BFH Urteil v. - XI R 13/20 BStBl 2023 II S. 938

Besteuerung der Vermietung nicht ortsfester Wohncontainer an Arbeitnehmer

Leitsatz

§ 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG begünstigt nicht nur die Vermietung von Grundstücken und mit diesen fest verbundenen Gebäuden, sondern allgemein die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen durch einen Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden und damit auch die Vermietung von Wohncontainern an Erntehelfer.

Gesetze: UStG § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1; MwStSystRL Art. 98, Anhang III Nr. 12; MwSt DVO Art. 43;

Instanzenzug: ,

Tatbestand

I.

1 Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt eine Landwirtschaft mit Schwerpunkt Spargel- und Beerenanbau. Er beschäftigte in den Besteuerungszeiträumen 2014 bis 2017 (Streitjahre) saisonal rund 100 Erntehelfer, an die er Räume in Wohncontainern vermietete. Die „Dreierblocks“, die über einen Sanitär- und Stromanschluss verfügten, waren mit Schlafräumen, einer Nasszelle, einem Aufenthaltsraum und einer Küche eingerichtet. Die Einzelcontainer enthielten lediglich drei Schlafplätze; für die dort untergebrachten Erntehelfer standen in der Halle des Klägers eine Sanitäreinrichtung und eine zentrale Küchenanlage zur Verfügung. Die Wohncontainer waren nicht in das Erdreich eingelassen, sondern standen auf Steinsockeln und waren über gepflasterte Wege zu erreichen. Die Dreierblocks waren Eigentum des Klägers und befanden sich dauerhaft auf dessen Gelände, während die Einzelcontainer vom Kläger angemietet wurden und nur während der Saison bei ihm aufgestellt waren. Zwischen dem Kläger und den Erntehelfern wurden neben den Arbeitsverträgen „Leistungsverträge“ geschlossen, in denen die Miete kalendertäglich vereinbart war. Neben der Unterkunft konnten die Erntehelfer auch Verpflegung beziehen, die der Kläger gesondert berechnete. Die Verträge enthielten eine Klausel, nach der die Ansprüche aus dem Leistungsvertrag mit Ansprüchen aus dem Arbeitsvertrag aufgerechnet werden konnten; die Dauer des jeweiligen Mietverhältnisses betrug längstens drei Monate.

2 Der Kläger meldete seine Umsätze aus der Vermietung der Räume an Erntehelfer für die Streitjahre zum ermäßigten Steuersatz an. Im Zuge einer Außenprüfung kam der Prüfer unter Bezugnahme auf Abschn. 12.16 Abs. 5 4. Spiegelstrich des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses zu dem Ergebnis, die betreffenden Umsätze unterlägen dem Regelsteuersatz, weil die Unterkünfte keine dauerhaft feste Verbindung zum Grundstück besaßen.

3 Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) schloss sich der Auffassung des Prüfers an und erließ für die Streitjahre am entsprechende Änderungsbescheide über Umsatzsteuer. Den Einspruch des Klägers wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück.

4 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es entschied, die kurzfristige Beherbergung der Erntehelfer in Wohncontainern unterliege dem ermäßigten Steuersatz. Es bestehe hierfür kein Erfordernis, dass die Wohn- und Schlafräume Teile von Gebäuden sein müssten.

5 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Der Gesetzgeber habe in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) den Wortlaut „die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält“ aus § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG übernommen. Da diese Vorschrift sich auf § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG beziehe, der ausschließlich die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken zum Gegenstand habe, habe der Gesetzgeber ausschließlich die kurzfristige Überlassung von Wohn- und Schlafräumen in Gebäuden dem ermäßigten Steuersatz unterwerfen wollen. Diese Auslegung entspreche dem (BFHE 243, 32, BStBl II 2013, 1058) sowie dem Sinn und Zweck der Vorschrift, da der Gesetzgeber das klassische Hotelgewerbe habe fördern wollen. Entgegen der Vorentscheidung könne Art. 43 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwSt-DVO) nicht zur Auslegung des Begriffs der „Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen“ in Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 (a.F.; nunmehr Art. 98 Abs. 1 Unterabs. 2) i.V.m. Anhang III Nr. 12 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) herangezogen werden. Ferner lägen die Voraussetzungen für eine Besteuerung zum ermäßigten Steuersatz auch deshalb nicht vor, weil die unionsrechtlichen Bestimmungen nicht die Vermietung von Wohncontainern an Erntehelfer für die Zeit ihres Arbeitsverhältnisses begünstigten; es handele sich nicht um eine Ferienunterkunft und die Vermietung sei vorliegend nur eine Nebenleistung, die als Annex zum Arbeitsverhältnis eingegangen worden sei. Der Kläger habe auch keine hoteltypischen Leistungen erbracht.

