BGH Beschluss v. - 5 StR 501/22

Instanzenzug: Az: 538 KLs 3/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen der Körperverletzung in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die dagegen mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

21. Nach den Feststellungen lief der obdachlose Angeklagte Anfang März 2021 schreiend über den Bahnsteig an einem S-Bahnhof immer wieder auf die Gleise zu. Als ihn zwei uniformierte Polizeibeamte kontrollieren wollten, wurde der Angeklagte aggressiv und biss, nachdem er zu Boden gebracht worden war, einem der Beamten so heftig in den behandschuhten Daumen, dass dieser brach und das Nagelbett durchgebissen war (Fall 1 der Urteilsgründe).

3Im August 2021 geriet er vor einer Obdachloseneinrichtung in Streit mit einem anderen dort auf die Ausgabe des Frühstücks wartenden Mann und brachte diesen, obwohl er vorher bereits vor dem Angeklagten geflohen war, auf der anderen Straßenseite zu Boden, schlug ihm mehrfach mit der Faust und trat ihm mit seinem mit Turnschuhen beschuhten Fuß heftig gegen den Kopf (Fall 2 der Urteilsgründe).

42. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.

5Der näheren Erörterung bedürfen allein die Ausführungen zur Prüfung der erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit als Voraussetzung der Maßregelanordnung. Mit Blick auf das Tatbild – unmotiviertes Herumschreien vor der Tat, Verkennung der ihn kontrollierenden Polizeibeamten, Ausmaß der Bissverletzung – und die weiteren festgestellten Umstände, insbesondere das wiederholte laute Schreien des Angeklagten vor einer Schule, das ein Tatzeuge zum Fall 2 geschildert hat, sowie seine auch in seinem letzten Wort zum Ausdruck gekommenen Größenideen, ist die von dem Sachverständigen aufgrund der fehlenden Offenheit des Angeklagten in der Exploration als „schwierig“ bezeichnete Diagnose einer paranoiden Schizophrenie noch tragfähig belegt. Insbesondere stellt es aufgrund der noch in der Hauptverhandlung festzustellenden Krankheitssymptome hier keinen Erörterungsmangel dar, dass die Strafkammer, die nur den Fall 1 als Anlasstat herangezogen hat, eine bloß vorübergehende Verminderung der Steuerungsfähigkeit – etwa infolge einer drogeninduzierten Psychose – nicht erkennbar erwogen hat.

6Angesichts dessen hat es sich auf die Anordnung der Maßregel nicht ausgewirkt, dass das Landgericht sich lediglich dem Sachverständigen angeschlossen hat, der „von einer zumindest erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit“ ausgegangen ist, und nicht – obwohl es sich dabei um eine in die Zuständigkeit der Tatgerichte fallende Rechtsfrage handelt – selbst zum sicheren Vorliegen einer krankheitsbedingten erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit ausgeführt hat. Aus demselben Grund erweist es sich – im Anschluss an den Generalbundesanwalt – noch als unschädlich, dass sich dem Urteil nicht entnehmen lässt, warum zur Verbreiterung der sachlichen Grundlage für die Diagnoseerstellung nicht ergänzend auf die Gründe zurückgegriffen wurde, die zu seiner erstmaligen psychiatrischen Untersuchung und zur Verlegung aus der Untersuchungshaft in den einstweiligen Maßregelvollzug geführt haben, sowie auf die Erkenntnisse aus der sich anschließenden, bei Urteilsfindung mehr als ein halbes Jahr andauernden einstweiligen Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:140223B5STR501.22.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-35063