth, Arbeitsgerichtsgesetz, 6. Aufl. 2022, § 81 Rn. 120.). Dabei kann hier offenbleiben, ob sich ein Zweifelsfall und damit eine Hinweispflicht des Oberverwaltungsgerichts bereits allein aus dem Umstand ergeben hat, dass dieses in der ausschließlichen Stellung der abstrakten Feststellungsanträge in der mündlichen Anhörung durch den Antragsteller eine gleichzeitige konkludente Rücknahme der konkreten Feststellungsanträge gesehen hat.

24Ein (Zweifels-)Fall, der das Gericht zu der Klärung hätte veranlassen müssen, ob der Antragsteller den ursprünglichen Antrag noch weiterverfolgen wollte, liegt hier jedenfalls deshalb vor, weil das Oberverwaltungsgericht eine konkludente Rücknahme der ursprünglichen Anträge angenommen hat, obgleich die Beteiligte einer Rücknahme nicht ausdrücklich zugestimmt hatte und sie der Antragsänderung nach der Wertung des Oberverwaltungsgerichts gleichzeitig widersprochen hatte. Indem das Oberverwaltungsgericht unter diesen Umständen von einer konkludenten Antragsrücknahme ausgegangen ist, hat es auf Gesichtspunkte abgestellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Verfahrensbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte. Zwar muss grundsätzlich damit gerechnet werden, dass eine Zustimmung zur Antragsrücknahme auch in einem schlüssigen prozessualen Verhalten gesehen werden kann. Nachdem aber eine ausdrückliche Zustimmung zur Antragsrücknahme durch die Beteiligte hier nicht erklärt worden war und sie die Abweisung der geänderten Anträge beantragt hatte, wäre gleichwohl auch die Annahme einer konkludenten Zustimmung der Beteiligten zur Antragsrücknahme für den Antragsteller überraschend gewesen. Denn das Oberverwaltungsgericht hat die Antragsänderung für unzulässig gehalten, weil sie nicht sachdienlich gewesen sei und die Beteiligte ihr widersprochen habe. Wird die Zustimmung zur Antragsänderung verweigert, legt dies aber zugleich nahe, dass auch der Antragsrücknahme nicht zugestimmt wird (vgl. Ahrendt, in: GK-ArbGG, 120. Lieferung, § 81 Rn. 142; Poeche, in: BeckOK Arbeitsrecht, 65. Edition, § 81 Rn. 47; Spinner, in: Germelmann/Matthes/Prütting, Arbeitsgerichtsgesetz, 10. Aufl. 2022, § 81 Rn. 88). Vor diesem Hintergrund durfte der Antragsteller davon ausgehen, dass das Oberverwaltungsgericht die Antragsänderung entweder für zulässig halten würde oder vor einer abschließenden Entscheidung mangels einer Zustimmung der Beteiligten zur Antragsrücknahme die unklare prozessuale Lage durch Rückfragen gegebenenfalls sogar bei beiden Verfahrensbeteiligten auflösen würde.

25Diese Gehörsverletzung war auch entscheidungserheblich, weil das Oberverwaltungsgericht bei einer entsprechenden Klarstellung durch den Antragsteller noch über die ursprünglich gestellten konkreten Feststellungsanträge hätte entscheiden müssen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:100123B5PB5.22.0

Fundstelle(n):
QAAAJ-36754