BGH Beschluss v. - VIa ZB 15/22

Wiedereinsetzung: Vertrauen des Anwalts in eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bei Zustimmungserklärung des Gegners

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 520 Abs 2 S 2 ZPO, § 522 ZPO

Instanzenzug: OLG Dresden Az: 5a U 654/22vorgehend LG Dresden Az: 7 O 1164/20

Gründe

I.

1Der Kläger wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung.

2Er begehrt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs mit Dieselmotor. Gegen das ihm am zugestellte klageabweisende Urteil des Landgerichts hat der Kläger fristgemäß Berufung eingelegt. Wegen großer Arbeitsbelastung hat er vor Fristablauf die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum beantragt. Dem hat das Berufungsgericht am mit dem Hinweis "Eine weitere Verlängerung ist nicht zu erwarten" entsprochen.

3Mit Schriftsatz vom hat der Kläger beantragt, die Berufungsbegründungsfrist um weitere sechs Wochen zu verlängern. Dabei haben seine Prozessbevollmächtigten anwaltlich versichert, sie seien wegen großer Arbeitsbelastung nicht zur fristgemäßen Bearbeitung in der Lage und die Beklagte habe der weiteren Fristverlängerung zugestimmt. Das Berufungsgericht hat die weitere Verlängerung mit Verfügung vom abgelehnt.

4Am hat der Kläger die Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung dieses Antrags hat er ausgeführt, seine Prozessbevollmächtigten hätten, da das Einverständnis der Gegenseite vorgelegen habe, erwarten können, dass dem weiteren Fristverlängerungsantrag stattgegeben werde.

5Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

61. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Indem das Berufungsgericht dem Kläger zu Unrecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verweigert hat, hat es das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Es hat dem Kläger den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt versagt.

72. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

8a) Das Berufungsgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung verweigert, der Kläger habe die Berufungsbegründungsfrist nicht schuldlos versäumt, da sein Prozessbevollmächtigter, dessen Verschulden er sich zurechnen lassen müsse, nicht mit der Bewilligung der zweiten Fristverlängerung habe rechnen können. Dem habe schon der Hinweis in der am gewährten Fristverlängerung entgegengestanden, dass mit einer weiteren Fristverlängerung nicht gerechnet werden könne. Dementsprechend habe es dem Kläger oblegen, konkrete Gründe, die einer fristgerechten Berufungsbegründung entgegenstanden, so rechtzeitig mitzuteilen, dass er sich durch Nachfragen über die Entscheidung über die beantragte Fristverlängerung "hätte informieren müssen". Er habe jedoch lediglich erneut auf eine Überlastung hingewiesen. Das Fristverlängerungsgesuch sei so spät bei dem Berufungsgericht eingegangen, dass er mit einer Entscheidung vor Fristablauf nicht habe rechnen können. Eine Nachfrage sei der Akte nicht zu entnehmen.

9b) Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Unrecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Der Kläger war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ohne sein Verschulden und ohne ein ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert, § 233 ZPO. Er durfte darauf vertrauen, dass sein rechtzeitig gestellter Antrag, die bis zum verlängerte Berufungsbegründungsfrist erneut zu verlängern, nicht abgelehnt würde. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger hätte vor dem Hintergrund eines früheren Hinweises, mit einer weiteren Fristverlängerung sei nicht zu rechnen, über die Mitteilung der Einwilligung der Beklagten hinaus erhebliche Gründe für die erneute Fristverlängerung darlegen müssen, ist unzutreffend. Sie überspannt die sich aus § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO ergebenden Anforderungen an einen bewilligungsfähigen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist.

