Instanzenzug: Az: 3 U 5553/20vorgehend LG Landshut Az: 22 O 249/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner im Zusammenhang mit einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage auf Schadensersatz in Anspruch.
2Im Jahr 2009 nahmen die Beklagten telefonisch mit dem Kläger Kontakt auf. In der Folge kam es zu mindestens zwei persönlichen Beratungsgesprächen am 18. und in Gegenwart beider Beklagter, bei denen der Beklagte zu 2 allgemeine Ausführungen zur wirtschaftlichen Lage infolge der Finanz-/Eurokrise und deren Auswirkungen auf den Versicherungs- und Kapitalanlagemarkt machte, während der Beklagte zu 1 die später gezeichnete Kapitalanlage als alternatives Investment vorstellte. Wann der Kläger den Emissionsprospekt ausgehändigt erhielt, ist zwischen den Parteien ebenso streitig wie der Umfang der mündlich erfolgten Risikoaufklärung. Im Anschluss an das letzte Gespräch beteiligte sich der damals 55-jährige Kläger mit einem Gesamtbetrag von 112.200 € über eine Treuhandkommanditistin in drei Tranchen an der V KG, einem Venture-Capital-Fonds, der das eingebrachte Kapital in Unternehmensbeteiligungen - und zwar nach Ermessen der Fondsleitung in Erst- und in Zweitmarktbeteiligungen - investierte. Die Laufzeit war bis Ende 2035 vorgesehen. Die teils als Einmalbetrag, teils in Raten zu zahlenden Beträge finanzierte der Kläger unter anderem durch den Verkauf seiner - zur Altersvorsorge gedachten - Lebensversicherungen. 2016 ließ der Kläger die in Raten zu bedienenden Verträge stilllegen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er insgesamt 90.800 € investiert.
32018 wandte sich der Kläger, der den Emissionsprospekt nach Zeichnung der Kapitalanlage noch im Jahr 2009 gelesen hatte, erstmalig an einen Rechtsanwalt. Die sodann erhobene Klage ist den Beklagten am 12. Oktober und zugestellt worden. Der Kläger hat unter anderem behauptet, die Beklagten hätten ihn nicht über die Risiken der Anlage, insbesondere das ihr innewohnende Totalverlustrisiko, die mangelnde Fungibilität, die hohen Provisionen und die lange Laufzeit des Investments aufgeklärt, sondern sie als bessere Alternative zu den bestehenden Lebensversicherungen bezeichnet. Die Beklagten haben unter anderem die Einrede der Verjährung erhoben.
4Das Landgericht hat der Klage nach Anhörung der Parteien zum ganz überwiegenden Teil stattgegeben. Eine von den Beklagten erhobene Hilfs-Widerklage hat es abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der vom Senat beschränkt auf die Verteidigung gegen die Klage zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Gründe
5Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht.
I.
6Das Berufungsgericht, das offengelassen hat, ob zwischen den Parteien ein Anlageberatungsvertrag oder ein auf Anlagevermittlung gerichteter Auskunftsvertrag zustande gekommen ist, hat angenommen, die Beklagten, die beide Vertragspartner geworden seien, hätten ihre dem Kläger gegenüber bestehende Pflicht zur objektgerechten Beratung schuldhaft verletzt. Sie hätten dem Kläger die Anlage als sicher empfohlen, obwohl es sich wegen der geplanten Investition der Anlagegelder in Venture Capital um ein riskantes Produkt mit erheblichen Risiken einschließlich des Risikos des Verlustes des gesamten eingesetzten Kapitals gehandelt habe. Auf dieses Risiko hätten die Beklagten den Kläger nicht in der erforderlichen Form und Deutlichkeit hingewiesen. Das Landgericht - dessen Würdigung sich das Berufungsgericht anschließe - habe die Angaben des Klägers, der wegen seiner geringen Rente eine sichere Anlage gewünscht und erklärt habe, das Investment sei ihm als eines mit nur einem kleinen Risiko vorgestellt worden, für plausibel und glaubhaft erachtet und hierdurch den Nachweis einer Aufklärungspflichtverletzung wegen einer nicht objektgerechten Beratung als geführt angesehen. Von der Richtigkeit der Angaben der Beklagten habe es sich hingegen nicht überzeugen können. Der Emissionsprospekt sei dem Kläger auch nach der Schilderung der Beklagten erst am und damit nicht rechtzeitig übergeben worden, weshalb er nicht Grundlage der Beratung habe sein können. Der zur Verfügung stehende Zeitraum von fünf Tagen bis zur Zeichnung der Kapitalanlage sei unter Berücksichtigung des Prospektumfangs, des bevorstehenden Weihnachtsfests und der geringen Anlageerfahrung des Klägers - der seinerseits eine Übergabe erst am behauptet hatte - nicht ausreichend gewesen, um dessen Inhalt umfassend zur Kenntnis zu nehmen. Der Anspruch sei auch nicht verjährt. Daraus, dass der Kläger den Prospekt (nachträglich) gelesen habe, folge allein noch nicht die Kenntnis beziehungsweise grob fahrlässige Unkenntnis der sich daraus ergebenden Folgen. Auf die Frage, ob der Kläger den Prospekt tatsächlich gelesen oder nur durchgeblättert habe, komme es daher nicht an.
