Keine Einwilligung bei soldatenrechtlicher Pflicht zur Duldung einer Impfung
Leitsatz
Ein Soldat muss bei pflichtgemäßer Duldung einer Schutzimpfung keine schriftliche Einwilligungserklärung als Patient abgeben.
Gesetze: § 17a Abs 2 S 1 Nr 1 SG, § 17a Abs 5 S 1 SG, § 630d BGB, § 22a Abs 2 Nr 1 WBO, § 22a Abs 2 Nr 3 WBO
Instanzenzug: Truppendienstgericht Süd Az: S 9 BLb 01/21 und S 9 RL 3/22 Beschluss
Tatbestand
1Die Nichtzulassungsbeschwerde richtet sich gegen die truppendienstgerichtliche Bestätigung eines fünftägigen Disziplinararrests wegen Befehlsverweigerung.
21. Der Kompaniechef des angeschuldigten Soldaten befahl ihm am 20. Mai und zweimal, sich einer COVID-19-Impfung zu unterziehen. Der Soldat erschien jeweils im Sanitätsversorgungszentrum, erhielt den für die Impfung vorformulierten Aufklärungs- und Anamnesebogen und kreuzte an, dass er die Impfung ablehne. Zugleich setzte er handschriftlich hinzu: "Duldungspflicht" bzw. "Duldungspflicht, da einsatzgleiche Verpflichtung". Die Arzthelferin impfte ihn daraufhin nicht, sondern schickte ihn zurück. Der Soldat erläuterte sein Verhalten dahingehend, dass er persönlich die COVID-19-Impfung ablehne. Er sei aber bereit, sich auf einen Befehl hin impfen zu lassen. Zu einer freiwilligen Einwilligung könne er aber nicht gezwungen werden.
32. Das Truppendienstgericht hat mit Beschluss vom das Vorliegen einer wiederholten Befehlsverweigerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 2 WStG festgestellt. Der Soldat habe den Befehl, sich impfen zu lassen, nicht Folge geleistet. Er sei nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SG verpflichtet, Befehle nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen. Er dürfe die befohlene Impfung nicht davon abhängig machen, dass in den Aufklärungsblättern und Anamnesebögen anstelle der Einverständniserklärung der Zusatz "entfällt bei Duldungspflicht" aufgenommen werde. Ihm sei es nur darum gegangen, das System herauszufordern und zu testen, wie weit er damit durchkomme. Sein Verhalten habe objektiv den Eindruck erweckt, dass er nicht bereit sei, sich jetzt und hier impfen zu lassen. Eine Pflicht, nachzufragen und den Soldaten zu einer eindeutigen Erklärung zu bewegen, habe nicht bestanden. Es sei von einer Arzthelferin nicht zu erwarten, dass sie spitzfindige dienst- und arztrechtliche Fragen kläre und eigenständig ärztliche Entscheidungen treffe. Dessen sei sich der Stabsunteroffizier aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung auch bewusst gewesen. Das Truppendienstgericht hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen.
43. Die fristgerecht eingegangene Nichtzulassungsbeschwerde des Soldaten wird damit begründet, dass die Frage grundsätzliche Bedeutung habe, ob ein Soldat gegen § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG verstoße, wenn er die Einwilligung ablehne, aber gleichzeitig mitteile, dass er der Duldungspflicht unterliege. Es sei klärungsbedürftig, ob die Ablehnung der Einwilligung in eine Impfung ausreiche, um gegen § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG zu verstoßen. Grundsätzliche Bedeutung habe auch die Frage, welche Aufklärungspflichten der Dienstherr in Bezug auf einen möglichen entgegenstehenden Willen habe. Außerdem liege ein Aufklärungsmangel vor. Das Truppendienstgericht hätte bei der Arzthelferin nachfragen müssen, was er ihr gegenüber genau gesagt und ob er sich wirklich gegen eine Impfung gewehrt habe. Er habe nur eine Einwilligungserklärung abgelehnt, nicht aber die Duldung der Impfung gegen seinen Willen. Mittlerweile habe die Impfung auch stattgefunden.
Gründe
5Die fristgerecht erhobene und begründete Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 133 Abs. 6 VwGO).
