Zuständigkeitswechsel
Bezug: BStBl 1989 II S. 483
1 Allgemeines
1.1 Geht die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung durch eine Änderung der sie begründenden Umstände von einem Finanzamt auf ein anderes Finanzamt über, tritt ein Wechsel in der Zuständigkeit erst in dem Zeitpunkt ein, in dem eines der betroffenen Finanzämter von dem Zuständigkeitswechsel erfährt (§ 26 Satz 1 AO). Ein Steuerpflichtiger kann sich auf eine veränderte örtliche Zuständigkeit der Finanzämter nicht berufen, solange die die Zuständigkeit verändernden Umstände keinem der betroffenen Finanzämter zweifelsfrei bekannt geworden sind ( BStBl II S. 483).
1.2 Der genaue Zeitpunkt, zu dem das bislang zuständige Finanzamt von einem Zuständigkeitswechsel erfahren hat, kann im Hinblick auf die Steuerberechtigung des Landes von erheblicher Bedeutung sein. Die Umstände, die zu einer Änderung in der örtlichen Zuständigkeit führen, sind aus diesem Grunde unter Angabe des Datums aktenkundig zu machen.
1.3 Tritt ein Zuständigkeitswechsel ein, hat das neu zuständig gewordene Finanzamt die Besteuerung in vollem Umfange zu übernehmen. Es hat also unerledigte Veranlagungen durchzuführen und die Kassengeschäfte abzuwickeln. Erforderlichenfalls hat es auch Vollstreckungsmaßnahmen wegen Steuerrückständen aus zurückliegenden Jahren vorzunehmen bzw. fortzuführen, weil die Zuständigkeit für die Besteuerung auch die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen umfasst.
Die Übernahme der Besteuerung kann daher nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass
Steuererklärungen unbearbeitet und Veranlagungen noch nicht durchgeführt sind,
die persönliche und/oder sachliche Steuerpflicht zwischenzeitlich erloschen ist,
über Anträge des Steuerpflichtigen (z.B. auf Erlass von Steuerschulden) noch nicht entschieden ist oder
der Steuerpflichtige mit der Zahlung fälliger Steuern rückständig ist.
Auch ein anhängiges außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren hindert die Übernahme der Besteuerung durch das neu zuständig gewordene Finanzamt nicht, da nach § 367 Abs. 1 Satz 2 AO jeder nach Erlass des Verwaltungsakts eingetretene Zuständigkeitswechsel auch eine Zuständigkeitsänderung im Einspruchsverfahren bewirkt (Hinweis auf AEAO zu § 367, Nr. 1). Die Rechtsbehelfsvorgänge sind daher mit den übrigen Akten abzugeben.
2 Fortführung des Verfahrens nach § 26 Satz 2 AO
Nach § 26 Satz 2 AO kann das bisher zuständige Finanzamt ein bereits begonnenes Verwaltungsverfahren – trotz eines zwischenzeitlich eingetretenen Zuständigkeitswechsels – fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen des Steuerpflichtigen der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und das nunmehr zuständige Finanzamt zustimmt. Eine entsprechende Vereinbarung zwischen den beteiligten Finanzämtern kann sich stets nur auf einzelne, im Zeitpunkt des Zuständigkeitswechsels anhängige Verwaltungsverfahren beziehen, nicht jedoch auf die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung insgesamt (insoweit Hinweis auf § 27 AO).
Als Verwaltungsverfahren i.S. des § 26 Satz 2 AO ist insbesondere das einzelne Besteuerungsverfahren anzusehen, das im Allgemeinen mit der Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung oder der Abgabe der Steuererklärung beginnt und mit der erforderlichenfalls im Vollstreckungswege durchzuführenden Verwirklichung des Anspruchs (Einziehung bzw. Erstattung der Steuer) endet, einschließlich eines etwaigen außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens. Dabei ist jede Steuerart und jeder Veranlagungszeitraum gesondert zu betrachten.
Vereinbarungen nach § 26 Satz 2 AO können insbesondere zweckmäßig sein, wenn
der Steuerpflichtige die Fortführung des Verfahrens durch das bisher zuständige Finanzamt beantragt und dafür wichtige Gründe anführt,
die Bearbeitung eines Falles bereits kurz vor dem Abschluss steht oder
eine Außenprüfung stattgefunden hat und der Prüfungsbericht noch nicht ausgewertet ist.