10aa) Allerdings ist der Rechtsmittelführer generell mit dem Risiko belastet, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Im Wiedereinsetzungsverfahren kann sich der Rechtsmittelführer deshalb nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in eine Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (, NJW 1996, 3155; Beschluss vom - II ZB 16/99, NJW-RR 2000, 947; Beschluss vom - VII ZB 111/08, NJW 2009, 3100 Rn. 8, jeweils mwN). Anders als das Berufungsgericht meint, ist bei Einwilligung des Gegners allerdings auch das Vertrauen in eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist geschützt. Beantragt der Berufungskläger mit Einverständnis des Gegners, die wegen eines erheblichen Grundes bereits um einen Monat verlängerte Frist zur Berufungsbegründung um weitere sieben Tage zu verlängern, darf der Berufungskläger nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf vertrauen, dass dem Antrag stattgegeben werde ( aaO, Rn. 10; Beschluss vom - VI ZB 18/12, NJW 2013, 3181 Rn. 10).

11bb) Daran gemessen konnten die Prozessbevollmächtigten des Klägers darauf vertrauen, dass ihrem zweiten Fristverlängerungsantrag - jedenfalls teilweise - gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO stattgegeben werde. Aus dem Umstand, dass im Streitfall eine Verlängerung um weitere sechs Wochen beantragt wurde, folgt schon deshalb nichts anderes, weil dem Kläger, der die Berufungsbegründung einen Tag nach Fristablauf eingereicht hat, eine teilweise Stattgabe seines Verlängerungsantrags für sieben Tage genügt hätte, um die Frist zu wahren (vgl. , NJW 2015, 1966 Rn. 12 mwN). Die Einwilligung der Beklagten zu der beantragten Fristverlängerung lag vor. Auf erhebliche Gründe für die Fristverlängerung im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kam es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ebenso wenig an wie auf dessen Mutmaßungen, die Einreichung der Berufungsbegründung bereits am Folgetag zeige, dass keine Überlastung vorgelegen habe. Der vorangegangene Hinweis, mit einer weiteren Verlängerung sei nicht zu rechnen, stand dem Vertrauen der Prozessbevollmächtigten des Klägers in die Fristverlängerung nicht entgegen. Das Berufungsgericht verkennt, dass ein solcher Hinweis das Gericht nicht davon entbindet, die in § 520 Abs. 2 ZPO angelegte Differenzierung danach, ob der Gegner eingewilligt hat oder nicht, und die vom Gesetzgeber beabsichtigte (BT-Drucks. 14/4722 S. 95) vereinfachte Verlängerungsmöglichkeit bei erteilter Einwilligung zu beachten (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f.; , NJW 2001, 3552).

12cc) Anders als das Berufungsgericht meint, gereicht es dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO auch nicht zum Verschulden, dass sein Prozessbevollmächtigter den zweiten Fristverlängerungsantrag erst am Tag des Fristablaufs gestellt und vor Fristablauf keine Nachfrage über die Bescheidung seines Antrags bei dem Berufungsgericht gehalten hat. Eine Partei ist grundsätzlich berechtigt, eine Frist bis zum letzten Tag auszuschöpfen (, NJW-RR 2018, 958 Rn. 11 mwN). Der Fristverlängerungsantrag muss nicht so rechtzeitig gestellt werden, dass vor Fristablauf noch mit einer Entscheidung gerechnet werden könnte. Die Begründungsfrist kann auch nach ihrem Ablauf verlängert werden, wenn dies vor Fristablauf beantragt wurde (vgl. , BGHZ 83, 217, 219, 221). Für eine Rückfrage, ob dem Antrag stattgegeben wurde, besteht kein erkennbarer Anlass, wenn der Anwalt - wie im Streitfall - mit der Verlängerung der Frist rechnen konnte (, NJW-RR 2008, 367 Rn. 9; Beschluss vom - VI ZB 16/12, NJW 2012, 2522 Rn. 10; Beschluss vom - IX ZB 34/16, NJW-RR 2017, 564 Rn. 12).

13c) Die in dem angefochtenen Beschluss ausgesprochene Verwerfung der Berufung ist gegenstandslos (, NJW 2009, 3100 Rn. 13 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:300123BVIAZB15.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 1449 Nr. 20
NJW 2023 S. 1450 Nr. 20
ZIP 2023 S. 4 Nr. 9
IAAAJ-34470