BGH Beschluss v. - 2 StR 437/20

Darlegungspflicht hinsichtlich der Erfüllung des Betrugstatbestands; Rechtmäßigkeit einer Einziehungsentscheidung

Gesetze: § 73 Abs 1 StGB, § 259 Abs 1 StGB, § 263 Abs 1 StGB

Instanzenzug: Az: 2 StR 437/20 Beschlussvorgehend LG Aachen Az: 68 KLs 7/19nachgehend Az: 2 StR 437/20 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten J.    unter Freisprechung im Übrigen wegen Betruges in neun Fällen, wobei es in zwei Fällen beim Versuch blieb, ferner wegen Beihilfe zum Betrug und Hehlerei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Den Angeklagten S.       hat es wegen Betruges in fünf Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Angeklagte Ri.    hat das Landgericht unter Freisprechung im Übrigen wegen „7-facher Beihilfe zum Betrug“ und Beihilfe zum versuchten Betrug zu einer Gesamtgeldstrafe von 270 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt. Außerdem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Gegen dieses Urteil richten sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten; der Angeklagte J.   beanstandet zudem das Verfahren. Die Rechtsmittel haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

2Soweit es die Fälle 28 bis 109 der Urteilsgründe betrifft, hat das Landgericht folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Der Nichtrevident R.     und der zwischenzeitlich verstorbene frühere Mitangeklagte Sc.     kamen überein, über die Internetplattform „T.       “, auf die sie der Angeklagte J.   aufmerksam gemacht hatte, bei einer Vielzahl verschiedener Händler Autoreifen auf Rechnung zu bestellen. Als Käuferin sollte die durch R.     beherrschte A.     GmbH auftreten. R.     und Sc.     planten, gegenüber den Reifenhändlern ihre Bereitschaft zur Zahlung des Kaufpreises vorzutäuschen. Tatsächlich wollten sie den Kaufpreis nicht zahlen, aber die gelieferten Autoreifen zu einem günstigen Preis an Dritte weiterveräußern. Dementsprechend registrierte Sc.     die A.      GmbH auf der Internetplattform. Im Zeitraum zwischen dem und dem bestellte Sc.     jeweils auf Weisungen durch R.     in 82 Fällen Reifensätze im Gesamtwert in Höhe von 64.093,61 Euro. Die Reifen wurden jeweils an eine von zwei vorher durch R.     und Sc.     festgelegte Adressen geliefert, wobei dort zur Vorspiegelung des Bestehens eines tatsächlich dort nicht vorhandenen Firmensitzes jeweils ein Schild mit der Aufschrift der A.     GmbH angebracht wurde. Die gelieferten Autoreifen wurden an Dritte veräußert, vereinzelt auch verschenkt oder über die Internet-Plattform „e.   “ versteigert. Zahlungen an die Reifenhändler wurden nicht geleistet.

4Der Angeklagte J.   erhielt in Kenntnis der deliktischen Herkunft zumindest drei von ihm bei R.     unter Angabe der gewünschten Reifengröße bestellte Reifensätze. Dass J.    an Betrugshandlungen beteiligt war, hat die Strafkammer nicht festzustellen vermocht.

5Um R.      und Sc.     zu unterstützen, nahm die Angeklagte Ri.   für diese an vier Tagen Reifenlieferungen entgegen, wobei sie einen betrügerischen Hintergrund zumindest für möglich hielt und billigend in Kauf nahm.

62. Das Verhalten des Nichtrevidenten R.     und des früheren Mitangeklagten Sc.     in den Fällen 28 bis 109 hat das Landgericht als Betrug in 82 Fällen zum Nachteil der verschiedenen Reifenhändler gewertet. Hierzu habe die Angeklagte Ri.    in vier Fällen Beihilfe geleistet. Der Angeklagte J.   habe sich der Hehlerei schuldig gemacht.

II.

7Verfahrenshindernisse liegen aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom nicht vor.

8Die Verfahrensrüge des Angeklagten J.   bleibt ohne Erfolg. Die Revisionen der Angeklagten decken jedoch sachlich-rechtliche Mängel des Urteils auf, was zu dessen teilweiser Aufhebung führt, die gemäß § 357 StPO auf den Nichtrevidenten R.     zu erstrecken ist.

91. Die Verfahrensrüge des Angeklagten J.   , mit der dieser ein Beweisverwertungsverbot geltend macht, ist unzulässig:

10a) Er beanstandet die Nichtbeachtung eines Beweisverwertungsverbots hinsichtlich der Ergebnisse einer Telekommunikationsüberwachung in einem weiteren gegen den Nichtrevidenten R.     geführten Ermittlungsverfahren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss einer Beweisverwertung in dieser Konstellation aber bei dem Tatgericht widersprochen werden, um sich ein entsprechendes Rügerecht zu erhalten (vgl. , BGHSt 51, 1, 3; Beschluss vom – 5 StR 223/00, bei Becker NStZ-RR 2001, 260; Beschluss vom – 5 StR 10/16, StV 2016, 771, 772). Der Widerspruch muss dabei zumindest so begründet werden, dass die Angriffsrichtung deutlich wird (vgl. , BGHSt 52, 38, 42). Daran fehlt es hier.