Eine Vereinbarung nach § 26 Satz 2 AO bedarf zwar nicht der Zustimmung des betroffenen Steuerpflichtigen, jedoch sind seine Interessen angemessen zu berücksichtigen. Von der Fortführung des Verwaltungsverfahrens durch das bisher zuständige Finanzamt ist er in Kenntnis zu setzen.
3 Sonderfälle zum Übergang der örtlichen Zuständigkeit
3.1 Wohnsitzverlegung bei gleichzeitiger Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe
Verlegt der Steuerpflichtige unter gleichzeitiger Veräußerung oder Aufgabe seines Betriebs seinen Wohnsitz in den Bezirk eines anderen als des bisher zuständigen Wohnsitz- und Betriebs-Finanzamts, sind die Personensteuerakten unverzüglich an das neu zuständig gewordene Wohnsitzfinanzamt abzugeben.
Eine gesonderte Feststellung der betrieblichen Einkünfte durch das bisher zuständige Finanzamt auf der Grundlage des § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 b AO scheidet aus, da der Tatbestand dieser Vorschrift nur erfüllt ist, wenn nach den Verhältnissen zum Schluss des Gewinnermittlungszeitraums der Wohnort und der Betriebs- bzw. Tätigkeitsort in den Bezirken verschiedener Finanzämter liegen. Das bisher zuständige Finanzamt (Betriebsfinanzamt) hat jedoch für Zwecke der Einkommensteuer den Gewinn aus der Zeit bis zur Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe (einschließlich eines Veräußerungs- oder Aufgabegewinns) im Wege der Amtshilfe für das neue Wohnsitzfinanzamt zu ermitteln. Dieses hat dem Betriebsfinanzamt ggf. Kopien der vom Steuerpflichtigen eingereichten Gewinnermittlungsunterlagen zu übermitteln. Das Betriebsfinanzamt teilt die Höhe der Einkünfte dem neuen Wohnsitzfinanzamt formlos mit.
Da eine gesonderte Feststellung der aus dem veräußerten oder aufgegebenen Betrieb erzielten Einkünfte nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 b AO nicht zulässig ist, obliegt die Entscheidung, in welcher Höhe die Einkünfte bei der Veranlagung anzusetzen sind – unbeschadet der vom Betriebsfinanzamt zu leistenden Amtshilfe – dem neuen Wohnsitzfinanzamt. Das Betriebsfinanzamt hat deshalb ggf. dem neuen Wohnsitzfinanzamt die Ermittlung eines von der Steuererklärung des Steuerpflichtigen abweichenden Gewinns/Verlusts zu erläutern. Das neue Wohnsitzfinanzamt entscheidet selbständig, ob es diese Einkünfte in den Einkommensteuerbescheid übernehmen will, ggf. kann es noch eigene Ermittlungen vornehmen.
Für die Betriebsteuern bleibt grundsätzlich das Betriebsfinanzamt zuständig, die Zuständigkeit geht nicht auf das neue Wohnsitzfinanzamt über ( BStBl II S. 483). Noch ausstehende Umsatzsteuer-Veranlagungen und Gewerbesteuer-Messbetragsfestsetzungen sind daher noch durch das bisher zuständige (Betriebs-)Finanzamt durchzuführen. Dieses bleibt hinsichtlich der Umsatzsteuer auch für das Erhebungsverfahren und ein sich ggf. anschließendes Vollstreckungsverfahren sowie für ein etwaiges Rechtsbehelfsverfahren zuständig. Zur Vollstreckung von Umsatzsteuer-Rückständen ist ggf. ein Amtshilfeersuchen an das neue Wohnsitzfinanzamt zu richten.
Wird der Steuerpflichtige am Ort seines neuen Wohnsitzes wiederum unternehmerisch tätig (z.B. nach Eröffnung eines neuen Gewerbebetriebs), tritt auch für die Umsatzsteuer ein Zuständigkeitswechsel ein. In diesem Fall sind daher auch die Umsatzsteuerakten an das neu zuständige Finanzamt abzugeben.
