BVerwG Urteil v. - 2 C 24/21

Freizeitausgleich für Ruhepausen mit Bereithaltungspflicht; Bundespolizeibeamter

Leitsatz

Ruhepausen, in denen der Beamte Einsatzkleidung tragen, die Dienstwaffe mit sich führen und seine ständige Erreichbarkeit sicherstellen muss, sind als Arbeitszeit zu bewerten.

Gesetze: § 5 Abs 1 AZV vom , Art 2 Nr 1 EGRL 88/2003, Art 2 Nr 2 EGRL 88/2003, Art 4 EGRL 88/2003, § 242 BGB

Instanzenzug: Sächsisches Oberverwaltungsgericht Az: 2 A 960/19 Urteilvorgehend VG Chemnitz Az: 3 K 2020/15 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger begehrt Freizeitausgleich für Ruhepausen mit Bereithaltungspflicht.

2Der Kläger steht als Bundespolizeibeamter im Dienst der Beklagten und wurde im Jahr 2013 bei einer Mobilen Kontroll- und Überwachungseinheit verwendet. Er beantragte unter dem rückwirkend zum die Anrechnung von Pausenzeiten in "Bereithaltung". Der zeitliche Umfang der Pausen, deren Dauer sich auf jeweils 30 bis 45 Minuten erstreckte, beläuft sich auf insgesamt 1 020 Minuten.

3Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die Anordnung einer Bereithaltungspflicht der Einordnung als Ruhepause nicht entgegenstehe. Auch der Widerspruch blieb ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Pausenzeiten im Umfang von 195 Minuten als Arbeitszeit gutzuschreiben, und die Klage im Übrigen abgewiesen.

4Das Berufungsgericht hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger weitere Pausenzeiten im Umfang von 315 Minuten auf die Arbeitszeit anzurechnen. Für die vor dem liegenden Pausenzeiten hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen, weil es bereits an einer zeitnahen Geltendmachung des Anspruchs fehle. Ein solcher stehe dem Kläger aber für den Zeitraum ab August 2013 zu. Insoweit habe der Charakter von Arbeitszeit überwogen. Sämtliche Pausen seien dadurch gekennzeichnet gewesen, dass der Kläger Einsatzkleidung, teilweise besondere Schutzbekleidung und Helm getragen sowie Dienstwaffe und Dienstfahrzeug mitgeführt habe und seine ständige Erreichbarkeit habe sicherstellen müssen. Dies habe die freie Gestaltung der Pause eingeschränkt. Dies gelte nicht für die am 20. August, 22. Oktober und gewährten Pausenzeiten im Umfang von insgesamt 105 Minuten, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme während der Pause eher gering gewesen sei.

5Hiergegen richtet sich die vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Revision des Klägers, mit der er beantragt,

das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom , soweit es die Berufung des Klägers zurückgewiesen hat, und das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom , soweit es die Klage abgewiesen hat, zu ändern, den Bescheid der Bundespolizeidirektion P. vom sowie deren Widerspruchsbescheid vom aufzuheben, und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger weiteren Freizeitausgleich im Umfang von 510 Minuten zu gewähren.

6Die Beklagte verteidigt das angegriffene Berufungsurteil und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Gründe

7Die Revision hat nur zum Teil Erfolg. Das Berufungsurteil verletzt revisibles Recht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), weil es seine Prüfung auf eine unzutreffende Anspruchsgrundlage und ein fehlerhaftes Verständnis von Ruhezeit gestützt hat (1.). Der Kläger hat Anspruch auf die Gewährung von weiterem Freizeitausgleich für die im Revisionsverfahren noch streitigen Pausenzeiten nach Geltendmachung (2.). Die Annahme, für den Zeitraum bis Ende Juli 2013 stehe dem Anspruch des Klägers die fehlende vorherige Geltendmachung entgegen, erweist sich dagegen als im Ergebnis (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO) richtig (3.).

