§§ 5 Abs. 2, 7 Abs. 1 EStG; ertragsteuerliche Behandlung einer „erworbenen“ Vertragsarztzulassung/kassenärztlichen Zulassung; Abgrenzung des Erwerbs einer Vertragspraxis vom Erwerb nur des wirtschaftlichen Vorteils aus einer Vertragsarztzulassung
Bezug: BStBl 1995 I S. 14
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I. Allgemeines
Seit dem Gesundheitsstrukturgesetz 1993 (vom , BGBl I 1993 S. 2266) bestehen für die Niederlassung von Ärzten Zulassungsbeschränkungen. Dadurch haben Vertragsarztsitze einen gewissen Wert. Sofern durch die Kassenärztliche Vereinigung eine Überversorgung in einem Planungsbereich festgestellt wird, tritt grundsätzlich eine Zulassungssperre ein, wobei freiwerdende Vertragsarztsitze erlöschen.
Nach § 103 Abs. 3a, 4 SGB V kann ein ausscheidender Arzt, der seine Praxis in einem überversorgten Planungsbereich betreibt und diese veräußern möchte, beim Zulassungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung einen Antrag stellen, den Vertragsarztsitz auszuschreiben. Dadurch wird für ihn eine wirtschaftliche Verwertung der Praxis oder zumindest der Zulassung möglich. Nach erfolgter Ausschreibung hat der Zulassungsausschuss nach seinem Ermessen einen Nachfolger auszuwählen. Dabei sind neben anderen Kriterien auch die wirtschaftlichen Interessen des ausscheidenden Vertragsarztes angemessen zu berücksichtigen. § 103 Abs. 4 SGB V bewirkt daher, dass der Kaufinteressent der Praxis die öffentlich-rechtliche Zulassung erhalten kann und somit u. U. auch der Praxiserwerb möglich wird, obwohl grundsätzlich eine Zulassungssperre für den Planungsbereich besteht. Ohne diese Regelung könnte ein aufgebender Arzt seine Praxis quasi nicht mehr veräußern, da ohne eine vertragsärztliche Zulassung die Grundlage für die Fortführung der Praxis durch den Erwerber entzogen wäre.
Dagegen wird im nicht gesperrten Planungsbereich lediglich eine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung benötigt. Dann ist der Praxiserwerb nur noch eine zivilrechtliche Angelegenheit.
II. Abgrenzung des Erwerbs einer Vertragsarztpraxis vom Erwerb nur des wirtschaftlichen Vorteils aus Vertragsarztzulassung
II.1 Vertragsarztzulassung als Bestandteil des Praxiswerts
Der BFH hat bereits mit Urteil vom , VIII R 13/08, BStBl II 2011 S. 875, entschieden, dass der Vorteil aus der Zulassung als Vertragsarzt in der Regel in dem Praxiswert einer Arztpraxis enthalten ist. Erwirbt daher ein Praxisnachfolger eine bestehende Arztpraxis, einen Teilbetrieb oder einen Mitunternehmeranteil mit Vertragsarztsitz und zahlt unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen des ausscheidenden Vertragsarztes oder seiner Erben einen Kaufpreis in Höhe des Verkehrswerts der Praxis, ist der „Vertragsarztzulassung“ kein gesonderter Wert beizumessen. Wenn sich somit der Kaufpreis einer Arztpraxis nach dem Verkehrswert richtet, lässt sich von dem Praxiswert kein gesondertes Wirtschaftsgut „Vorteil aus der Vertragsarztzulassung“ abspalten. In diesem Fall ist in dem Praxiswert der „Vorteil aus der Vertragsarztzulassung“ untrennbar enthalten mit der Folge, dass die vom Erwerber vorzunehmende Abschreibung auf den Praxiswert auch die Vertragsarztzulassung umfasst.
Der BFH sieht sogar in einem Zuschlag zum Verkehrswert („Überpreis“) ein Indiz für den Erwerb einer Arztpraxis. Die Zahlung eines solchen Überpreises indiziert nach Auffassung des BFH erst recht, dass der Gegenstand der Übertragung die gesamte Arztpraxis ist, vgl. dazu , BStBl II 2017 S. 689.