II.
7Dies hält rechtlicher Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung lässt sich das Durchgreifen der von den Beklagten gegenüber einem Schadensersatzanspruch des Klägers (§ 280 Abs. 1 BGB) erhobenen Einrede der Verjährung (§ 214 Abs. 1 BGB) nicht verneinen.
81. Dabei ist das Oberlandesgericht allerdings in rechtsfehlerfreier Würdigung der Umstände des vorliegenden Falls davon ausgegangen, dass eine vertragliche Beziehung - in Form eines mangels abschließender Feststellungen zugunsten der Beklagten zu unterstellenden Auskunftsvertrags - nicht nur zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1, der das konkrete Anlagemodell vorstellte, sondern aus der objektiven Sicht des Erklärungsempfängers auch mit dem Beklagten zu 2 zustande kam.
9a) Ein bürgerlich-rechtlicher Auskunftsvertrag kommt nach der Rechtsprechung des Senats zumindest stillschweigend zustande, wenn der Interessent deutlich macht, dass er auf eine bestimmte Anlageentscheidung bezogen die besonderen Kenntnisse und Verbindungen des Vermittlers in Anspruch nehmen will, und der Anlagevermittler die gewünschte Tätigkeit beginnt (zB Urteil vom - III ZR 122/05, WM 2006, 2301 Rn. 9 mwN). Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass nach den Umständen des Einzelfalls eine gemeinsame Vermittlungstätigkeit auch darin liegen kann, dass mehrere Personen bei der Vertragsanbahnung unterschiedliche Rollen einnehmen, um dem Anleger auf diese Weise die vertriebene Kapitalanlage und deren Sinnhaftigkeit - was das Marktumfeld miteinschließen kann - gemeinsam näherzubringen, und sich dabei nicht jeder Beteiligte zwingend zu den Eigenschaften des Investments äußern muss.
10b) Die Vorinstanz hat aufgrund der Umstände des vorliegenden Falls ein bewusst arbeitsteiliges Vorgehen der Beklagten - in dem Sinne, dass der Beklagte zu 2 erst die Schwierigkeiten auf dem Finanzmarkt nebst schlechter Entwicklung auf dem Versicherungsmarkt aufzeigte und der Beklagte zu 1 sodann eine (seinen Angaben zufolge) lukrative Alternative dazu darstellte, für die der Kläger seine bestehenden Lebensversicherungen einsetzen konnte - bejaht. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn die Schilderung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage hatte ersichtlich den Sinn, dem Kläger das von dem Beklagten zu 1 sodann vorgestellte Investment schmackhaft zu machen. Entgegen der Auffassung der Revision ist das Oberlandesgericht gerade nicht aufgrund der bloßen Anwesenheit des Beklagten zu 2 bei den Vertragsanbahnungsgesprächen davon ausgegangen, dass er am Zustandekommen des Vertragsschlusses mitgewirkt hat, sondern hat sich mit seinem konkreten Beitrag dazu im Einzelnen beschäftigt. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte zu 2 ausschließlich im Interesse des Beklagten zu 1 handelte, zeigt die Revision demgegenüber weder auf noch sind solche sonst ersichtlich. Vielmehr sprechen die von der Vorinstanz festgestellten Umstände der Vertragsanbahnung gerade für ein eigenes Vertragsinteresse des Beklagten zu 2.