6 Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7 Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Gründe

II.

8 Die Revision ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zutreffend entschieden, dass § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG nicht nur die Vermietung von Grundstücken und mit diesen fest verbundenen Gebäuden begünstigt, sondern allgemein die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen durch einen Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden und damit auch die Vermietung von Wohncontainern an Erntehelfer.

9 1. Der Kläger hat durch die Gewährung von Unterkunft an die Erntehelfer steuerbare und steuerpflichtige Leistungen erbracht. Diese unterliegen dem ermäßigten Steuersatz.

10 a) Nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf sieben Prozent für die Vermietung u.a. von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält. Diese Ermäßigung beruhte in den Streitjahren auf Art. 98 Abs. 1, Abs. 2 Unterabs. 1 (nunmehr: Art. 98 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2) i.V.m. Anhang III Nr. 12 MwStSystRL.

11 b) Diese Steuerermäßigung umfasst, wie das FG zutreffend entschieden hat, auch die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen in nicht ortsfesten Wohncontainern.

12 Zwar entspricht die Formulierung des Tatbestands der Steuerermäßigung in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG derjenigen in § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG, der sich auf den Grundtatbestand des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG (vgl. , BFH/NV 2013, 1952, Rz 16) und damit auf die Vermietung von Grundstücken bezieht. Dem Wortlaut des § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG selbst ist jedoch nicht zu entnehmen, dass er sich lediglich auf die Vermietung von Grundstücken bezöge. Vielmehr begünstigt die Vorschrift allgemein die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen durch einen Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden (vgl. Klenk, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2010, 727, unter II.2.; Widmann, UR 2010, 8, unter II.; Schüler-Täsch in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 12 (Abs. 2 Nr. 11) Rz 895; Forster in Wäger, UStG, 2. Aufl., § 12 Abs. 2 Nr. 11 Rz 29). Außerdem handelt es sich auch beim eigenen Personal um zur Beherbergung aufgenommene „Fremde“ (vgl. zu § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG: BFH-Urteil in BFH/NV 2013, 1952, Rz 18).

13 2. Dies entspricht dem Unionsrecht.

14 a) Im Verzeichnis der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die gemäß Art. 98 MwStSystRL ermäßigte Mehrwertsteuersätze angewandt werden können, sind in Anhang III Nr. 12 MwStSystRL die Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen, einschließlich der Beherbergung in Ferienunterkünften, und Vermietung von Campingplätzen und Plätzen für das Abstellen von Wohnwagen angeführt. Nach Art. 43 MwSt-DVO umfasst die „Beherbergung in Ferienunterkünften“ auch die Vermietung von Zelten, Wohnanhängern oder Wohnmobilen, die auf Campingplätzen aufgestellt sind und als Unterkünfte dienen.

15 b) Der Unionsgesetzgeber beabsichtigte mit Anhang III MwStSystRL, dass auf die grundlegenden Güter sowie auf Gegenstände und Dienstleistungen, die sozialen oder kulturellen Zielen dienen, ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt werden kann, soweit von ihnen keine oder nur eine geringe Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung ausgeht; die in Anhang III Nr. 12 MwStSystRL den Mitgliedstaaten gewährte Möglichkeit, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf verschiedene Formen der Beherbergung anzuwenden, ist geeignet, einen breiten Zugang zu den betreffenden Leistungen zu erleichtern, womit einem grundlegenden Bedürfnis eines jeden, der unterwegs ist, entsprochen wird (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union —EuGH— Segler-Vereinigung Cuxhaven vom  - C-715/18, EU:C:2019:1138, Rz 32 f.).

16 c) Der Beherbergungsbegriff des Anhangs III Nr. 12 MwStSystRL ist zwar eng auszulegen und der Anwendungsbereich dieser Bestimmung darf nicht auf Leistungen ausgedehnt werden, die sich weder im Wortlaut der Bestimmung wiederfinden noch begriffsimmanent sind (EuGH-Urteil Segler-Vereinigung Cuxhaven, EU:C:2019:1138, Rz 26 f.). Der Begriff der „Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen“ in Anhang III Nr. 12 MwStSystRL ist jedoch weit genug, um auch die kurzfristige Beherbergung von Saisonarbeitern in nicht ortsfesten Wohncontainern zu erfassen. Art. 43 MwSt-DVO ist Ausweis dafür, dass auch die Beherbergung in nicht ortsfesten Einrichtungen der Steuersatzermäßigung unterfallen kann.