II.2
Der BFH hat mit seinen Urteilen vom , VIII R 7/14 und VIII R 56/14, BStBl II 2017 S. 689 und 694, seine bisherige Rechtsprechung bestätigt und entschieden, dass die Vertragsarztzulassung Teil des Praxiswerts ist, der als Wirtschaftsgut nach § 7 Abs. 1 EStG abzuschreiben ist. Der BFH weist darauf hin, dass für die Ermittlung der AfA nach § 7 Abs. 1 EStG zwischen dem Erwerb des Betriebs einer Vertragsarztpraxis als Sachgesamtheit (mit sämtlichen materiellen Wirtschaftsgütern und einem Praxiswert) und dem Sonderfall des Erwerbs nur des immateriellen Wirtschaftsguts des „mit der Vertragsarztzulassung verbundenen wirtschaftlichen Vorteils“ zu unterscheiden ist. In der Regel erwirbt der Käufer eine Vertragsarztpraxis als einheitliches „Chancenpaket“, das sich aus verschiedenen wertbildenden Faktoren wie Patientenstamm, Standort, Umsatz, Facharztgruppe etc. zusammensetzt und neben den einzelnen bewertbaren materiellen Wirtschaftsgütern der Praxiseinrichtung hauptsächlich durch den als immaterielles Wirtschaftsgut abschreibbaren Praxiswert repräsentiert wird. Im „Praxiswert“ ist somit neben dem Patientenstamm auch der „Vorteil aus der Vertragsarztzulassung“ enthalten. Wie bei dem Firmen- bzw. Geschäftswert des Betriebs eines Gewerbetreibenden handelt es sich auch beim Praxiswert um einen Inbegriff einer Anzahl von im Einzelnen nicht messbaren Faktoren. Eine gesonderte Bewertung des Vorteils aus der Zulassung als Vertragsarzt neben oder statt des Praxiswerts kommt aus Gründen der Praktikabilität nicht in Betracht, da ein sachlich begründbarer Aufteilungs- oder Bewertungsmaßstab nicht ersichtlich ist.
Der Praxiswert ist ein abnutzbares Wirtschaftsgut des Anlagevermögens. Die AfA bestimmt sich nicht nach der Sonderregelung für den Geschäfts- oder Firmenwert in § 7 Abs. 1 S. 3 EStG, sondern nach § 7 Abs. 1 EStG. Die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer beträgt bei Einzelpraxen in der Regel drei bis fünf Jahre und bei Sozietäten grundsätzlich sechs bis zehn Jahre, vgl. BStBl I 1995 S. 14.
II.3 Vertragsarztzulassung als selbständiges immaterielles Wirtschaftsgut (Sonderfall)
Auch wenn der „Vorteil aus der Zulassung als Vertragsarzt“ grundsätzlich kein neben dem Geschäftswert der übernommenen Praxis stehendes oder ihn überlagerndes selbständiges Wirtschaftsgut ist, schließt dies nicht aus, dass in Sonderfällen die Zulassung zum Gegenstand eines gesonderten Veräußerungsvorgangs gemacht und damit zu einem selbständigen Wirtschaftsgut konkretisiert werden kann (vgl. a. a. O., Rdnr. 25). Dies kann der Fall sein, wenn ein Arzt an einen ausscheidenden Arzt eine Zahlung im Zusammenhang mit der Erlangung der „Vertragsarztzulassung“ leistet, ohne jedoch die Praxis (mit ihren Räumen und dem Patientenstamm) tatsächlich zu übernehmen, weil er den Vertragsarztsitz an einen anderen Ort verlegen will. Auf diesen Ausnahmefall hatte bereits der BFH in seinem o. b. Urteil vom (unter Verweis auf das Urteil des , EFG 2005, 420) hingewiesen.
Übernimmt daher z. B. der Erwerber keine Wirtschaftsgüter des Anlage- und Umlaufvermögens, wird der Vertragsarztsitz in einen anderen Ort verlegt und fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass der Patientenstamm tatsächlich übergeben wurde, so spricht dies nach dem , BStBl II 2017 S. 694, für den isolierten Erwerb des „Vorteils aus der Vertragsarztzulassung“.
Ob der Käufer die Arztpraxis oder nur den wirtschaftlichen Vorteil aus der Vertragsarztzulassung erwirbt, ist - ausgehend von den vertraglichen Vereinbarungen der Beteiligten und deren tatsächlicher Umsetzung - im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu bestimmen. Bei dieser Gesamtwürdigung kommt insbesondere auch der Kaufpreisbemessung maßgebliche Bedeutung zu.
Die Feststellungslast bezüglich der Umstände, dass entgegen dem äußeren Anschein nicht eine Praxis, sondern nur der Vorteil aus der Zulassung als Vertragsarzt erworben werden soll, liegt beim Finanzamt.
Ein solcher Sonderfall wurde auf Bund-Länder-Ebene erörtert:
Ein Arzt beabsichtigt, eine Einzelpraxis zu Buchwerten in ein medizinisches Versorgungszentrum in der Rechtsform einer GmbH (MVZ GmbH) einzubringen. Da die MVZ GmbH bereits eine Lizenz zur Abrechnung von kassenärztlichen Patienten (kassenärztliche Vertragsarztzulassung) innehat, will der Einbringende seine Vertragsarztzulassung im Rahmen der Einbringung gem. § 20 UmwStG zurückbehalten (sog. „MVZ-Vertragsarztmodell“ bzw. „MVZ-Mischmodell“).