81. Die Auffassung des Berufungsgerichts, Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers sei § 5 Abs. 1 der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten des Bundes in der bis zum geltenden Fassung vom (BGBl. I S. 427 - AZV a. F. -), verletzt revisibles Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

9a) Nach § 5 Abs. 1 AZV a. F. werden Ruhepausen außer bei Wechselschichtdienst (den der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht geleistet hat) nicht auf die Arbeitszeit angerechnet. Schon ihrem Wortlaut nach enthält die Vorschrift keine Rechtsfolge, die das Begehren des Klägers erfasst. Aus der Zielrichtung der Verordnung ergibt sich nichts anderes. Denn der Verordnungsgeber wollte mit der Neuordnung der Arbeitszeit der Beamten des Bundes (lediglich) ein einheitliches Regelwerk zur Arbeitszeit schaffen, ohne dass sich Anhaltspunkte dafür ergeben, er habe § 5 Abs. 1 AZV a. F. eine anspruchsbegründende Wirkung geben wollen (vgl. Entwurf einer Verordnung zur Neuordnung der Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten des Bundes und zur Änderung anderer Verordnungen, Begründung S. 1, 7).

10Darüber hinaus erfasst die in § 5 Abs. 1 AZV a. F. geregelte "Anrechnung" das Begehren des Klägers nicht. Denn nach Ablauf der Bezugszeiträume ist die Anrechnung von Ruhepausen auf die Arbeitszeit des Klägers nicht mehr möglich. Die Vorschrift regelt indes nicht, wie im Fall der fehlerhaften Nichtanrechnung zu verfahren ist. Der vom Kläger begehrte Ausgleich für geleistete Arbeitszeit im Umfang der benannten Ruhepausen kann daher nur auf einen Sekundäranspruch gestützt sein. Mögliche Rechtsgrundlage hierfür ist der in der Senatsrechtsprechung für Pflichtverletzungen des Dienstherrn anerkannte beamtenrechtliche Ausgleichsanspruch (stRspr, vgl. 2 C 28.02 - Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 38 Rn. 19).

11b) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Abgrenzung zwischen Arbeits- und Ruhezeit hält auch einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, weil sie auf einem nicht richtlinienkonformen Verständnis der Art. 2 Nr. 1 und 2 sowie Art. 4 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (RL 2003/88/EG, ABl. L 299 S. 9) beruht.

12Danach ist eine "Ruhepause" als Arbeitszeit einzustufen, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung der relevanten Umstände ergibt, dass die dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeiten beschränken, die Zeit frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen (, Dopravní podnik hl. m. Prahy - NZA 2021, 1395 sowie das Urteil des erkennenden Senats vom heutigen Tage - 2 C 7.21 -).

13Der vom Berufungsgericht zur Ablehnung der Pausenzeiten vom 20. August, 22. Oktober und maßgeblich herangezogene Umstand, dass die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme während dieser Pausen eher gering gewesen sei, entspricht diesen Vorgaben nicht. Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Umstand, dass eine Inanspruchnahme während der Bereitschaftszeit im Durchschnitt nur selten vorkommt, nicht zur Einstufung als Ruhezeit führen, wenn die Wiederaufnahmefrist die private Gestaltungsmöglichkeit der Ruhepause objektiv gesehen ganz erheblich einzuschränken vermag (, Dopravní podnik hl. m. Prahy - NZA 2021, 1395 Rn. 40 und vom - C-344/19 - Rn. 54).

142. Das bezogen auf die am 20. August, 22. Oktober sowie gewährten Pausenzeiten abweisende Urteil des Oberverwaltungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Dem Kläger ist auf der Grundlage des beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruchs weiterer Freizeitausgleich im Umfang von 105 Minuten zu gewähren.

15Der auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gestützte beamtenrechtliche Ausgleichsanspruch setzt als Billigkeitsanspruch eine rechtswidrige Inanspruchnahme des Beamten über die höchstens zulässige Arbeitszeit hinaus voraus (vgl. 2 C 28.02 - Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 38, vom - 2 C 32.10 - BVerwGE 140, 351 Rn. 8, vom - 2 C 29.11 - BVerwGE 143, 381 Rn. 26 und vom - 2 C 5.21 - juris Rn. 23). Dies ist der Fall, wenn der Dienstherr einen Beamten auf der Grundlage einer rechtswidrig zu hoch festgesetzten regelmäßigen Arbeitszeit zum Dienst heranzieht oder ihn über die rechtmäßig festgesetzte regelmäßige Arbeitszeit hinaus in Anspruch nimmt, ohne dass die Voraussetzungen für die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit erfüllt sind.

16Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der Pausenzeiten am 20. August, 22. Oktober sowie erfüllt.

17a) Entgegen der Auffassung der Beklagten sind diese Pausenzeiten als Arbeitszeit zu bewerten.

18Die einem Beamten während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause ist als "Arbeitszeit" im Sinne dieser Bestimmung einzustufen, wenn sich aus einer Würdigung der Umstände ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während dieser Ruhepause auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeit beschränken, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen (vgl. , Dopravní podnik hl. m. Prahy - NZA 2021, 1395 Rn. 43).

19Der Kläger unterlag im Rahmen der ihm am 20. August, 22. Oktober und gewährten Pausenzeiten objektiv gesehen ganz erheblichen Beschränkungen. Aus den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich, dass sämtliche Pausen dadurch gekennzeichnet waren, dass der Kläger Einsatzkleidung (teilweise besondere Schutzbekleidung sowie Helm) trug, Dienstwaffe und Dienstfahrzeug mitführte und seine ständige Erreichbarkeit sicherstellen musste.

20Zwar ist in der Verpflichtung zum Tragen von Einsatzkleidung sowie zum Mitführen von Dienstwaffe und Dienstfahrzeug für sich genommen keine Einschränkung von solcher Art zu sehen, die objektiv gesehen ganz erheblich die Möglichkeit des Klägers beschränkt hat, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen wurden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen. Denn mit einer Ruhepause von 30 bis 45 Minuten - zudem an einem Einsatzort außerhalb der Dienststelle - geht unvermeidlich einher, dass sich die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung vor dem Hintergrund der absehbaren Wiederaufnahme des Dienstes anders darstellen als bei Ruhezeiten nach Beendigung der Arbeit.

21Hingegen unterwarf die den Kläger zusätzlich treffende Verpflichtung, während der gewährten Pausenzeiten seine ständige Erreichbarkeit sicherzustellen, seine freie Pausengestaltung objektiv gesehen ganz erheblichen Einschränkungen, die dem mit der Gewährung einer Ruhepause verfolgten Erholungszweck zuwiderläuft und den Betroffenen aufgrund der Unvorhersehbarkeit möglicher Unterbrechungen in eine "Daueralarmbereitschaft" versetzt. Dies gilt jedenfalls bei Maßnahmen der unmittelbaren präventiven oder repressiven Gefahrenabwehr, bei denen es in der Sachgesetzlichkeit der übertragenen Aufgabe liegt, dass die dienstliche Tätigkeit alsbald bzw. unverzüglich wieder aufzunehmen ist und ihr folglich ein Gepräge des "Sich-Bereit-Haltens" innewohnt.

22Die den Kläger treffenden ganz erheblichen Einschränkungen sind auch nicht dadurch aufgewogen worden, dass er sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht an einem vom Dienstherrn (explizit) bestimmten Ort bereitzuhalten hatte. Denn dieser war durch die Festlegung des Einsatzortes seitens des Dienstherrn, die Verpflichtung zur Sicherstellung der ständigen Erreichbarkeit sowie aufgrund der kurzen Dauer der Ruhezeit in tatsächlicher Hinsicht räumlich eng umrissen und somit nicht frei wählbar.

23b) Bei Berücksichtigung dieser Zeiten ist der Kläger über die festgesetzte regelmäßige Arbeitszeit hinaus in Anspruch genommen worden.

24Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AZV a. F. betrug die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit, die der Kläger innerhalb von zwölf Monaten durchschnittlich zu erbringen hatte (vgl. § 2 Nr. 1 AZV a. F.), 41 Stunden.