17 d) Ein anderes Verständnis des Begriffs der „Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen“, d.h. das kurzfristige Beherbergen von Fremden in nicht ortsfesten Wohncontainern von der Ermäßigung auszunehmen, würde zudem zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität führen; dieser Grundsatz lässt es nicht zu, gleichartige Gegenstände oder Dienstleistungen, die miteinander in Wettbewerb stehen, hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (vgl. EuGH-Urteile Phantasialand vom  - C-406/20, EU:C:2021:720, Rz 37; Finanzamt A vom  - C-515/20, EU:C:2022:73, Rz 43).

18 aa) Bei der Beantwortung der Frage, ob Gegenstände oder Dienstleistungen gleichartig sind, ist in erster Linie auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Gegenstände oder Dienstleistungen sind gleichartig, wenn sie ähnliche Eigenschaften haben und beim Verbraucher nach einem Kriterium der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen und wenn die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers zwischen diesen Gegenständen oder Dienstleistungen nicht erheblich beeinflussen (EuGH-Urteile Phantasialand, EU:C:2021:720, Rz 38; Finanzamt A, EU:C:2022:73, Rz 44).

19 bb) Danach ist entgegen der Auffassung der Revision nicht auf die Sicht des Leistenden (des Vermieters) abzustellen, etwa dass dieser mobile Wohn- und Schlafräume —anders als ortsfeste Einrichtungen— räumlich flexibel einsetzen und damit andere Bedürfnisse des Nutzers erfüllen könne. Aus der vielmehr maßgeblichen Sicht des Durchschnittsverbrauchers war im Streitfall jeweils der Bedarf an Unterbringung vor Ort für die Dauer von längstens drei Monaten zu befriedigen. Wie das FG ausgeführt hat, hätten die Erntehelfer ohne die Unterbringung in den Wohncontainern des Klägers in den umliegenden Pensionen, Hotels oder Ferienunterkünften unterkommen müssen. Bei diesen Formen der Unterbringung handelt es sich insoweit wie bei der Beherbergung in Wohncontainern um gleichartige Dienstleistungen.

20 3. Die Einwände des FA hiergegen greifen nicht durch.

21 a) Insbesondere besteht kein Widerspruch zum BFH-Urteil in BFHE 243, 32, BStBl II 2013, 1058, das den Fall betrifft, dass es bereits an der nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG und § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG gleichermaßen erforderlichen Vermietung von zur kurzfristigen Beherbergung bereitgehaltenen Wohn- und Schlafräumen fehlt (BFH-Urteil in BFHE 243, 32, BStBl II 2013, 1058, Rz 13). Zum Anwendungsbereich des § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG verhält sich das BFH-Urteil in BFHE 243, 32, BStBl II 2013, 1058 im Übrigen nicht.

22 b) Da § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG allgemein die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen durch einen Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden erfasst, kann die Rüge des FA, die unionsrechtlichen Vorgaben begünstigten nicht die Überlassung von Wohncontainern an Erntehelfer für die Zeit ihres Arbeitsverhältnisses, nicht greifen. Dass mutmaßlich der Kläger nur an Erntehelfer für die Dauer ihrer Beschäftigung vermietet und die Erntehelfer nur in diesem Zusammenhang ein Interesse an der Beherbergung haben, ist für die steuerrechtliche Einordnung der Leistungen unerheblich.

23 Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, zu welcher Hauptleistung des Klägers die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen —wie das FA meint— eine Nebenleistung wäre.

24 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2022:U.291122.XIR13.20.0

Fundstelle(n):
BStBl 2023 II Seite 938
BB 2023 S. 598 Nr. 11
BB 2023 S. 741 Nr. 13
BBK-Kurznachricht Nr. 7/2023 S. 294
BBK-Kurznachricht Nr. 7/2023 S. 295
BFH/NV 2023 S. 673 Nr. 5
BFH/PR 2023 S. 197 Nr. 6
BFH/PR 2023 S. 197 Nr. 6
DB 2023 S. 808 Nr. 14
DStR 2023 S. 515 Nr. 10
DStRE 2023 S. 377 Nr. 6
GStB 2023 S. 27 Nr. 7
KÖSDI 2023 S. 23174 Nr. 4
StuB-Bilanzreport Nr. 21/2023 S. 877
StuB-Bilanzreport Nr. 7/2023 S. 318
StuB-Bilanzreport Nr. 7/2023 S. 319
UR 2023 S. 418 Nr. 10
UVR 2023 S. 193 Nr. 7
CAAAJ-35188