BGH Urteil v. - VIa ZR 654/21

Haftung des Automobilherstellers in einem sog. Dieselfall: Umfang des Restschadensersatzanspruchs des Neuwagenkäufers nach Eintritt der Verjährung für den Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung

Gesetze: § 31 BGB, § 195 BGB, § 199 Abs 1 Nr 2 BGB, § 818 Abs 1 BGB, § 818 Abs 3 BGB, § 818 Abs 4 BGB, §§ 818ff BGB, § 819 Abs 1 BGB, § 826 BGB, § 852 S 1 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV

Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 1 U 13/21vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 16 O 2995/20

Tatbestand

1Der Kläger zu 1 (im Folgenden: Kläger) nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger kaufte ausweislich der von ihm vorgelegten Rechnung am von einer Vertragshändlerin der Beklagten ein Neufahrzeug des Typs VW Touran zum Preis von 31.200 €. Das Fahrzeug wurde am ausgeliefert. Es ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Die verwendete Motorsteuerungssoftware erkannte das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und bewirkte für diesen Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten. Im Februar 2016 informierte die Beklagte den Kläger über die Notwendigkeit eines in Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt zur Beseitigung der Software entwickelten Software-Updates, das in der Folgezeit auf das Fahrzeug des Klägers aufgespielt wurde.

3Mit der 2020 erhobenen Klage haben der Kläger und die ehemalige Klägerin zu 2 beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 17.888 € nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen (Klageantrag zu 1) und den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen (Klageantrag zu 2). Ferner haben sie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten verlangt (Klageantrag zu 3). Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

4Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag zu 1 in Höhe von 17.027,50 € nebst Zinsen sowie den Klageantrag zu 2 weiter.

Gründe

5Die Revision hat im Umfang des Revisionsangriffs Erfolg.

I.

6Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

7Der Kläger habe grundsätzlich einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte wegen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Täuschung hinsichtlich der ursprünglich installierten Motorsteuerungssoftware. Er habe mit dem Erwerb des manipulierten Fahrzeugs einen ungewollten Vertrag geschlossen und daher einen Schaden erlitten. Der Anspruch sei jedoch verjährt. Der Kläger habe Kenntnis vom sogenannten "Dieselskandal" allgemein gehabt und spätestens mit dem Informationsschreiben der Beklagten im Februar 2016 auch von der Betroffenheit seines Fahrzeugs erfahren. Verjährung sei somit spätestens mit Ablauf des eingetreten.

8Ein (unverjährter) Anspruch auf Restschadensersatz aus § 852 Satz 1 BGB komme nicht in Betracht, da der Kläger nicht hinreichend zum Umfang des auf seine Kosten von der Beklagten Erlangten vorgetragen habe. Zwar habe die Beklagte, veranlasst durch den Neuwagenkauf des Klägers, mittelbar eine Neuwagenbestellung der Vertragshändlerin und einen Kaufpreisanspruch gegen diesen erlangt, wobei der erlangte Anspruch nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Klägers dem Bruttokaufpreis abzüglich einer Händlermarge von 10 % entsprochen habe. Es fehle jedoch - trotz eines entsprechenden gerichtlichen Hinweises - an hinreichendem Vortrag des Klägers dazu, in welcher Höhe die Beklagte durch die mittelbare Vermögensverschiebung einen wirtschaftlichen Vorteil im Sinne einer effektiven Mehrung ihres Vermögens erlangt habe. § 852 Satz 1 BGB ziele auf eine Abschöpfung des Verletzergewinns ab, weshalb das Erlangte im Sinne der Vorschrift jedenfalls in vertraglichen Austauschbeziehungen nur in der Gewinnmarge des Schädigers zu sehen sei.

II.

9Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.

101. Rechtlich zutreffend ist das Berufungsgericht zu dem Schluss gelangt, die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs des Klägers gegen die Beklagte gemäß §§ 826, 31 BGB seien zwar gegeben, die Beklagte könne der Geltendmachung dieses Anspruchs aber die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten (vgl. , NJW 2021, 918 Rn. 17 ff.; Urteil vom - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 24 ff. mwN, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ). Dies wird von den Parteien im Revisionsverfahren auch nicht in Zweifel gezogen.

112. Nicht frei von Rechtsfehlern sind indessen die Überlegungen, mit denen das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Restschadensersatz nach § 852 Satz 1 BGB verneint hat.

12a) Noch zutreffend ist das Berufungsgericht von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB in den Fällen des sogenannten "Dieselskandals" ausgegangen. Insbesondere ist der Anwendungsbereich der Vorschrift entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung nicht - einen Anspruch des Klägers ausschließend - teleologisch zu reduzieren (vgl. VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 54 ff.; Urteil vom - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 12).