11c) Die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung steht entgegen der Revisionsbegründung auch nicht im Widerspruch zu den Senatsurteilen vom (III ZR 493/13, BKR 2015, 250 Rn. 36) und vom (III ZR 73/12, NJW-RR 2014, 307 Rn. 14). Die Beklagten übersehen, dass sich die genannten Entscheidungen auf die Vermittlung von Geschäften nach dem Gesetz über das Kreditwesen und dem Wertpapierhandelsgesetz - § 2 Abs. 3 Nr. 4 WpHG aF und § 1 Abs. 1a Satz 2 KWG aF - beziehen und insoweit ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich der dortige Begriff der Anlagevermittlung von demjenigen des bürgerlichen Rechts unterscheidet (Senat, Urteile vom aaO Rn. 35 und vom aaO).
122. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten ihre vertraglichen Pflichten gegenüber dem Kläger verletzt.
13a) Ungeachtet der Frage, ob zwischen den Parteien ein Anlageberatungs- oder nur ein Auskunftsvertrag zustande gekommen ist, hat das Oberlandesgericht weiter zutreffend angenommen, dass sowohl Anlageberatung als auch Anlagevermittlung objektbezogen zu richtiger und vollständiger Information über diejenigen tatsächlichen Umstände verpflichten, die für den Anlageentschluss des Interessenten besondere Bedeutung haben oder haben können (vgl. zB Senat, Urteile vom - III ZR 109/17, NJW-RR 2019, 428 Rn. 25; vom - III ZR 14/15, NJW-RR 2016, 567 Rn. 15 und vom - III ZR 159/07, BeckRS 2008, 13080 Rn. 7 mwN), und die Aufklärung nicht nur mündlich im Rahmen eines Vertragsanbahnungsgesprächs, sondern auch durch die Übergabe eines Prospekts über die Kapitalanlage erfolgen kann, der nach Form und Inhalt geeignet ist, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln, und dem Anlageinteressenten so rechtzeitig vor dem Vertragsschluss übergeben wird, dass er seinen Inhalt noch zur Kenntnis nehmen kann (st. Rspr., zB Senat, Urteil vom - III ZR 145/06, NJW-RR 2007, 1692 Rn. 9).
14Dabei ist es in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender tatrichterlicher Würdigung davon ausgegangen, dass die Beklagten entgegen diesen Vorgaben dem Kläger, der in ein sicheres Produkt habe investieren wollen, die Anlage in den persönlichen Gesprächen als eine solche mit nur einem kleinen Risiko empfohlen und ihn nicht auf die dem Investment innewohnenden erheblichen Risiken bis hin zum Totalverlustrisiko hingewiesen hätten. Auch der - umfangreiche Risikohinweise enthaltende - Emissionsprospekt sei nicht rechtzeitig übergeben worden. Selbst nach dem Beklagtenvorbringen habe die Zeitspanne zwischen der Übergabe am und dem Zeichnungstag am 23. Dezember in Anbetracht des bevorstehenden Weihnachtsfests, des Umfangs des Prospekts und der mangelnden Anlageerfahrung des Klägers nicht ausgereicht, um annehmen zu dürfen, dieser habe den Prospekt gelesen und verstanden und werde gegebenenfalls von sich aus Nachfragen stellen (vgl. dazu zB Senat, Urteil vom - III ZR 393/14, BeckRS 2015, 16480 Rn. 15). Diese tatrichterliche Bewertung der Einzelfallumstände einschließlich der zeitlichen Abläufe greift die Revision vergeblich an. Ihre Verfahrensrügen hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO). Insbesondere hat sich bereits das Landgericht ausdrücklich mit einer früheren - ebenfalls erfolglos verlaufenen - Beteiligung des Klägers an einem kleinen Schweizer Unternehmen beziehungsweise den aufgrund seiner Ausbildung oder beruflichen Tätigkeit zu erwartenden Kenntnissen und Erfahrungen im Bereich entsprechender Geldanlagen befasst. Die landgerichtliche Beurteilung hat sich das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ergänzend zu eigen gemacht.
