Tatrichterliche Feststellungen zur Klassifizierung eines Bandenmitglieds als Rädelsführer
Gesetze: § 129 Abs 5 S 2 StGB
Instanzenzug: LG Hagen (Westfalen) Az: 31 Ks 2/20
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung, Sachbeschädigung und unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition, unter Einbeziehung der Strafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen und bestimmt, dass ein Monat der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs und ist ansonsten unbegründet.
21. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen waren der Angeklagte und Mitangeklagte im Jahr 2018 Mitglieder des Motorradclubs Bandidos H. . Dieser wollte in Abgrenzung zu anderen Motorradclubs durch ein abgestuftes System von Ansprache bis hin zu Nötigung und Körperverletzung die alleinige Kontrolle über das Territorium der Stadt H. erlangen. Der Angeklagte war ab dem als „Sergeant at Arms“ für die Gewährleistung der Sicherheit des Chapters verantwortlich und sorgte für die Vollstreckung von Befehlen. Zudem patrouillierte er auf den Straßen und sprach nachdrücklich Personen an, die Erkennungsmerkmale anderer Clubs zur Schau stellten oder solchen Clubs angehörten. Sichtete er Mitglieder anderer Clubs, teilte er es den eigenen Mitgliedern mit. Am trat und schlug er auf einen Pkw ein, in dem sich das Mitglied eines fremden Clubs befand. Diesen wollten der Angeklagte und seine Begleiter zu einer Aussprache zwingen. Als der Angegangene wegfuhr, schoss der Angeklagte mit einer Pistole auf dessen Fahrzeug.
32. Die Verfahrensbeanstandungen haben aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen keinen Erfolg. Die weitere Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat hinsichtlich des Schuldspruchs und des Ausspruchs über die Verfahrensverzögerung keinen den Angeklagten belastenden Rechtfehler ergeben.
43. Der Strafausspruch hat hingegen keinen Bestand, weil das Landgericht den Angeklagten als Rädelsführer im Sinne des § 129 Abs. 5 Satz 2 StGB angesehen und die Einzelstrafen dem Rahmen des besonders schweren Falles nach § 129 Abs. 5 Satz 1 StGB entnommen hat, ohne dass dies durch die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen getragen wird.
5a) Rädelsführer (§ 129 Abs. 5 Satz 2 StGB) ist, wer in der Vereinigung dadurch eine führende Rolle spielt, dass er sich in besonders maßgebender Weise für sie betätigt, wobei nicht der Umfang, sondern das Gewicht, das der geleistete Beitrag für die Vereinigung hat, von Bedeutung ist. Besonders maßgebend ist eine Tätigkeit dann, wenn sie von Einfluss ist auf die Führung der Vereinigung im Ganzen oder in wesentlichen Teilen, wenn also der Täter, falls er nicht schon selbst zu den Führungskräften gehört, doch durch sein Tun gleichsam an der Führung mitwirkt. Der vom Täter ausgeübte Einfluss muss der Sache nach beträchtlich sein und sich auf die Vereinigung als solche richten, mithin etwa die Bestimmung der Organisationszwecke, -tätigkeiten oder -ziele, die ideologische Ausrichtung der Vereinigung, deren Organisationsstruktur oder sonstige Belange mit für die Vereinigung wesentlicher Bedeutung betreffen. Eine rein formale Stellung innerhalb eines Führungsgremiums reicht für sich genommen noch nicht aus. Liegen die genannten Voraussetzungen vor, so wird die Rädelsführerschaft andererseits nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass der Täter von Weisungen abhängig ist (s. , BGHSt 57, 160 Rn. 8 f.; vom - 3 StR 236/17, juris Rn. 140 mwN; Beschluss vom - 3 StR 10/20, juris Rn. 78).
6b) Nach diesen Maßstäben war der Angeklagte kein Rädelsführer. Den Feststellungen ist nicht zu entnehmen, dass er einen beträchtlichen Einfluss auf die Führung der Vereinigung als solche hatte. Aus der Vollstreckung von Befehlen folgt nicht, dass er selbst solche Befehle erteilte und sich dadurch steuernd betätigte. Vielmehr war es der Präsident, der den übrigen Mitgliedern Anweisungen gab und strategische Entscheidungen traf. Aus der formalen Stellung des Angeklagten als Sergeant at Arms, seiner Präsenz nach außen durch Patrouillen sowie Ansprachen und dem grundsätzlichen Gewicht seiner Handlungen für die Vereinigung ergibt sich nichts anderes (vgl. auch , juris Rn. 79), da diese Tätigkeiten im Kern nicht die maßgebliche Führung der Vereinigung als solche betreffen.
7c) Es ist letztlich nicht auszuschließen, dass die Strafkammer keinen besonders schweren Fall der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 5 Satz 1 StGB angenommen und auf geringere Strafen erkannt hätte, wenn sie den Angeklagten nicht als Rädelsführer angesehen hätte. Da insoweit lediglich ein Wertungsfehler vorliegt und die der Strafzumessungsentscheidung zugrundeliegenden Feststellungen nicht zu beanstanden sind, können diese bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:210223B3STR394.22.0
Fundstelle(n):
NAAAJ-36366