13b) Das Berufungsgericht hat auch richtig gesehen, dass durch den Fahrzeugkauf des Klägers eine Vermögensverschiebung vom Kläger zur Beklagten stattfand, was Voraussetzung eines Anspruchs gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB ist.

14aa) Das Tatbestandsmerkmal "auf Kosten des Verletzten ... erlangt" in § 852 Satz 1 BGB setzt voraus, dass die unerlaubte Handlung zu einem Vermögensnachteil des Geschädigten und zu einem Vermögensvorteil des Ersatzpflichtigen geführt hat, wobei sich die Vermögensverschiebung nicht unmittelbar zwischen dem Ersatzpflichtigen und dem Geschädigten vollzogen haben muss (vgl. , NJW 2022, 1311 Rn. 27; Urteil vom - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 68; jeweils mwN). Liegt dem Neuwagenkauf eines nach § 826 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Hersteller zugrunde und schließen der Hersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Hersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben, weil der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des Händlereinkaufspreises bzw. der Erwerb des Händlereinkaufspreises durch den Hersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung beruhen ( VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 14; Urteil vom - VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 27). Hat der Händler das Fahrzeug hingegen unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben, fehlt es an dem von §§ 826, 852 Satz 1 BGB vorausgesetzten Zurechnungszusammenhang ( aaO, Rn. 28).

15bb) Im Streitfall ist der erforderliche Zurechnungszusammenhang gegeben, da der schadensbegründende Fahrzeugkauf des Klägers nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine Neuwagenbestellung der Verkäuferin (Vertragshändlerin) bei der Beklagten auslöste, wodurch die Beklagte einen Kaufpreisanspruch gegen die Vertragshändlerin erhielt. Nach Erfüllung dieses Anspruchs hat sich die Bereicherung der Beklagten gemäß § 818 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB an dem von der Vertragshändlerin gezahlten Entgelt fortgesetzt (vgl. VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 13 f. mwN).

16c) Durchgreifenden Bedenken begegnen indessen die rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe des Anspruchs aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, ist der Restschadensersatzanspruch des Fahrzeugkäufers nicht auf den vom Hersteller mit dem Fahrzeug erzielten Gewinn beschränkt ( VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 81 ff.). Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers folglich zu Unrecht mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger habe nicht hinreichend zur Gewinnmarge der Beklagten vorgetragen. Derartiger Vortrag ist aus Rechtsgründen nicht erforderlich (vgl. VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 17).

17Erlangt im Sinne von § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB hat die Beklagte die von der Vertragshändlerin ihr gegenüber erbrachte Leistung (vgl. VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 82; Urteil vom - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16). Die der Beklagten für die Entwicklung, Herstellung und Bereitstellung des Fahrzeugs entstandenen Kosten sind nicht in Abzug zu bringen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bestimmen sie das nach § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB Erlangte nicht mit. Sie sind auch nicht nach § 818 Abs. 3 BGB berücksichtigungsfähig, weil der Beklagten die Berufung auf eine mögliche Minderung ihrer Bereicherung nach § 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1 BGB verwehrt ist (vgl. VIa ZR 8/21, aaO, Rn. 86 ff.; Urteil vom - VIa ZR 57/21, aaO, Rn. 17). Der Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB unterliegt allerdings wie der ursprünglich bestehende Schadensersatzanspruch der Vorteilsausgleichung (näher VIa ZR 57/21, aaO, Rn. 16 mwN). An diesen mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung übereinstimmenden Grundsätzen hält der Senat fest.

183. Da die Annahme des Berufungsgerichts, dem Kläger stehe kein durchsetzbarer Schadensersatzanspruch Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu, nicht tragfähig begründet ist, erweist sich auch die darauf gestützte weitere Annahme, der Kläger könne nicht die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten verlangen, als rechtsfehlerhaft (vgl. VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 18).

III.

19Das Berufungsurteil ist im Umfang des Revisionsangriffs aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache insoweit mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zur Höhe des vom Kläger erzielten Nutzungsvorteils getroffen, der im Rahmen des Anspruchs aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB auf den von der Beklagten erlangten Händlereinkaufspreis anzurechnen ist (vgl. VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16). Die Bemessung des Nutzungsvorteils ist primär Sache des insoweit nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters und kann vom Revisionsgericht nicht selbst vorgenommen werden (vgl. aaO, Rn. 23 f.).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:010822UVIAZR654.21.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-33866