11b) Nach dem Protokoll der Hauptverhandlung hat sich der Angeklagte J.   ohne eigene Begründung dem Widerspruch des Nichtrevidenten R.    angeschlossen. Seine eigene Angriffsrichtung hat er nicht aufgezeigt. Dies wäre aber erforderlich gewesen, weil der Widerspruch des Nichtrevidenten sich nur auf ihn betreffende Taten in dem weiteren gegen den Nichtrevidenten R.     geführten Verfahren bezog; ein Zusammenhang seiner Widerspruchsbegründung mit der Rechtsposition des Angeklagten bestand nicht. Mithin fehlt es an einem ausreichend begründeten Widerspruch des Angeklagten J.   gegen die Beweisverwertung. Dies hat zur Folge, dass seine Verfahrensrüge präkludiert ist.

122. Die Verurteilung der Angeklagten J.    und R.     in den Fällen 28 bis 109 der Urteilsgründe hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

13a) Der Betrugstatbestand gemäß § 263 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass die Täuschungshandlung des Täters zu einem Irrtum des Getäuschten und dieser zu einer Vermögensverfügung mit der Folge der Verursachung eines Vermögensschadens geführt hat. Liegt die Betrugshandlung in der Bestellung von Waren im Internet-Versandhandel, muss das Urteil auch Feststellungen dazu enthalten, welche irrigen Vorstellungen die Person hatte, welche die Verfügung getroffen hat. Dazu ist es regelmäßig erforderlich, die jeweils irrende Person zu ermitteln und zu vernehmen (st. Rspr.; vgl. nur mwN). Es genügt nicht, die Person in der Annahme nicht zu vernehmen, dass es selbstverständlich sei, die Mitarbeiter von Internet-Versandanbietern führten eine Bestellung grundsätzlich im Vertrauen auf die Zahlungswilligkeit des Bestellers aus (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 658/13, NStZ 2014, 644, 645). Nur in bestimmten Konstellationen eines normativ geprägten Vorstellungsbildes des Verfügenden kann das Tatgericht in Fällen gleichförmiger, massenhafter oder routinemäßiger Geschäfte seine Überzeugung von täuschungsbedingten Fehlvorstellungen auf der Grundlage eines sachgedanklichen Mitbewusstseins auf aussagekräftige Indizien stützen, wobei er dies aber auch im Urteil darzulegen hat (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 422/18, NStZ-RR 2020, 117, 118 mwN; s.a. Braun, ZWH 2020, 318 ff.; Peter, StraFo 2019, 186 ff.).

14b) Das Landgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, dass in den Fällen 28 bis 109 der Urteilsgründe Mitarbeiter der Reifenhändler die Bestellungen geprüft und sich bei der Verfügung über die Vermögensgegenstände über die Zahlungsbereitschaft der Besteller geirrt haben. Auf konkrete Feststellungen zur Irrtumsfrage kann hier auch nicht verzichtet werden, denn der Vorgang ist nicht selbsterklärend. Vor dem Hintergrund der Abwicklung der Reifenbestellungen über eine Internetplattform ist es insbesondere nicht ausgeschlossen, dass ein automatisierter Bearbeitungsvorgang in Gang gesetzt wurde. Die Beweisgründe des Urteils verhalten sich ebenfalls nicht zur Frage eines relevanten Irrtums der Verfügenden.

15c) Der genannte Rechtsfehler betrifft den Nichtrevidenten R.    in gleicher Weise, so dass die Aufhebung des Urteils in den Fällen 28 bis 109 der Urteilsgründe auf die Revisionen der Angeklagten nach § 357 StPO auf ihn zu erstrecken ist (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 383/11, NStZ-RR 2012, 52).

16d) Die Aufhebung des Urteils in den Fällen 28 bis 109 entzieht den verhängten Gesamtstrafen für die Angeklagten J.   , Ri.    und den Nichtrevidenten R.      die Grundlage. Der Maßregelausspruch gegen R.     bleibt unberührt.

17e) Die bisher getroffenen Feststellungen sind von den genannten Rechtsfehlern nicht betroffen und können aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit sie nicht in Widerspruch mit den bisherigen treten.

18f) Hinsichtlich des Angeklagten J.   ist ergänzend auf Folgendes hinzuweisen: Das Landgericht hat ihn wegen Hehlerei verurteilt, weil es nicht sicher festzustellen vermochte, dass er an Betrugshandlungen beteiligt war. § 259 Abs. 1 StGB setzt die gegen fremdes Vermögen gerichtete Vortat eines anderen voraus; ein Mittäter der Vortat kann kein „anderer“ sein (vgl. Rn. 6; MüKo-StGB/Maier, 4. Aufl., § 259 Rn. 58 mwN). Wenn das Tatgericht es unbeschadet seiner Zweifel jedenfalls für möglich gehalten hat, dass der Angeklagte J.    als Mittäter an der Vortat beteiligt war, ihn aber wegen Hehlerei verurteilt hat, so hat es das Urteil auf Feststellungen zur Vortat eines anderen gestützt, zu denen es sich keine sichere Überzeugung gebildet hat (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 523/19 Rn. 12).