25Die dienstliche Inanspruchnahme des Klägers ging im Jahr 2013 über diese Arbeitszeit hinaus. Dies kann ohne Weiteres den in der Verwaltungsakte befindlichen monatsweisen Stundenabrechnungen entnommen werden und ist in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten auch nicht bestritten worden. Der Senat ist daher nicht gehindert, die dahingehenden tatsächlichen Feststellungen im Revisionsverfahren zu treffen (vgl. 3 C 2.19 - VRS 139, 94 Rn. 68).

26c) Der Kläger hat seine Ansprüche auch zeitnah, nämlich durch Schreiben vom , geltend gemacht.

27Zwar hat der Kläger darin ausdrücklich nur "rückwirkend" um eine Neubewertung der Pausenzeiten gebeten. Die Vorinstanzen haben dem Schreiben aber nicht nur einen auf die Vergangenheit bezogenen Erklärungsinhalt beigemessen und es - im Hinblick auf das zum Ausdruck kommende generelle Begehren, Pausen unter Bereithaltung als Arbeitszeit anerkannt zu bekommen - auch als Geltendmachung für die Zukunft gewertet. Diese Würdigung entspricht den auch im öffentlichen Recht heranzuziehenden Auslegungsgrundsätzen des § 133 BGB und lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

283. Soweit das Berufungsurteil einen Anspruch des Klägers für den Zeitraum bis Ende Juli 2013 wegen der fehlenden vorherigen Geltendmachung verneint hat, erweist sich die Entscheidung als im Ergebnis (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO) richtig. Zwar wäre der Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung auf den vom Berufungsgericht herangezogenen gesetzlichen Anspruch aus § 5 Abs. 1 AZV a. F. nicht anwendbar; für die allein in Betracht kommenden Ansprüche aus dem beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch indes ist er anwendbar (a). Unionsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht (b).

29a) Besoldungsansprüche von Beamten und Soldaten ergeben sich unmittelbar aus Gesetz (§ 2 Abs. 1 BBesG), eines Antrags bedarf es daher nicht ( 2 C 26.14 - Buchholz 232.0 § 87 BBG 2009 Nr. 1 Rn. 26). Dies gälte auch, wenn die vom Berufungsgericht herangezogene Regelung aus § 5 Abs. 1 AZV a. F. als gesetzliche Anspruchsgrundlage dienen würde.

30Ansprüche, deren Festsetzung und Zahlung sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, bedürfen dagegen einer vorherigen Geltendmachung ( - BVerfGE 81, 363 <384 f.>; 2 C 29.11 - BVerwGE 143, 381 Rn. 27 und vom - 2 C 32.10 - BVerwGE 140, 351 Rn. 19 und vom - 2 C 5.21 - juris Rn. 24). Denn hier ist eine vorgängige Entscheidung über Grund und Höhe der begehrten Zahlung erforderlich. Für Ansprüche wegen rechtswidriger Zuvielarbeit gilt dies in besonderer Weise. Diese sind nicht primär auf die Zahlung eines finanziellen Ausgleichs gerichtet, sondern auf die Beseitigung des rechtswidrigen Zustands. Für den Beamten folgt aus der beamtenrechtlichen Treuepflicht die Obliegenheit, seinen Dienstherrn mit einem auf eine solche Behauptung gestützten Anspruch alsbald zu konfrontieren, um ihm die Möglichkeit zu geben zu reagieren (vgl. 2 C 16.07 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 101 Rn. 21 und vom - 2 C 5.21 - juris Rn. 24). Dadurch ist zunächst eine Prüfung seines Dienstherrn veranlasst, ob eine Änderung der Arbeitszeitgestaltung erforderlich ist und ob eine rechtswidrige Zuvielarbeit - etwa durch Anpassung der maßgeblichen Dienstpläne - vermieden oder durch die Gewährung von Freizeitausgleich kompensiert werden kann. Auch hinsichtlich der möglichen finanziellen Ausgleichspflicht hat der Dienstherr ein berechtigtes Interesse daran, nicht nachträglich mit unvorhersehbaren Zahlungsbegehren konfrontiert zu werden ( 2 C 5.06 - Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 38 Rn. 15 und vom - 2 C 5.21 - juris Rn. 24).

