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Online-Nachricht - Mittwoch, 15.02.2023

Verfahrensrecht | Rechtswidrige Ermessensentscheidung aufgrund erstmals im Klageverfahren vorgetragener Umstände (FG)

Im Klageverfahren gegen einen Haftungsbescheid vom Haftungsschuldner erstmals vorgetragene Umstände können dazu führen, dass sich die vom Finanzamt getroffene Ermessensentscheidung als rechtswidrig erweist (; Revision anhängig, BFH-Az. VII R 4/23).

Hintergrund: Nach § 191 Abs. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner). Gem. § 69 AO haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.

Sachverhalt: Der Kläger wurde vom Finanzamt als Geschäftsführer einer GmbH für deren Steuerrückstände nach § 69 AO in Haftung genommen. Nachdem er im Einspruchsverfahren gegenüber dem Finanzamt nicht den vollständigen Sachverhalt dargelegt hatte, gab er im Klageverfahren erstmals wahrheitsgemäß an, dass er lediglich als sog. Strohmann fungiert habe und tatsächlich von einem faktischen Geschäftsführer von der Geschäftsführung ausgeschlossen gewesen sei. Ferner stellte sich im Klageverfahren heraus, dass der Kläger seine Geschäftsführerstellung bereits vor Beginn des Haftungszeitraums aufgrund rechtskräftiger Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung kraft Gesetzes verloren hatte.

Der 4.Senat des Finanzgerichts Münster gab der Klage statt:

  • Offenbleiben kann, ob bereits die Tatbestandsvoraussetzungen einer Haftungsinanspruchnahme des Klägers wegen des Wegfalls seiner nominellen Geschäftsführerstellung entfallen sind.

  • Jedenfalls hat sich die Ermessensentscheidung des Finanzamts nachträglich als fehlerhaft erwiesen.

  • Dem Finanzamt ist zwar keine Ermittlungspflichtverletzung vorzuwerfen, weil vielmehr der Kläger versäumt hat, den Sachverhalt im Einspruchsverfahren vollständig und zutreffend darzulegen. Dies führt jedoch nicht dazu, dass nachträglich bekannt gewordene Umstände nicht mehr berücksichtigt werden dürfen.

  • Vielmehr ist der im Haftungsbescheid getroffenen Ermessensentscheidung im Klageverfahren in zweifacher Hinsicht der Boden entzogen worden:

  • Durch die rechtskräftige Verurteilung des Klägers wegen Insolvenzverschleppung hat er sein Amt als Geschäftsführer kraft Gesetzes verloren. Der Rechtsschein des Handelsregisters, in dem er weiterhin als Geschäftsführer eingetragen war, reicht für eine Haftung nach § 69 AO nicht aus.

  • Ferner hat das Finanzamt sein ihm wegen der Existenz eines faktischen Geschäftsführers zustehendes Auswahlermessen nicht erkannt. Diese neu bekannt gewordenen Umstände sind geeignet, eine für den Kläger günstigere Ermessensentscheidung zumindest zu ermöglichen.

Hinweis:

Die vom Senat zugelassene Revision ist beim BFH unter dem Aktenzeichen VII R 4/23 anhängig.

Der Volltext der Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW veröffentlicht.

Quelle: FG Münster, Newsletter Februar 2023 (il)

Fundstelle(n):
QAAAJ-33760