193. Die Verurteilung der Angeklagten Ri.    in den Fällen 159, 161, 162 und 175 der Urteilsgründe ist im Ausspruch über die Höhe der Tagessätze rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat die Tagessatzhöhe auf zehn Euro festgesetzt, ohne dies zu begründen. Die Tagessatzhöhe ergibt sich angesichts der Tatsachen, dass sich die Angeklagte in Untersuchungshaft befindet und kein Einkommen, wohl aber hohe Schulden hat, jedoch nicht von selbst.

204. Die Einziehungsentscheidungen sind teilweise rechtlich zu beanstanden.

21a) Die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen hält hinsichtlich des Angeklagten S.        sachlich-rechtlicher Prüfung nicht in vollem Umfang stand. Das Landgericht hat ausgeführt, dass sich der einzuziehende Wert von Taterträgen auf 14.000 Euro belaufe und sich aus einem Betrag in Höhe von 9.520 Euro in Fall 161 sowie 4.480 Euro in Fall 165 der Urteilsgründe zusammensetze. Die Feststellungen belegen aber nur den Eingang von 9.520 Euro auf dem Konto der durch den Angeklagten S.       kontrollierten Ar.     AG im Fall 161. Feststellungen zu dem Erhalt von weiteren 4.480 Euro im Fall 165 hat das Landgericht nicht getroffen. Daher ist die Einziehungsentscheidung aufzuheben, soweit sie einen 9.520 Euro übersteigenden Betrag betrifft.

22b) Ferner bedarf das Urteil hinsichtlich der Einziehungsentscheidung gegen die Angeklagten Ri.    und S.        der Korrektur.

23aa) Ein Vermögenswert ist nach § 73 Abs. 1 StGB durch die Tat erlangt, wenn er dem Beteiligten in irgendeiner Phase des Tatablaufs unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann. Bei mehreren Beteiligten genügt es, dass sie eine faktische oder wirtschaftliche Mitverfügungsmacht erlangt haben, indem sie ungehinderten Zugriff auf den Vermögensgegenstand nehmen können (vgl. , wistra 2020, 106 mwN). Unerheblich ist, ob und in welchem Umfang der Täter den Gegenstand weitergibt (vgl. , wistra 2019, 234 mwN).

24bb) Danach hat das Landgericht hinsichtlich der Angeklagten Ri.    nicht bedacht, dass sich der von ihr erlangte Tatertrag in Höhe von 2.000 Euro zuvor auf dem Konto der von dem Angeklagten J.    kontrollierten Mantelgesellschaft TM.          GmbH befand und daher zunächst von diesem erlangt wurde. Die Weiterleitung des Betrags an Ri.    steht nicht entgegen. Daher haftet die Angeklagte Ri.    als Gesamtschuldnerin. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 9.520 Euro bei dem Angeklagten S.        . Dieser Betrag war zuvor auf dem Konto der TM.          GmbH eingegangen und wurde durch J.   an S.       weitergeleitet, weshalb auch insoweit eine gesamtschuldnerische Haftung besteht.

25cc) Der Senat ändert die Einziehungsentscheidungen entsprechend ab (§ 354 Abs. 1 StPO analog). Der namentlichen Benennung des weiteren Gesamtschuldners bedarf es nicht (vgl. mwN).

26c) Eine teilweise Aufhebung der Einziehungsanordnung gegen den Angeklagten J.   ist nicht angezeigt. Er ist im Ergebnis nicht dadurch beschwert, dass das Landgericht im Rahmen der Einziehungsentscheidung die an geschädigte Leasingunternehmen gezahlten Raten gemäß § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB zwar zu Gunsten des Nichtrevidenten R.     , nicht jedoch zugunsten des Angeklagten J.   vom Einziehungsbetrag abgezogen hat. Es hat zwar übersehen, dass die teilweise Erfüllung der den Unternehmen zustehenden Ansprüche durch R.     gemäß § 422 Abs. 1 Satz 1 BGB auch zu Gunsten des Angeklagten J.   wirkte und insoweit zum Erlöschen gemäß § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB führte. In sämtlichen dieser Fälle hat das Landgericht jedoch – seinerseits rechtsfehlerhaft – zum Vorteil des Angeklagten J.   angenommen, dass die von ihm an andere Beteiligte weitergereichten Taterträge nicht durch ihn im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB erlangt wurden. Die so zu Unrecht nicht berücksichtigten Beträge sind höher als die durch R.    an die Leasingunternehmen gezahlten und nicht auch gegenüber dem Angeklagten in Abzug gebrachten Beträge. Einer insoweit gebotenen Verrechnung steht § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht entgegen.

275. Wegen der langen Dauer des Revisionsverfahrens ist anzuordnen, dass ein Monat der gegen den Angeklagten S.      verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als bereits vollstreckt gilt. Das neue Tatgericht wird hinsichtlich der Angeklagten J.   und Ri.    das Vorliegen einer Verfahrensverzögerung im Blick zu behalten haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:071222B2STR437.20.1

Fundstelle(n):
JAAAJ-33275