Berufungsverfahren: Einheitlichkeit eines Rechtsmittels trotz Einreichung von Berufungsschriften bei verschiedenen Gerichten
Leitsatz
Zur Einheitlichkeit eines Rechtsmittels trotz Einreichung von Berufungsschriften bei verschiedenen Gerichten (im Anschluss an , BGHZ 45, 380, 382 f.; Beschluss vom - V ZB 151/19, NJW 2021, 2121 Rn. 9 ff.).
Instanzenzug: LG Mannheim Az: 4 S 29/22vorgehend Az: 30 C 140/20
Gründe
I.
1Die Beklagten sind Mieter einer Wohnung der Klägerin in Heidelberg. Das Amtsgericht hat der auf Zahlung rückständiger Miete und Betriebskostennachforderungen, jeweils nebst Zinsen, gerichteten Klage stattgegeben.
2Gegen das den Beklagten am zugestellte Urteil des Amtsgerichts Heidelberg hat die Beklagte zu 1 (rechtzeitig) Berufung zum Landgericht Mannheim eingelegt. Mit Verfügung vom wies die Vorsitzende der Berufungskammer auf die Zuständigkeit des Landgerichts Heidelberg hin. Daraufhin beantragte die Beklagte zu 1 am die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Heidelberg. Am legte sie dort erneut Berufung ein.
3Die Vorsitzende der Berufungskammer des Landgerichts Mannheim wies die Beklagte zu 1 mit Verfügung vom darauf hin, dass das Rechtsmittel nicht innerhalb der (bis Montag, den laufenden) Berufungsbegründungsfrist begründet worden sei.
4Das Landgericht Heidelberg teilte dem Landgericht Mannheim am mit, dass Berufung zum Landgericht Heidelberg eingelegt worden sei, und bat um Übersendung der Prozessakten. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Mannheim die Berufung der Beklagten zu 1 wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen.
5Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 1. Der Beklagte zu 2 hat die von ihm eingelegte Rechtsbeschwerde zurückgenommen.
6Das Landgericht Heidelberg hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, dass es über die Berufung mit Rücksicht auf die beim Senat anhängige Rechtsbeschwerde noch nicht entschieden habe.
II.
7Die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 1 hat Erfolg.
81. Sie ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig; insbesondere ist ein Zulassungsgrund gemäß § 574 Abs. 2 ZPO gegeben. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts über die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Das Landgericht Mannheim hat sich in Widerspruch zu der gefestigten, auf eine mehrfache Rechtsmitteleinlegung bezogenen höchstrichterlichen Rechtsprechung gesetzt, indem es die Berufung der Beklagten zu 1 verworfen hat, obwohl es von dem Landgericht Heidelberg zuvor von der auch dort eingelegten Berufung in Kenntnis gesetzt worden ist (vgl. , NJW 2021, 2121 Rn. 6).
92. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Landgericht Mannheim durfte die Berufung der Beklagten zu 1 nicht nach § 522 Abs. 1 ZPO verwerfen.
10a) Der unterlegenen Partei steht gegen ein erstinstanzliches Urteil ein einziges Rechtsmittel, nämlich die Berufung zu. Das Rechtsmittel als solches ist dabei von durch den einzelnen Rechtsmittelschriftsatz eingeleiteten Verfahren zu unterscheiden (vgl. , BGHZ 45, 380, 382 mwN; Beschluss vom - V ZB 151/19, aaO Rn. 10; siehe bereits RGZ 102, 364, 365). Da die Beklagte zu 1 Berufung sowohl bei dem Landgericht Mannheim als auch bei dem (gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 4 Abs. 5 des Gesetzes über die Organisation der ordentlichen Gerichte in Baden-Württemberg [Gerichtsorganisationsgesetz BW] zur Entscheidung über die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg berufenen) Landgericht Heidelberg eingelegt hat, kommt eine Verwerfung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur in Betracht, wenn sich erweist, dass die verschiedenen Einlegungen des Rechtsmittels sämtlich unzulässig sind. In diesem Fall ist über das Rechtsmittel als solches einheitlich zu entscheiden und auszusprechen, dass es unzulässig ist (vgl. , aaO S. 383; vom - XI ZR 224/17, NJW 2018, 1683 Rn. 27; Beschlüsse vom - V ZB 129/06, NJW 2007, 1211 Rn. 5; vom - V ZB 34/13, NJW 2015, 3171 Rn. 10; vom - V ZB 151/19, aaO Rn. 10). Das gilt auch dann, wenn das Rechtsmittel - wie hier - bei unterschiedlichen Gerichten eingelegt worden ist; das einheitliche Rechtsmittel darf auch in diesem Fall nur dann als unzulässig verworfen werden, wenn sich erweist, dass keine der Einlegungen zulässig ist (, aaO). Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben.
11b) Erlangt das Rechtsmittelgericht - wie hier das Landgericht Mannheim aufgrund der am eingegangenen Mitteilung des Landgerichts Heidelberg - Kenntnis von einer weiteren Rechtsmitteleinlegung in derselben Sache bei einem anderen Gericht, müssen infolgedessen die zeitgleich anhängigen Rechtsmittelverfahren koordiniert werden, indem die angerufenen Gerichte zunächst ihre Zuständigkeit prüfen. Hält sich eines der Gerichte für unzuständig, hat es die Sache - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend macht - unter Übersendung der Prozessakten an das andere Gericht abzugeben (, aaO Rn. 11; siehe auch , NJW-RR 2021, 507 Rn. 9; jeweils mwN).
12c) Daran gemessen gibt es nicht etwa, wovon das Landgericht Mannheim in dem angefochtenen Beschluss möglicherweise ausgegangen ist, jeweils eine Berufung zu beiden Landgerichten, sondern handelt es sich um eine einheitliche Berufung der Beklagten zu 1 mit zwei anhängigen Verfahren. Das Landgericht Mannheim durfte die Berufung mithin nicht als unzulässig verwerfen, weil das Rechtsmittelverfahren vor dem Landgericht Heidelberg noch nicht abgeschlossen war (vgl. , aaO Rn. 12). Vielmehr hätte das Landgericht Mannheim sich für unzuständig erklären und die Sache an das Landgericht Heidelberg abgeben müssen.
133. Das Landgericht Mannheim hat somit die Berufung der Beklagten zu 1 zu Unrecht als unzulässig verworfen. Die angefochtene Entscheidung kann deshalb keinen Bestand haben; sie ist aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO) und die Sache nunmehr an das Landgericht Heidelberg zu verweisen, welches auch über die durch die Anrufung des Landgerichts Mannheim entstandenen Kosten sowie diejenigen des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden hat. Ob diese Kosten der unterliegenden Partei zur Last fallen oder der obsiegenden, richtet sich gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO danach, ob sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren (, aaO Rn. 13 mwN).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:210223BVIIIZB75.22.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2023 S. 585 Nr. 9
TAAAJ-36727