Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 15 U 145/21vorgehend LG Fulda Az: 2 O 388/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte als Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Neuwagen in Anspruch.
2Er erwarb im April 2013 für 40.000,01 € von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten VW Passat. Das Fahrzeug ist mit einem Motor der Baureihe EA 189 ausgestattet, der eine Software enthielt, die auf dem Prüfstand vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in den stickoxid-optimierten Modus 1 wechselte (Umschaltlogik). Die Software wurde im Herbst 2015 öffentlich bekannt und vom Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet.
3Mit seiner im Jahr 2020 erhobenen Klage hat der Kläger die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger in der Hauptsache seinen Berufungsantrag auf Verurteilung der Beklagten zur Leistung von Restschadensersatz in Höhe von 40.000,01 € nebst Zinsen abzüglich 17.849,38 € Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), hilfsweise in Höhe von 10.000 € (Kaufpreis abzüglich 75 % Herstellungskosten; Berufungsantrag zu 1a), weiter. Außerdem beansprucht er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2). Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten begehrt er nicht mehr.
Gründe
4Die uneingeschränkt statthafte (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 16 ff.; Urteil vom - VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 5 ff.) Revision hat Erfolg. Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, da die Beklagte in der mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht anwaltlich vertreten war. Inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. , BGHZ 37, 79, 81 ff.).
I.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:
6Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 852 BGB seien nicht erfüllt, weshalb nicht zu entscheiden sei, ob die Vorschrift ihrem Normzweck nach überhaupt anzuwenden sei. Es fehle an einer Bereicherung der Beklagten auf Kosten des Klägers. Eine unmittelbare Vermögensverschiebung im Verhältnis der Parteien lasse sich nicht feststellen, da der Kläger das Fahrzeug nicht von der Beklagten, sondern von einem Händler gekauft habe. Auch bei wirtschaftlicher Betrachtung habe der Vermögensverlust des Geschädigten keinen Vermögenszuwachs der Beklagten zur Folge gehabt. Deren Vermögenszuwachs sei bereits und allein dadurch eingetreten, dass sich der (Zwischen-)Händler gegenüber der Beklagten zur Zahlung verpflichtet habe. Nicht zu folgen sei der Ansicht, ein wirtschaftlicher Zusammenhang entfalle nur, wenn der Zwischenhändler das Fahrzeug unabhängig von einer konkreten Bestellung oder nicht als Neu-, sondern als Gebrauchtwagen erworben habe.
II.
7Diese Erwägungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die bislang vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme, nach der vom Kläger nicht in Frage gestellten Verjährung des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB seien sämtliche Berufungsanträge unbegründet ( VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 24 ff. mwN).
8Durchgreifenden Bedenken unterliegt das Berufungsurteil, soweit es das Tatbestandsmerkmal "auf Kosten des Verletzten ... erlangt" in § 852 Satz 1 BGB verneint. Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, muss die unerlaubte Handlung zu einem Vermögensnachteil des Geschädigten und zu einem Vermögensvorteil des Ersatzpflichtigen geführt haben, wobei sich die Vermögensverschiebung nicht unmittelbar zwischen dem Ersatzpflichtigen und dem Geschädigten vollzogen haben muss (vgl. , NJW 2022, 1311 Rn. 27; Urteil vom - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 68; jeweils mwN). Liegt dem Neuwagenkauf eines nach § 826 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Hersteller zugrunde und schließen der Hersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Hersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben, weil der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des Händlereinkaufspreises bzw. der Erwerb des Händlereinkaufspreises durch den Hersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung beruhen ( VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 14; Urteil vom - VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 27). Hat der Händler das Fahrzeug hingegen unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben, fehlt es an dem für §§ 826, 852 Satz 1 BGB erforderlichen Zurechnungszusammenhang ( aaO, Rn. 28; Urteil vom - VIa ZR 281/22, WM 2022, 2150 Rn. 8).
9Ausdrücklich festgestellt ist im Streitfall lediglich, dass kein Direktverkauf der Beklagten an den Kläger vorliegt. Maßgeblich ist aber auch, ob die Beklagte aufgrund des Neuwagenkaufs des Klägers einen Kaufpreisanspruch gegen den Händler erlangt hat oder ob der Händler das verkaufte Fahrzeug schon vor der Bestellung des Klägers auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben hatte. Eindeutige Feststellungen hierzu, die die Zurückweisung sämtlicher Berufungsanträge des Klägers rechtfertigten, fehlen.
III.
10Danach ist das Berufungsurteil im Umfang seiner Anfechtung aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Stellt das Berufungsgericht fest, dass der Kläger das Fahrzeug im Wege einer Absatzkette gekauft hat (vgl. dazu VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 14; Urteil vom - VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 27 f.), wird es nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ( VIa ZR 122/22, WM 2022, 2237 Rn. 26 f.) Feststellungen zur Höhe des Händlereinkaufspreises zu treffen und anschließend die Grundsätze der Vorteilsausgleichung anzuwenden haben ( aaO, Rn. 16).
11Gegen dieses Versäumnisurteil steht der säumigen Partei der Einspruch zu. Dieser ist von einem bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Versäumnisurteils bei dem Bundesgerichtshof, Karlsruhe, durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:121222UVIAZR291.22.0
Fundstelle(n):
KAAAJ-33386