3.2 Liquidations- und Insolvenzfälle
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder der Einleitung der Liquidation geht in der Regel die Geschäftsleitung des Unternehmens auf den Insolvenzverwalter oder den Liquidator über. Befindet sich das Büro des Insolvenzverwalters oder des Liquidators nicht im Bezirk des Finanzamts, das für das zu liquidierende oder in Insolvenz geratene Unternehmen bisher örtlich zuständig war, vermeidet § 26 Satz 3 AO zunächst einen Wechsel der örtlichen Zuständigkeit. Nach dieser Vorschrift tritt ein Zuständigkeitswechsel solange nicht ein, wie über einen Insolvenzantrag noch nicht entschieden wurde, ein eröffnetes Insolvenzverfahren noch nicht aufgehoben wurde oder sich eine Personengesellschaft oder eine juristische Person in Liquidation befindet.
3.3 Verschmelzung und Umwandlung von Kapital- und Personengesellschaften
In den Fällen der Verschmelzung und Umwandlung von Kapital- und Personengesellschaften geht die Zuständigkeit für die Besteuerung der untergehenden (verschmolzenen) Gesellschaft auf das für die Rechtsnachfolgerin (übernehmende Gesellschaft) örtlich zuständige Finanzamt über. Dies schließt es nicht aus, dass das bisher zuständige Finanzamt ein bereits begonnenes Verfahren fortführt (§ 26 Satz 2 AO) oder die beteiligten Finanzämter eine Zuständigkeitsvereinbarung (§ 27 AO) treffen.
3.4 Wechsel von der unbeschränkten zur beschränkten Einkommensteuerpflicht und umgekehrt
Verlegt ein unbeschränkt Steuerpflichtiger seinen Wohnsitz vom Inland in das Ausland oder ein beschränkt Steuerpflichtiger seinen Wohnsitz vom Ausland in das Inland, so wechselt mit dem Übergang von der unbeschränkten zur beschränkten bzw. von der beschränkten zur unbeschränkten Steuerpflicht häufig auch das für die Besteuerung nach dem Einkommen örtlich zuständige Finanzamt (§ 19 Abs. 1 und 2 AO; für Arbeitnehmereinkünfte beschränkt Steuerpflichtiger ist auch die Sonderzuständigkeit nach § 50 Abs. 2 Satz 3 ff EStG zu beachten). Ab dem Zeitpunkt, in dem eines der beiden Finanzämter hiervon erfährt (§ 26 Satz 1 AO), hat das zuständig gewordene Finanzamt die gesamte Besteuerung, auch für zurückliegende Zeiträume, zu übernehmen. Dies schließt nicht aus, im Einzelfall beim Vorliegen besonderer Verhältnisse von der Regelung des § 26 Satz 2 AO Gebrauch zu machen.
Hat ein Steuerpflichtiger seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland aufgegeben und erzielt er im Jahr des Wegzugs keine Einkünfte im Sinne des § 49 EStG, ist das Finanzamt örtlich zuständig, das nach den Verhältnissen vor dem Wegzug zuletzt örtlich zuständig war (§ 19 Abs. 2 Satz 3 AO).
Bezieht ein Steuerpflichtiger nur noch im Wegzugsjahr Einkünfte i. S. von § 49 EStG, bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit für die (einheitliche, vgl. § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG) Veranlagung für das Wegzugsjahr nach § 19 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO. Die Sonderzuständigkeit für Arbeitnehmereinkünfte nach § 50 Abs. 2 Satz 3 ff. EStG gilt hier nicht, weil kein Fall des § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 EStG, sondern des § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG vorliegt. Jedoch lässt § 19 Abs. 2 Satz 3 AO die Möglichkeit unberührt, ein begonnenes Verwaltungsverfahren nach § 26 Satz 2 AO fortzuführen oder eine Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO zu treffen. Von diesen Möglichkeiten soll regelmäßig Gebrauch gemacht werden, um eine Aktenabgabe allein für die Veranlagung des Wegzugsjahrs zu vermeiden.
Bezieht der Steuerpflichtige auch nach dem Wegzugsjahr Einkünfte i. S. von § 49 EStG, bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit für die Veranlagung zur beschränkten Steuerpflicht nach § 19 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO bzw. nach § 50 Abs. 2 Satz 3 ff. EStG. Dieses Finanzamt ist dann auch für die Veranlagungszeiträume zuständig, in denen noch unbeschränkte Steuerpflicht bestand. Bereits begonnene Verwaltungsverfahren können ggf. gem. § 26 Satz 2 AO durch das bisher zuständige Finanzamt fortgeführt werden.
