Unterbringung eines betäubungmittelabhängigen Straftäters in einer Entziehungsanstalt: Begründung der Nichtanordnung; Gefährlichkeitsprognose bei Betäubungmitteldelikten zur Eigenkonsumfinanzierung
Gesetze: § 64 S 1 StGB, § 267 Abs 6 S 1 StPO
Instanzenzug: LG Arnsberg Az: II 2 KLs 41/20
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 17 Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die nicht ausgeführte Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand; sie ist nicht tragfähig begründet.
3a) Die Strafkammer hat dazu lediglich ausgeführt, auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen von einer Anordnung dieser Maßregel abgesehen zu haben, weil deren Voraussetzungen nicht vorliegen. Da ein auf die Unterbringung gerichteter Antrag in der Hauptverhandlung nicht gestellt worden sei, bedürfe es gemäß § 267 Abs. 6 StPO insoweit keiner weiteren Darlegungen.
4b) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Kammer bei der Beurteilung der Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung nach § 64 Satz 1 StGB von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist. Auch wenn kein Antrag auf Anordnung einer Maßregel gestellt wird und deshalb keine verfahrensrechtliche Pflicht zur Erörterung der maßgeblichen Umstände besteht, ist deren Nichtanordnung aus sachlich-rechtlichen Gründen nachvollziehbar zu begründen, wenn sich die Anordnung nach den Umständen aufdrängte (vgl. Rn. 3 mwN). Dies war hier der Fall. Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte langjährig Betäubungsmittel; „zuletzt“ nahm er an den Wochenenden etwa fünf bis zehn Gramm Amphetamin zu sich. Dazu trank er eine halbe bis eine ganze Flasche Whiskey als Mischgetränk. Der Sachverständige wertete dieses Konsumverhalten als „schädlichen Missbrauch“. Die verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittelgeschäfte dienten der Finanzierung des eigenen Konsums des Angeklagten. Angesichts dieser Feststellungen liegt nahe, dass der Angeklagte dazu neigt, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Für einen symptomatischen Zusammenhang zwischen den Betäubungsmittelstraftaten und dem Konsumverhalten spricht bereits die festgestellte Eigenkonsumfinanzierung (vgl. Rn. 7; Beschluss vom – 1 StR 415/17 Rn. 12 mwN). Aus diesem Grund kann auch eine Gefährlichkeit als Folge seines jahrelangen Substanzmissbrauchs nicht ohne nähere Begründung verneint werden.
5c) Über die Frage einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb unter Beachtung von § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO neu verhandelt und entschieden werden. Das Schlechterstellungsverbot steht der etwaigen Nachholung einer Unterbringungsanordnung nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. Rn. 6); der Angeklagte hat die Nichtanwendung des § 64 StGB auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. , BGHSt 38, 362). Ergänzende Feststellungen sind möglich, sie dürfen nicht in Widerspruch zu den bisherigen, rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen stehen.
6d) Der Senat schließt aus, dass die rechtsfehlerhafte Nichtanordnung der Maßregel nach § 64 StGB Einfluss auf den Strafausspruch gehabt hat. Dieser kann daher bestehen bleiben.
72. Die Entscheidung des Landgerichts über die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.100 € hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht vollständig stand. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausführt, erhielt der Angeklagte nach den Feststellungen zu den abgeurteilten Taten nur insgesamt 1.000 € abzüglich des – nicht festgestellten – Wertes von zwei Schachteln Zigaretten für Betäubungsmittel. Um jede Beschwer des Angeklagten auszuschließen, reduziert der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO die Wertersatzeinziehung auf 950 €. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts kann hinsichtlich des darüber hinausgehenden Betrags nicht nach § 421 Abs. 1 Nr. 2 StPO von einer Einziehungsentscheidung abgesehen werden, weil diese Vorschrift in der seit dem geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom (BGBl. I S. 2099) nur noch auf die Einziehung von Tatmitteln, Tatobjekten und Tatprodukten nach §§ 74, 74c StGB und nicht mehr auf sonstige Einziehungsentscheidungen nach §§ 73 ff. StGB Anwendung findet (vgl. dazu kritisch Bittmann, NStZ 2022, 8, 12). Die über den Betrag von 950 € hinausgehende Einziehung des Wertes von Taterträgen hat daher zu entfallen.
83. Weitere Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils nicht ergeben.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:110422B4STR445.21.0
Fundstelle(n):
ZAAAJ-32827