BVerwG Beschluss v. - 1 B 73/22

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 11 A 1727/21.A Beschlussvorgehend VG Gelsenkirchen Az: 4a K 12540/17.A

Gründe

1Die Beschwerde, mit der eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht wird, ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.

21. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist oder aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom - 1 B 1.14 - juris Rn. 2 und vom - 1 B 7.15 - juris Rn. 3).

3Für die Zulassung der Revision reicht, anders als für die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO oder § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ( 9 C 46.84 - BVerwGE 70, 24 <26>), eine Tatsachenfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht aus. Die Klärungsbedürftigkeit muss vielmehr in Bezug auf den anzuwendenden rechtlichen Maßstab, nicht die richterliche Tatsachenwürdigung und -bewertung bestehen; auch der Umstand, dass das Ergebnis der zur Feststellung und Würdigung des Tatsachenstoffes berufenen Instanzgerichte für eine Vielzahl von Verfahren von Bedeutung ist, lässt für sich allein eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu.

42. Nach diesen Grundsätzen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache schon nicht dargelegt.

5Die Beschwerde wirft als der Klärung bedürftige Frage auf,

"ob der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in Bezug auf Rumänien erschüttert ist und Dublin-Überstellungen in den Mitgliedstaat Rumänien grundsätzlich gegen Art. 3, 4 EMRK (gemeint: Art. 3 EMRK, Art. 4 GRC) verstoßen".

6Die Frage ist bereits deshalb nicht entscheidungserheblich, weil es sich bei dem Kläger um einen in Rumänien anerkannten Schutzberechtigten handelt und die angedrohte Abschiebung dorthin keine "Dublin-Überstellung" darstellt.

7Im Übrigen wird mit dieser Frage, deren (vermeintliche) Klärungsbedürftigkeit mit dem Hinweis auf die Situation für anerkannte Flüchtlinge in Rumänien, insbesondere mit Defiziten bei der Möglichkeit der Teilnahme an einem Integrationskurs, dem Zugang zu einer Wohnung und der Integration im Arbeitsmarkt begründet wird, eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Die aufgeworfene Frage betrifft der Sache nach allein die tatsächlichen Feststellungen zu der aktuellen Lage von anerkannten Flüchtlingen in Rumänien und deren Bewertung durch das Oberverwaltungsgericht. Sie zielt mithin auf der tatrichterlichen Würdigung vorbehaltene Tatsachenfragen. Verfahrensfehler werden insoweit weder ausdrücklich noch sinngemäß geltend gemacht.

8Die abstrakten Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung im Asylverfahren sind - auch bezüglich der Frage, ob einem Schutzberechtigten im Zielstaat der Abschiebung mit Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) unvereinbare Lebensbedingungen drohen - im Übrigen in der Rechtsprechung geklärt. Das Bundesamt und das Verwaltungsgericht haben insoweit alle für die Beurteilung des Vorliegens einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung relevanten Lebensbedingungen im Zielstaat der Abschiebung zu ermitteln und zu würdigen (vgl. 1 B 25.18 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 58 Rn. 16). Dafür ist unter anderem auch von Bedeutung, ob der rückkehrende Ausländer eine Unterkunft finden kann und ob er seine elementarsten Bedürfnisse durch eigene Arbeit oder Sozialleistungen decken kann. Dabei muss die fachgerichtliche Beurteilung von möglicherweise gegen Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK verstoßenden Aufnahmebedingungen - jedenfalls dann, wenn diese ernstlich zweifelhaft sind - auf einer hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nachzureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen (vgl. - juris Rn. 15). Auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist das Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst ist, mit der ein neuer Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abgelehnt wurde, in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die der Antragsteller vorgelegt hat, um das Vorliegen eines solchen Risikos in dem bereits schutzgewährenden Mitgliedstaat nachzuweisen, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (vgl. u. a. [ECLI:EU:C:2019:219], Ibrahim u. a. - juris Rn. 88).

9Einer weitergehenden grundsätzlichen Klärung sind die allgemeinen Anforderungen an die gerichtliche Sachverhaltsaufklärung nicht zugänglich. Die Beschwerde wendet sich insoweit vielmehr im Gewand der Grundsatzrüge gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts. Damit kann sie die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht erreichen.

103. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2022:191222B1B73.22.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-34270