Voraussetzung für die Anwendung des § 20 UmwStG (Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils in eine Körperschaft) mit einem Wertansatz unterhalb des gemeinen Wertes ist die Übertragung sämtlicher funktional wesentlicher Betriebsgrundlagen auf die übernehmende Gesellschaft. Eine reine Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern ist nicht ausreichend, vgl. Randnr. 20.06 des BStBl I 2011 S. 1314 (UmwStE).
Der hier vorliegende Fall ist hinsichtlich der Beurteilung der Vertragsarztzulassung als Sonderfall zu betrachten. Die Vertragsarztzulassung ist in dem Einbringungsfall gerade nicht - wie bei der Veräußerung einer gesamten Praxis - im übertragenden Geschäftswert enthalten, sondern soll als ein vom Geschäftswert abgetrennter Vorteil beim Einbringenden verbleiben.
Für einen niedergelassenen, praktizierenden Arzt hat die Berechtigung durch die Vertragsarztzulassung, gesetzlich krankenversicherte Patienten auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen zu behandeln, ein besonderes wirtschaftliches Gewicht für seinen laufenden Geschäftsbetrieb. Es handelt sich daher um eine funktional wesentliche Betriebsgrundlage. Für die Prüfung der Tatbestandsmerkmale des § 20 UmwStG ist es irrelevant, ob bei einer Einbringung eines Betriebs die übernehmende Gesellschaft durch die Zulassung zum Betrieb eines medizinischen Versorgungszentrums gem. § 95 Abs. 3 S. 2 SGB V dieses Recht bereits erlangt hat und die kassenärztliche Vertragsarztzulassung daher für die Übernehmerin nicht erforderlich ist; entscheidend ist die Sicht des Einbringenden zum Einbringungszeitpunkt (steuerlicher Übertragungsstichtag), vgl. Randnr. 20.06 i. V. m. 15.03 i. V. m. 15.02 UmwStE.
Das bedeutet für diesen Fall, dass § 20 UmwStG keine Anwendung findet, weil nicht alle funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen vom Einbringenden auf die MVZ GmbH übertragen werden.
Der wirtschaftliche Vorteil aus einer unbefristet erteilten Vertragsarztzulassung ist ein nicht abnutzbares immaterielles Wirtschaftsgut, da es sich nicht innerhalb eines bestimmten oder bestimmbaren Zeitraums „verbraucht“. Der Umstand, dass der Inhaber ein zeitlich unbeschränkt erteiltes Recht persönlich nicht unbefristet nutzen kann, begründet nicht automatisch dessen Abnutzbarkeit. Die Anschaffungskosten für den Erwerb dieses Wirtschaftsguts können nicht nach § 7 Abs. 1 EStG abgeschrieben werden.
Wenn der Vertragsarzt seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG durch Bestandsvergleich ermittelt und die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 EStG erfüllt sind, kann er insoweit eine Teilwertabschreibung geltend machen.
Eine Teilwertabschreibung nach Einführung der Bedarfszulassung zum im Rahmen der Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab 2000 (GKV- GR 2000 vom , BGBl. I 1999, 2626) kommt allerdings nicht in Betracht. Eine Verwertungsmöglichkeit der Zulassung besteht auch über den hinaus, da nach § 103 Abs. 3a, 4 SGB V die Ausschreibung für gesperrte Planbereiche weiterhin möglich ist. Durch die Einführung der Bedarfszulassung ändert sich an der Verwertungsmöglichkeit der Zulassung nichts.
III. Hinweise
Durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV - WSG) vom , BGBl I 2007, 378 , sind die Zulassungsbeschränkungen für Zahnärzte mit Wirkung zum weggefallen, vgl. § 103 Abs. 8 SGB V. In diesen Fällen ist bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG durch Bestandsvergleich eine Teilwertabschreibung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 EStG zulässig, da ab dem mit der kassenärztlichen Zulassung kein verwertbarer wirtschaftlicher Vorteil mehr verbunden ist.
ESt-Kartei ND:
Die bisherige Karteikarte zu § 5 EStG
Nr. 2.2 (Kontrollnummer 2303) ist durch diese Karteikarte zu ersetzen.
Landesamt für Steuern
Niedersachsen v. - S 2134a-6-St 222/St
221
Fundstelle(n):
ESt-Kartei
ND EStG §
5 Fach Nr. 2.2 Karte Kontroll-Nr.
2381
YAAAJ-35869