3.5 Tod der einkommensteuerpflichtigen natürlichen Person
Durch den Tod des Steuerpflichtigen tritt eine Veränderung der für die örtliche Zuständigkeit maßgeblichen Umstände nicht ein. Das bisher nach § 19 AO zuständige Finanzamt hat daher die Einkommensbesteuerung hinsichtlich des verstorbenen Steuerpflichtigen zu Ende zu führen.
Wechselt nach dem Tod eines Ehegatten der mit ihm zusammenveranlagte Ehegatte den Wohnsitz, geht die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung beider Eheleute auf das (neue) Wohnsitzfinanzamt des verwitweten Ehegatten über. Dieses Finanzamt hat mithin nicht nur die Veranlagungen des verwitweten Ehegatten, sondern auch etwa noch ausstehende (Änderungs-)Veranlagungen für Zeiträume der Zusammenveranlagung durchzuführen.
3.6 Einkommensteuer-Zusammenveranlagung inzwischen geschiedener oder dauernd getrennt lebender Ehegatten
Trennen sich Ehegatten, ist dadurch eine Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr der Trennung nicht ausgeschlossen (§§ 26 Abs. 1 Satz 1, 26b EStG). Verlegt ein Ehegatte oder verlegen beide Eheleute nach der Trennung seinen/ihren Wohnsitz in den Bezirk eines anderen als des bisher für die Besteuerung der Eheleute zuständigen Finanzamts, so stellt sich die Frage der örtlichen Zuständigkeit. Hierfür gilt Folgendes:
Im Falle der Zusammenveranlagung inzwischen geschiedener oder dauernd getrennt lebender Ehegatten richtet sich die örtliche Zuständigkeit für die Einkommensteuer nach dem Wohnsitz des jeweiligen Ehegatten (§ 19 Abs. 1 Satz 1 AO). Trotz der Zusammenveranlagung bleibt jeder Ehegatte für sich "Steuerpflichtiger" im Sinne von § 19 AO. Die Vorschrift des § 19 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz AO, die auf den Familienwohnsitz abstellt, setzt ein nicht dauerndes Getrenntleben der Ehegatten voraus und ist deshalb nicht anwendbar. Wohnen die Ehegatten in den Bezirken verschiedener Finanzämter, liegt damit eine mehrfache örtliche Zuständigkeit gemäß § 25 AO vor. Zuständig ist danach das Finanzamt, das zuerst mit der Sache befasst war.
Behält ein Ehegatte den früheren Wohnsitz bei oder zieht er nur innerhalb des Bezirks des bisher zuständigen Finanzamts um, bleibt dieses bisherige als das zuerst mit der Sache befasste Finanzamt für den Erlass von Erst- und Änderungsbescheiden für Zeiträume, in denen noch eine Zusammenveranlagung in Betracht kommt, zuständig. Ist der andere Ehegatte auch zur Umsatzsteuer oder Gewerbesteuer zu veranlagen, kann es sich jedoch anbieten, dass das Finanzamt des anderen Ehegatten die Besteuerung übernimmt. Die Zustimmung der Steuerpflichtigen ist hierzu nicht erforderlich (§ 25 Satz 1 AO), weil es sich nicht um eine Zuständigkeitsvereinbarung im Sinne des § 27 AO handelt (AEAO zu § 25).
Verlegen nach Trennung/Scheidung beide Ehegatten ihren Wohnsitz in andere Finanzamtsbezirke, sind die Personensteuerakten an das Finanzamt abzugeben, in dessen Bezirk der Ehegatte verzogen ist, bei dem das Schwergewicht der Besteuerungsgrundlagen (= Summe der Betriebseinnahmen/ Einnahmen vor Abzug der Betriebsausgaben/Werbungskosten) liegt.
Dieses Finanzamt ist nach § 25 AO ab dem Zeitpunkt des Eintritts des Zuständigkeitswechsels (§ 26 AO) für den ggf. noch erforderlichen Erlass von Erst- oder Änderungsbescheiden für Veranlagungszeiträume bis einschl. des Jahres der Trennung zuständig, soweit die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung vorliegen.
Beantragt einer der Ehegatten die Einzelveranlagung, so ist für jeden Ehegatten das für ihn zuständige Finanzamt für die Durchführung der getrennten Veranlagung örtlich zuständig.
OFD Karlsruhe v. - S 0127
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PAAAJ-35350