Urheberrechtsverletzungen bei Wechsel von IP-Adressen und Prüfung der Gegenstandsbewertung im Einzelfall
Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 97a Abs 3 S 2 UrhG, § 97a Abs 3 S 3 UrhG, § 97a Abs 3 S 4 UrhG, Erwägungsgrund 14 S 1 EGRL 48/2004, Erwägungsgrund 17 EGRL 48/2004
Instanzenzug: Az: I ZR 108/20 Urteilvorgehend OLG Zweibrücken Az: 4 U 237/19vorgehend LG Frankenthal Az: 6 O 54/19
Gründe
1I. Die Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO ist zulässig, aber nicht begründet. Der Senat hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht verletzt. Auch ein Verstoß gegen ihr Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) liegt - unabhängig von der Frage, ob dies mit der Anhörungsrüge geltend gemacht werden kann - nicht vor.
21. Die Klägerin wendet sich ohne Erfolg dagegen, dass der Senat für die Prüfung des § 97a Abs. 3 Satz 2 bis 4 UrhG aufgrund einer Auslegung der tatgerichtlichen Feststellungen von einer Dauerhandlung des Beklagten während eines Zeitraums von knapp zwei Wochen ausgegangen ist (vgl. , GRUR 2022, 1819 [juris Rn. 44] = WRP 2023, 65 - Riptide II). Entgegen der Ansicht der Klägerin hätte der Senat den Rechtsstreit nicht an das Berufungsgericht zurückverweisen müssen, um ihr Gelegenheit zu weiterem Vortrag dazu zu geben. Mit ihrer Anhörungsrüge bringt sie vor, schon aus dem von ihr vorgetragenen Wechsel der festen IP-Adressen werde deutlich, dass es sich um mindestens 13 eigenständige Rechtsverletzungen handle. Aus diesem Vorbringen ergibt sich indes nicht, dass der Beklagte die Dateien mit dem Computerspiel der Klägerin jeweils neu in die Tauschbörse eingestellt hat. Ein Wechsel von IP-Adressen kann beispielsweise auch auf einer vom Access-Provider aus technischen Gründen veranlassten Trennung der Verbindung beruhen und lässt keinen Rückschluss auf eine erneute urheberrechtlich relevante Handlung des Beklagten zu.
32. Entgegen der Ansicht der Klägerin hätte der Senat das Berufungsverfahren auch nicht zur Ermöglichung weiteren Vortrags für die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union erforderliche Prüfung der spezifischen Merkmale jedes Falles (vgl. , GRUR 2022, 849 [juris Rn. 60 bis 65] = WRP 2022, 708 - Koch Media) wiedereröffnen müssen. Dass die Begrenzung des Gegenstandswerts nach § 97a Abs. 3 Satz 2 bis 4 UrhG einzelfallbezogen zu prüfen ist, ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG ("nach den besonderen Umständen des Einzelfalles") und den unionsrechtlichen Regelungen, zu deren Umsetzung diese Vorschrift erlassen worden ist (vgl. Art. 14 in Verbindung mit Erwägungsgrund 17 der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums). Die Klägerin war daher bereits vor Erlass des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom gehalten, umfassend zu den Umständen des Einzelfalls vorzutragen. Darüber hinaus ist der erstmals mit der Anhörungsrüge gehaltene Vortrag, im Streitfall sei der Verletzungszeitraum 4-mal so lang und die Zahl der Rechtsverletzungen etwa 4,5-mal so hoch wie im Durchschnitt, mangels Konkretisierung der Referenzwerte unsubstantiiert.
43. Der Senat hätte der Klägerin entgegen ihrer Auffassung auch nicht durch Zurückverweisung an das Berufungsgericht weiteren Vortrag zum Gesamtumfang der Rechtsverletzung ermöglichen müssen, der innerhalb der Tauschbörse und des Tatzeitraums 361 weitere IP-Adressen und etwa 62 weitere Täter umfasse, was bei einer Belastung der Klägerin mit 87 % der Kosten (vgl. BGH, GRUR 2022, 1819 [juris Rn. 46] - Riptide II) zu einem finanziellen Defizit von nicht lediglich 860,60 €, sondern 54.217,80 € führe. Zum einen hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits in einem früheren Urteil vom (C-481/14, GRUR 2016, 1043 [juris Rn. 57] - Hansson) den nationalen Gerichten die Verpflichtung zur Prüfung auferlegt, ob die voraussichtliche Höhe der von dem durch die Verletzung Geschädigten möglicherweise zu tragenden Prozesskosten dazu geeignet ist, ihn in Anbetracht der von ihm als außergerichtliche Kosten zu tragenden Beträge und ihres Nutzens für die Schadensersatzklage davon abzuhalten, seine Rechte gerichtlich geltend zu machen. Dementsprechend wäre es bereits vor Erlass des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom angezeigt gewesen, umfassend zu diesem Aspekt vorzutragen. Unabhängig davon lässt sich der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht entnehmen, dass für diese Prüfung auch auf außerhalb des Verhältnisses zwischen der Klägerin als Rechtsinhaberin und dem Beklagten als Rechtsverletzer liegende Umstände abzustellen sein sollte, insbesondere auf weitere Personen, mit denen der Rechtsverletzer nicht notwendig in Verbindung steht.
54. Unabhängig davon, ob mit der Anhörungsrüge auch eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) wegen eines unterbliebenen Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union gerügt werden kann (offengelassen in , GRUR 2006, 346 [juris Rn. 6] = WRP 2006, 467 - Jeans II; die unmittelbare Anwendbarkeit des § 321a ZPO verneinend , NJW 2011, 1516 [juris Rn. 8]; BeckOK.ZPO/Bacher, 47. Edition [Stand ], § 321a Rn. 21 und 21a) und ob das Vorbringen der Klägerin als eine solche Rüge zu verstehen ist, liegt eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Streitfall nicht vor. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich zweifelsfrei, dass der Rechtsverletzer nicht stets einen erheblichen Teil der dem Rechtsinhaber entstandenen Kosten tragen muss (vgl. BGH, GRUR 2022, 1819 [juris Rn. 26 f. und 35] - Riptide II mit Verweis u.a. auf EuGH, GRUR 2022, 849 [juris Rn. 58 f.] - Koch Media).
6II. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:120123BIZR108.20.0
Fundstelle(n):
MAAAJ-34674