61. Die Beschwerde kann allerdings nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache (§ 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO) zugelassen werden. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerde entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WNB 5.11 - Rn. 2 und vom - 2 WNB 1.18 - juris Rn. 5, jeweils m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Rechtsfragen sich unmittelbar aus dem Gesetz und unter Zuhilfenahme der mittlerweile zu § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG ergangenen Rechtsprechung beantworten lassen (vgl. 1 B 41.15 - NVwZ 2015, 1779 Rn. 7).
7Insbesondere hat die Frage keine grundsätzliche Bedeutung, ob ein Soldat bei der Erfüllung eines Befehls zur Duldung einer Impfung verpflichtet ist, auf einem Fragebogen eine ausdrückliche Einwilligung zu unterschreiben oder von einer seinem wahren Willen entsprechenden Ablehnungserklärung gegenüber dem Truppenarzt abzusehen. Denn bereits aus dem Wortlaut des § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG folgt, dass ein Soldat nur zur Duldung einer Impfung verpflichtet ist. Dementsprechend geht die Rechtsprechung davon aus, dass die gesetzliche Anordnung der Duldungspflicht nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG eine fehlende Einwilligung ersetzt (vgl. 1 WB 2.22 - juris Rn. 45, 58). Der Soldat muss folglich, wenn ihm sein Vorgesetzter die Duldung einer bestimmten Impfung befiehlt, nur seine Duldungsbereitschaft erklären, nicht aber als Patient eine Einwilligungserklärung im Sinne des § 17a Abs. 5 Satz 1 SG i. V. m. § 630d BGB gegen seinen wahren Willen abgeben. Etwas Anderes folgt auch nicht aus der in § 11 Abs. 1 Satz 1 SG enthaltenen Verpflichtung, Befehle vollständig zu erfüllen. Denn die Abgabe einer Einwilligungserklärung als Patient ist zur Erfüllung der Duldungspflicht nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG nicht erforderlich und kann daher weder vom Arzt noch vom ärztlichen Personal verlangt werden.
8Die Beschwerde kann auch nicht deswegen zugelassen werden, weil die Frage grundsätzliche Bedeutung hätte, in welchem Umfang der Dienstherr einen möglicherweise entgegenstehenden Willen des Soldaten aufzuklären hätte. Nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG muss der Soldat ärztliche Maßnahmen "gegen seinen Willen" dulden, wenn sie der Verhütung übertragbarer Krankheiten dienen. Es ergibt sich damit unmittelbar aus dem Gesetz, dass der Dienstherr gar keine näheren Nachforschungen zum entgegenstehenden Willen des Soldaten anstellen muss, wenn dieser bereit ist, entsprechend der gesetzlichen Regelung eine angeordnete Schutzimpfung zu dulden. Dies stellt auch § 17a Abs. 5 Satz 2 SG klar, der das Einwilligungsregime in den Fällen der gesetzlichen Duldungspflicht für unanwendbar erklärt.
92. Ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO), liegt aber in der unzureichenden Sachaufklärung der Frage, was der Soldat im Einzelnen gegenüber der Arzthelferin hinsichtlich der COVID-19-Impfung erklärt hat.
10Gemäß § 18 Abs. 2 Satz 1 WBO hat das Truppendienstgericht von Amts wegen den nach seiner Rechtsauffassung maßgeblichen Sachverhalt aufzuklären. Der Amtsermittlungsgrundsatz fordert insbesondere, dass das Truppendienstgericht bei der Ermittlung der nach seinem materiell-rechtlichen Standpunkt entscheidungserheblichen Tatsachen die erforderlichen Beweise erhebt. Ein Tatsachengericht verletzt seine Pflicht zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung, wenn sich ihm auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung eine weitere Sachverhaltserforschung aufdrängen müsste ( 1 C 39.16 - BVerwGE 161, 1 Rn. 22 m. w. N.). Es bestimmt den Umfang der Beweisaufnahme und die Art der Beweismittel grundsätzlich nach seinem Ermessen. Insbesondere darf es sich auch auf den Inhalt beigezogener Akten stützen und etwaige Protokolle über Zeugenaussagen auch ohne Zustimmung der Beteiligten im Wege des Urkundenbeweises verwerten. Anderes gilt, wenn ein Beteiligter die Vernehmung des Zeugen ausdrücklich beantragt oder sich sonst die Vernehmung aufdrängen muss (vgl. 1 WNB 5.21 - Buchholz 450.1 § 18 WBO Nr. 10 Rn. 6 m. w. N.).
