Strafzumessung: Zulässiges Verteidigungsverhalten
Gesetze: § 46 StGB
Instanzenzug: LG Halle (Saale) Az: 13 KLs 20/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit schwerem Raub zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Nach den Feststellungen überfiel der Angeklagte eine Tankstelle, um dadurch an Bargeld zu gelangen. Er bedrohte eine Tankstellenmitarbeiterin mit einem ungeladenen Luftgewehr und veranlasste sie so dazu, dass in den Kassen befindliche Geld in seinen Rucksack zu legen. Währenddessen entnahm er selbst einem Regal mindestens vier Schachteln Zigaretten, die er ebenfalls in den Rucksack steckte. Anschließend fuhr er zu seiner Arbeitsstelle und nachmittags zu einem Supermarkt, um Einkäufe zu erledigen. Beim Verlassen des Supermarktes sah er zwei Polizeibeamte an seinem Pkw, die auf das Fahrzeug aufmerksam geworden waren, weil der Angeklagte gestohlene Kennzeichen daran angebracht hatte. Bei der Durchsuchung des Autos stellten die Polizeibeamten das Luftgewehr, einen Großteil der Beute und Kleidungsstücke sicher, die der Angeklagte bei der Tatausführung getragen hatte. Der Angeklagte entfernte sich zu Fuß von dem Supermarkt, stellte sich aber noch am Abend des Tattages der Polizei. Bei seiner Vernehmung gab er zunächst an, von einem unbekannten Mann gezwungen worden zu sein, die Tankstelle zu überfallen. Nachdem der Vernehmungsbeamte Zweifel an dieser Einlassung geäußert und dem Angeklagten Gelegenheit zum Nachdenken gegeben hatte, räumte er die Tat schließlich – ebenso wie in der Hauptverhandlung – ein; zur Erklärung für seine anfängliche Darstellung gab er an, gedacht zu haben, er „komme noch irgendwie aus der Sache raus“.
32. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
4Das Landgericht, das dem Angeklagten zugutegehalten hat, sich noch am Tattag gestellt und sowohl bei der Polizei als auch in der Hauptverhandlung ein Geständnis abgelegt zu haben, hat sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass er sich „nicht unmittelbar nach der Tat und auch erst dann der Polizei stellte, als diese bereits an seinem Fahrzeug stand, in dem sich ein Großteil der Beute, ein Teil der Kleidung, die der Angeklagte bei der Tat getragen hatte, sowie das Luftdruckgewehr befanden“. Außerdem hat das Landgericht zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt, dass er zunächst angab, von einem unbekannten Mann zu der Tat gezwungen worden zu sein, bevor er die Tatbegehung einräumte.
5Die strafschärfende Bewertung dieser Umstände ist rechtsfehlerhaft, weil es sich um zulässiges Verteidigungsverhalten handelte. Da ein Angeklagter sich im Verfahren nicht selbst zu belasten braucht (vgl. , BGHSt 25, 325, 331 mwN), darf nicht erschwerend gewichtet werden, wenn er sich nach der Tat nicht oder erst zu einem Zeitpunkt stellt, in dem bereits ihn belastende Beweismittel aufgefunden wurden. Ebenso wenig ist der Angeklagte der Wahrheit verpflichtet, so dass es ihm freisteht, sich zu verteidigen, indem er die Täterschaft leugnet oder eine ihm günstigere Sachverhaltsvariante behauptet, etwa von einer unbekannten Person zur Tatausführung gezwungen worden zu sein (vgl. , NStZ-RR 2014, 107; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 675).
6Die Ausführungen des Landgerichts können nicht als missverständliche Formulierungen interpretiert werden, durch die lediglich eine gewisse Relativierung des dem Geständnis des Angeklagten zukommenden strafmildernden Gewichts zum Ausdruck gebracht werden sollte (vgl. dazu , BGHSt 34, 345, 349 f.). Sie lassen vielmehr deutlich erkennen, dass das Landgericht dem zulässigen Verteidigungsverhalten des Angeklagten maßgebliche strafschärfende Bedeutung beigemessen hat, wie sich schon daran zeigt, dass es diesen Gesichtspunkt gleich als ersten Straferschwerungsgrund angeführt und dadurch besonders hervorgehoben hat.
73. Die Sache bedarf insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die dem Strafausspruch zugrundeliegenden Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:040522B6STR155.22.0
Fundstelle(n):
QAAAJ-33708