31Der Beamte wird durch das Erfordernis der schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs gegenüber seinem Dienstherrn nicht unzumutbar belastet. Denn an die Rüge des Berechtigten sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Es reicht aus, wenn sich aus der schriftlichen Äußerung ergibt, dass der Beamte mit der jeweiligen Situation - hier dem Umfang der Arbeitszeit - nicht einverstanden ist. Weder ist ein Antrag im rechtstechnischen Sinne erforderlich noch muss Freizeitausgleich, hilfsweise finanzieller Ausgleich, beantragt oder der finanzielle Ausgleich konkret berechnet werden. Der Beamte kann dem Erfordernis der schriftlichen Geltendmachung in jeder beliebigen Textform gerecht werden, etwa auch per E-Mail ( 2 C 33.09 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 117 Rn. 15, vom - 2 C 29.11 - BVerwGE 143, 381 Rn. 27, vom - 2 C 26.14 - Buchholz 232.0 § 87 BBG 2009 Nr. 1 Rn. 29, vom - 2 C 40.17 - BVerwGE 161, 377 Rn. 29 und vom - 2 C 5.21 - juris Rn. 25).

32b) Unionsrechtlich begründete Zweifel hieran bestehen nicht.

33Dies folgt bereits daraus, dass der streitgegenständliche Anspruch nicht auf eine Überschreitung der unionsrechtlich geregelten Höchstarbeitszeit aus Art. 6 Buchst. b der RL 2003/88/EG von durchschnittlich 48 Stunden pro Siebentageszeitraum zurückgeht, sondern seinen Rechtsgrund allein in einer Überschreitung der national angeordneten durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit - von hier 41 Stunden - findet.

34Unabhängig hiervon begegnet der Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung auch keinen unionsrechtlichen Bedenken.

35Zwar hat der Gerichtshof der Europäischen Union für die Verpflichtung auf Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit aus Art. 6 Buchst. b der RL 2003/88/EG im Urteil vom (- C-429/09, Fuß - Rn. 86) ausgeführt, dass einem Arbeitnehmer, dem - wie demjenigen des dortigen Ausgangsverfahrens - durch den Verstoß seines Arbeitgebers ein Schaden entstanden ist, nicht zugemutet werden kann, zuvor einen Antrag bei diesem Arbeitgeber zu stellen, um einen Anspruch auf Ersatz dieses Schadens geltend zu machen. Denn die Verpflichtung des Arbeitgebers besteht unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer zuvor die Einhaltung dieser Bestimmungen beantragt hat. Diese Ausführungen waren indes auf den dortigen Fall bezogen, in dem bereits die Einforderung der Rechte unmittelbar Nachteile auf das Arbeitsverhältnis bewirkt hat. Denn der Arbeitgeber des dortigen Ausgangsverfahrens hatte vorab angekündigt und nachfolgend auch ins Werk gesetzt, jeden Arbeitnehmer, der die Einhaltung seiner Rechte geltend mache, in eine andere Dienststelle umzusetzen. In einer derartigen Situation, in der mit der Geltendmachung der bestehenden Rechte eine Sanktion des Arbeitgebers verbunden ist, verstößt es gegen den Effektivitätsgrundsatz, nachträgliche Schadensersatzforderungen von einem vorherigen Antrag abhängig zu machen.

36Abgesehen von dieser Sondersituation ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt, dass der Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung für Ansprüche von Beamten auf Geldleistungen, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, weder gegen den Äquivalenzgrundsatz noch gegen den Effektivitätsgrundsatz verstößt ( u. a., Specht - Rn. 115 und vom - C-20/13, Unland - Rn. 72). Es ist vielmehr Sache der Mitgliedstaaten, für nationale Regelungen, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, Fristen festzulegen, die insbesondere der Bedeutung der zu treffenden Entscheidungen für die Betroffenen, der Komplexität der Verfahren und der anzuwendenden Rechtsvorschriften, der Zahl der potenziell Betroffenen und den anderen zu berücksichtigenden öffentlichen oder privaten Belangen entsprechen (, Bulicke - Rn. 36 m. w. N.).

37Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2022:131022U2C24.21.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-35922