BGH Beschluss v. - 1 StR 176/22

Sicherungsverwahrung: Unterbringungsvorbehalt neben lebenslanger Freiheitsstrafe

Gesetze: § 66 Abs 1 S 1 Nr 4 StGB, § 66a Abs 1 Nr 3 StGB, § 66a Abs 2 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: Az: 3 Ks 31 Js 13141/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorbehalten. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge einer Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung der Maßregelanordnung und bleibt im Übrigen ohne Erfolg.

21. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler ergeben.

32. Dagegen hat der Ausspruch über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung keinen Bestand, weil die Urteilsgründe nicht erkennen lassen, dass sich die Strafkammer des ihr durch § 66a Abs. 2 StGB eröffneten Ermessens bewusst gewesen ist; dass sie ihr Ermessen ausgeübt hat, ist aus den Urteilsgründen nicht zu erkennen.

4a) Gegen die Anordnung eines Vorbehalts der Sicherungsverwahrung (§ 66a Abs. 2 StGB) neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe bestehen keine grundsätzlichen Bedenken (, BGHSt 63, 243, 245 Rn. 7 ff. mwN). Die auf § 66a Abs. 2 StGB gestützte Anordnung, deren formelle Voraussetzungen das Landgericht rechtsfehlerfrei bejaht hat, liegt dabei im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 168/18, BGHSt 63, 243, 245 Rn. 25 und vom – 1 StR 3/15 Rn. 3). Die Urteilsgründe müssen stets erkennen lassen, dass das Tatgericht sein Ermessen ausgeübt hat und welche Erwägungen dabei leitend waren (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 168/18, BGHSt 63, 243, 251 Rn. 25 mwN; vom – 4 StR 200/18 Rn. 24 und vom – 4 StR 245/17 Rn. 9).

In Fällen, in denen – wie hier – vorbehaltene Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe angeordnet wird, muss das Tatgericht dem Ausnahmecharakter der Vorschrift in besonderer Weise gerecht werden und tragfähig begründen, dass und warum die kumulative Anordnung der Maßregel auch im konkreten Einzelfall dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht (vgl. , BGHSt 63, 243, 251 Rn. 26 mwN; vgl. zur unbedingten Sicherungsverwahrung auch Urteil vom – 5 StR 8/17 Rn. 19). In die erforderliche Gesamtabwägung aller für und gegen die Maßregelanordnung sprechenden Umstände müssen dabei erkennbar auch diejenigen Gesichtspunkte eingestellt werden, die gegen die Maßregelanordnung sprechen können (, BGHSt 63, 243, 251 Rn. 27 mwN).

5Im Rahmen der Ermessensentscheidung, ob die Anordnung vorbehaltener Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe im Einzelfall veranlasst ist, muss insbesondere berücksichtigt werden, dass eine solche Anordnung – ebenso wie in Fällen unbedingter Anordnung von Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe – für den Betroffenen belastende, aber auch begünstigende Auswirkungen hat; diese sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung in den Blick zu nehmen und gegeneinander abzuwägen (vgl. , BGHSt 63, 243, 252 Rn. 28 f. mwN).

6Darüber hinaus ist zu prüfen und zu bewerten, ob und gegebenenfalls wie sich der Umstand, dass dem Angeklagten im Nachverfahren die Anordnung von Sicherungsverwahrung droht, auf seine Bereitschaft auswirkt, im Rahmen des Strafvollzugs an seiner Resozialisierung mitzuwirken (vgl. , BGHSt 63, 243, 252 Rn. 30 mwN).

7b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Den Urteilsgründen ist auch nach ihrem Gesamtzusammenhang nicht zu entnehmen, dass sich das Landgericht überhaupt des Umstands bewusst gewesen ist, mit der Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung eine Ermessensentscheidung zu treffen. Neben den – ohnedies sehr knappen und teilweise auch zu allgemein gehaltenen – Ausführungen zu den gesetzlichen Voraussetzungen der Maßregelanordnung fehlt es an jeglicher Abwägung und Begründung, aus welchen Gründen die Strafkammer sich unter Ausübung des ihr eröffneten Ermessens zur Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung veranlasst gesehen hat.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:300622B1STR176.22.0

Fundstelle(n):
PAAAJ-32826