Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer bei Veräußerung von Grundbesitz unter Fortbestand bereits bestehender dinglicher
Belastungen (Wohnungsrecht und Nießbrauch)
Leitsatz
1. Zu den bei einem Grundstückskauf nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG zur Gegenleistung zählenden gehörenden Nutzungen gehören
nach § 100 BGB unter anderem die Vorteile, welche der Gebrauch der Sache oder des Rechts gewährt. Sie gebühren nach § 446
Satz 2 BGB von der Übergabe der Sache an dem Käufer. Der Verkäufer ist grundsätzlich verpflichtet, eine Sache frei von Rechtsmängeln
(§ 433 Abs. 1 BGB, 435 BGB) zu übergeben. Wird die Norm vertraglich abbedungen, belässt der Grundstückskäufer also die Nutzungen
dem Verkäufer (oder einem Dritten) über diesen Zeitpunkt hinaus, liegt darin ein geldwerter Vorteil, den der Käufer für den
Erwerb der Sache hingibt. Dies rechtfertigt die Einbeziehung der dem Verkäufer bzw. einem Dritten vorbehaltenen Nutzungen
in die Gegenleistung.
2. Für die vorbehaltenen Nutzungen ist § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG gegenüber § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG vorrangig. Erfasst sind Nutzungen
aller Art, namentlich Nießbrauchs- und Wohnungsrechte. Sie können entweder neu begründet werden oder bereits bestehen. Unerheblich
ist auch, wenn diese gegenüber einem Dritten eingeräumt werden.
3. Wenn jedoch der Grundstücksverkäufer die vorbehaltenen Nutzungen angemessen vergütet, liegt in der Nutzungsüberlassung
keine Gegenleistung für das Grundstück im Sinne von § 8 Abs. 1 GrEStG und § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Ob sich der Verkäufer Nutzungen
ohne angemessenes Entgelt vorbehalten hat, ist durch Auslegung des Kaufvertrags zu ermitteln.
4. Bleibt mit Zustimmung der Käuferin ein schuldrechtlich bereits bestehendes und kurz nach Abschluss des Kaufvertrags auch
dinglich gesichertes lebenslängliches unentgeltliches Wohnungsrecht zugunsten eines Dritten bestehen, macht die Käuferin von
ihrem Recht auf eine rechtsmängelfreie Übertragung keinen Gebrauch und wird auch keine Vergütung für das vorbehaltene Wohnungsrecht
geleistet, so ist das Wohnungsrecht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG in die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer einzubeziehen.
Fundstelle(n): DStR-Aktuell 2023 S. 10 Nr. 38 DStR-Aktuell 2023 S. 12 Nr. 38 ErbStB 2023 S. 175 Nr. 6 GStB 2023 S. 117 Nr. 4 GStB 2023 S. 118 Nr. 4 MAAAJ-36417
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FG Baden-Württemberg, Urteil v. 08.07.2022 - 5 K 2500/21
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