PiR Nr. 3 vom Seite 77

Dem nächsten Schatten nachjagen ...

Dr. Jens Freiberg | Herausgeber | pir-redaktion@nwb.de

Liebe Leser*innen,

genau eine Dekade ist es her: Das Editorial der PiR titelte „Enrons Schatten“ und spannte damit den Bogen zur Verabschiedung des Konsolidierungspakets, also den Standards IFRS 10-12 des IASB. Mittlerweile ist der Bilanzskandal um Enron durch einen noch spektakuläreren Fall übertrumpft worden, die hoch gelobte Prinzipienbasierung des Regelwerks konnte der betrügerischen Bilanzierung nicht vorhandener Transaktionen keinen Einhalt gebieten. Geblieben und weiter ausgeprägt ist die „Schnelllebigkeit unserer Zeit“, der Hurrikan erstreckt sich nicht mehr nur auf die internationale Rechnungslegungswelt, sondern hat auch die nichtfinanzielle Information in den Wirbel gezogen. Der IASB hat mit dem ISSB eine Schwester, die eigene Berichtsanforderungen für nichtfinanzielle Informationen kodifiziert, gleichsam aber im Wettbewerb mit der Politik steht, die sich selbst als Standardsetzer berufen fühlt.

In dem Beitrag von Baumüller/Schönauer wird ein Licht auf den Schatten der Wesentlichkeit für die nichtfinanzielle Berichterstattung – wie seitens der europäischen Politik gefordert – in den ESRS geworfen. Es gilt eine doppelte Wesentlichkeit, für eine Harmonisierung mit den Standardsetzungsaktivitäten des ISSB erfolgt eine Überleitung ausgehend von einem Baukastenverständnis. Die nichtfinanzielle Berichterstattung ist nicht auf Umweltaspekte begrenzt, neben sozialen Aspekten steht auch die governance der Unternehmen im Blickpunkt. Die politischen Bestrebungen der EU richten sich daher auch auf eine verpflichtende Berichterstattung über die Bekämpfung von Korruption und Bestechung. Einen Überblick und eine erste Einwertung geben Bogajewskaja/Jehle in der Fortsetzung Ihres Beitrags aus Heft 2 der PiR 2023.

Vermeintlich ruhig ist es um die Frage der Sinnhaftigkeit des impairment-only-Ansatzes für die Folgebewertung des goodwill geworden. Nach einer (wohl) gefallenen Entscheidung zum Festhalten an den bestehenden Vorgaben befindet sich das Projekt des IASB zur Verbesserung der Angaben und Entwicklung von Vereinfachung zumindest kurzfristig im Auge des Hurrikans. Reinke/Müller geben einen Ausblick über den aktuellen Projektstand und die erwartete weitere Entwicklung.

Im aktuellen Pro&Contra jagen Haaker/Freiberg dem nächsten Schatten hinterher: Die Entwicklung von Super-KIs führt zu einer unterschiedlichen bilanziellen Abbildung in Abhängigkeit davon, ob der Erwerb originär oder derivativ vollzogen wird. Noch wird die Frage nicht durch die Super-KI beantwortet. Bei der Schnelllebigkeit unserer Zeit wird das „Noch“ aber nicht mehr lange im Wege stehen, sondern durch den Hurrikan der Entwicklung weggefegt werden.

In den klassischen Rubriken Kompaktwissen (Seick) und Praxisfall (Weller) freuen wir uns über Abwechslung durch neue Autoren. In der Rubrik IFRS aktuell wird die Diskontierung in der internationalen Rechnungslegung beleuchtet.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre, die Tage werden länger, die Schatten aber nicht kürzer.

Jens Freiberg

Fundstelle(n):
PiR 3/2023 Seite 77
IAAAJ-34538