11Nach diesen Grundsätzen hätte es sich dem Truppendienstgericht aufdrängen müssen, die Arzthelferin als Zeugin wegen zweimaliger Befehlsverweigerung zu vernehmen. Nach seiner Rechtsauffassung kam es darauf an, welchen Eindruck das Verhalten des Soldaten objektiv betrachtet bei der Arzthelferin hinsichtlich seiner Bereitschaft zur Impfung erwecken musste. Es hat sich dabei im Urkundenbeweis auf die dienstliche Erklärung der Arzthelferin vom , die es ungenau als Zeugenaussage bezeichnet hat, als einziges Beweismittel gestützt. Aus dieser Erklärung hat es geschlossen, dass der Soldat nicht bereit gewesen sei, sich jetzt und hier impfen zu lassen.
12Eine entsprechende Aussage ist in der sehr kurzen dienstlichen Erklärung der Arzthelferin indes nicht zu finden. Sie schildert sachlich, dass der Soldat dem Befehl Folge leistete, "sich bei mir vorzustellen und gegen COVID-19 impfen zu lassen". Er habe ihr erklärt, dass ihm "trotz Duldungspflicht ... per Aufklärungsbogen die Möglichkeit gegeben wird, die Impfung auch abzulehnen". Daraufhin habe sie den Soldaten nicht geimpft und weggeschickt. Welchen Eindruck das Verhalten bei der Arzthelferin hinterlassen hat, ist dem Schreiben gerade nicht zu entnehmen. Insbesondere ist unklar, ob die Arzthelferin - wie das Truppendienstgericht annimmt - aus Rechtsunkenntnis von einer mangelnden Impfduldungsbereitschaft des Soldaten ausging oder ob sie sich im Einklang mit der gesetzlichen Regelung des § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG nicht für befugt hielt, eine Impfung ohne Einwilligung des Patienten durchzuführen. Denn das Gesetz lässt eine selbständig von einer Arzthelferin durchgeführte Impfung ohne Einwilligung des Soldaten nicht zu. Vielmehr gestattet § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG nur ärztliche Maßnahmen zur Verhinderung übertragbarer Krankheiten gegen den Willen des Soldaten. Dies bedeutet, dass bei fehlender Einwilligung nur ein Arzt die COVID-19-Impfung vornehmen darf oder zumindest den Vorgang kontrollieren muss ( 1 WB 2.22 - juris Rn. 84 m. w. N.). Da die dienstliche Erklärung der Arzthelferin den Grund der mangelnden Impfung nicht nennt, hätte es sich dem Truppendienstgericht aufdrängen müssen, die Arzthelferin als Zeugin zum genauen Inhalt des Gesprächs, des von ihr gewonnenen Eindrucks von der Duldungsbereitschaft des Soldaten und zu den Gründen der unterbliebenen Impfung zu befragen.
133. Da hier ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die Entscheidung des Truppendienstgerichts beruhen kann (§ 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO), kann der Senat, statt die Rechtsbeschwerde zuzulassen, auch die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Truppendienstgericht zurückverweisen (vgl. 2 WNB 4.18 - Buchholz 450.1 § 12 WBO Nr. 1 Rn. 11). Im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens macht der Senat im vorliegenden Fall von der Möglichkeit des § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch.
14Bei der erneuten Verhandlung des Falles wird das Truppendienstgericht in tatsächlicher Hinsicht auch der Frage nachgehen müssen, ob an den beiden Tagen der für die Impfung zuständige Truppenarzt zugegen war und aus welchen Gründen die Arzthelferin ihn nicht hinzugezogen hat, wenn ihr der vom Soldaten angesprochene Unterschied zwischen Duldungspflicht und freiwilliger Einwilligung nicht bekannt gewesen ist. Schließlich wird es der Frage nachgehen müssen, welche Indizien oder Beweise für seine bisherige Annahme sprechen, der Soldat habe sich die Rechtsunkenntnis der Arzthelferin vorsätzlich zur Verhinderung der Impfung zu Nutze gemacht. Denkbar ist auch, dass der Soldat nur sein persönliches Recht aus § 17a Abs. 5 Satz 1 SG i. V. m. § 630d BGB geltend machen wollte, eine Einwilligungserklärung als Patient nicht abgeben zu müssen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:030223B2WNB2.22.0
Fundstelle(n):
EAAAJ-36395