15b) Die vom Kläger am formularmäßig abgegebene Erklärung, den Prospekt vollinhaltlich zur Kenntnis genommen und anerkannt zu haben (vgl. Anlagenkonvolut K 1 sowie Anlagen K 2 und 3), war bereits aus Rechtsgründen unbeachtlich (vgl. Senat, Urteil vom aaO Rn. 31 ff). Es kann daher in diesem Zusammenhang auch auf sich beruhen, ob die mündliche Erläuterung der Kapitalanlage durch den Beklagten zu 1 geeignet war, die in dem Prospekt enthaltenen Risikohinweise zu entwerten.
163. Es kann auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstands jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Ansprüche des Klägers gegen die Beklagten verjährt sind, soweit sie auf einer mangelnden Aufklärung über das dem Investment innewohnende (Total-)Verlustrisiko beruhen; zu den übrigen den Beklagten vorgeworfenen Auskunftspflichtverletzungen hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen mehr getroffen.
17a) Nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
18Der Schadensersatzanspruch wegen einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung oder -auskunft entsteht mit dem (unwiderruflichen und vollzogenen) Erwerb der Kapitalanlage (zB Senat, Urteile vom - III ZR 628/16, NJW 2019, 356 Rn. 14; vom - III ZR 99/09, BeckRS 2010, 18807 Rn. 12 und vom - III ZR 249/09, BGHZ 186, 152 Rn. 24; jew. mwN). Dieser trat ein, als die Beteiligungsgesellschaft die Annahme der Zeichnung des Klägers erklärte.
19Für die subjektiven Voraussetzungen des Verjährungsbeginns genügt es im Allgemeinen, dass der Geschädigte die tatsächlichen Umstände kennt oder grob fahrlässig nicht kennt, die eine schuldhafte Pflichtverletzung als naheliegend und damit eine Schadensersatzklage - und sei es auch nur als Feststellungsklage - als so aussichtsreich erscheinen lassen, dass ihm ihre Erhebung zugemutet werden kann (Senat, Urteile vom - III ZR 227/18, NJW 2020, 466 Rn. 12; vom - III ZR 117/18, BGHZ 221, 253 Rn. 18 und vom - III ZR 217/13, BeckRS 2014, 19722 Rn. 15; , WM 2016, 780 Rn. 28 und vom - XI ZR 348/09, NJW 2011, 1278 Rn. 20). Erforderlich ist, dass der Gläubiger um die anspruchsbegründenden Umstände weiß, nicht aber, dass er den Vorgang rechtlich zutreffend beurteilt (zB Senat, Urteile vom - III ZR 156/13, NJW 2014, 2345 Rn. 26 und vom - III ZR 132/08, NJW 2009, 984 Rn. 13 f; Beschluss vom - III ZR 220/07, NJW-RR 2008, 1237 Rn. 7; jew. mwN). In Fällen einer unzureichenden Aufklärung muss der Geschädigte insbesondere nicht die Rechtspflicht des Schädigers zur Aufklärung kennen ( aaO mwN). Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen, von denen hier aber keiner vorliegt, kann die Rechtsunkenntnis des Geschädigten den Verjährungsbeginn hinausschieben (vgl. dazu zB Senat, Urteile vom aaO; vom aaO Rn.19; vom aaO Rn. 26 und vom aaO Rn. 14 sowie Beschluss vom aaO Rn. 7).
20b) Die Beurteilung, ob eine Partei Kenntnis von der Pflichtverletzung hatte oder ihr der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis zu machen ist, unterliegt als Ergebnis tatrichterlicher Würdigung nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht, etwa darauf, ob der Tatrichter bei der Bewertung des Verschuldens ganz wesentliche Umstände außer Acht gelassen, den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder gegen Denkgesetze, Erfahrungsätze oder Verfahrensvorschriften verstoßen hat (Senat, Urteile vom aaO Rn.12 und vom - III ZR 47/15, BKR 2016, 217 Rn. 10 mwN; aaO Rn. 30).
21Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Maßstabs ist die Würdigung des Berufungsgerichts nicht frei von Rechtsfehlern.
22Nach den unangegriffenen auf seiner persönlichen Anhörung vor dem Landgericht beruhenden Feststellungen der Vorinstanzen, die sich die Beklagten ihrerseits zu eigen gemacht haben, hat der Kläger den ihm überreichten Emissionsprospekt zeitnah nach Zeichnung der Kapitalanlage gelesen. Diesen Umstand hat das Berufungsgericht seiner Beurteilung zwar zugrunde gelegt. Es hat ihn jedoch für unbeachtlich gehalten, weil aus ihm allein noch keine Kenntnis beziehungsweise grob fahrlässige Unkenntnis der sich daraus ergebenden Folgen hervorgehe. Das ist denkfehlerhaft, denn je nach Art und Umfang der Lektüre eines Prospekts kann der Rückschluss auf eine Kenntnis beziehungsweise grob fahrlässige Unkenntnis des Anlegers von dem Prospektinhalt gerechtfertigt sein.
23Insoweit merkt der Senat an, dass in dem Prospekt, der dem Kläger übergeben wurde (Anlage K 5), auf Seiten 11 f sehr deutlich und mehrfach ausgeführt wird, dass es sich um eine Anlage mit einem hohen unternehmerischen Risiko, einschließlich des Totalverlustrisikos, handelt, nicht aber eine solche mit einem lediglich "kleinen Risiko" (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem ). Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht, wenn es den Rückschluss von der Lektüre des Prospekts auf die Kenntnis beziehungsweise grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von dem Prospektinhalt und den darin enthaltenen Risikohinweisen erwogen hätte, die Verjährung des Schadensersatzanspruchs wegen fehlender Aufklärung über das Totalverlustrisiko in Betracht gezogen hätte. Das Berufungsgericht hätte deshalb auch nicht offenlassen dürfen, ob und in welchem Umfang der Kläger den Prospekt tatsächlich gelesen oder - gegebenenfalls im Vertrauen auf die Angaben der Beklagten - nur durchgeblättert hat und welche Schlüsse er daraus gezogen hat oder hätte ziehen müssen (vgl. dazu Schriftsatz vom ). Es kann weiter darauf ankommen, welche Bedeutung der Kläger der Risikodarstellung im Prospekt auch mit Blick auf den Inhalt der persönlichen Gespräche mit den Beklagten beimaß. Dabei kann ins Gewicht fallen, ob die Beklagten den Prospektinhalt zuvor im persönlichen Gespräch in einer Weise beschönigt beziehungsweise entwertet hätten, die dazu führte, dass der Kläger den Abweichungen im Prospekt keine durchgreifende Bedeutung beimessen musste (vgl. dazu zB Senat, Urteile vom - III ZR 27/10, NJW-RR 2011, 1139 Rn. 7; vom - III ZR 169/08, BKR 2010, 118 Rn. 24 und vom - III ZR 83/06, NJW-RR 2007, 1690 Rn. 10).
24Die vorliegende Fallgestaltung unterscheidet sich von derjenigen, in der der Anleger einen ihm überlassenen Emissionsprospekt nach Zeichnung der Kapitalanlage im Vertrauen auf die Angaben seines Beraters oder Vermittlers nicht mehr gelesen hat. In derartigen Konstellationen ist er - von Ausnahmefällen abgesehen - nicht verpflichtet, den ihm übergebenen Anlageprospekt zusätzlich durchzusehen und auszuwerten (vgl. zB Senat, Urteil vom , aaO Rn. 13 mwN). Vielmehr treten die Prospektangaben gegenüber den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen des Anlageberaters oder -vermittlers, die dieser in einem persönlichen Gespräch vermittelt hat und denen der Anlageinteressent ein besonderes Gewicht beimessen wird, regelmäßig in den Hintergrund (Senat, Urteil vom aaO Rn. 19). Unterlässt der Anleger eine "Kontrolle" des Beraters oder Vermittlers durch Lektüre des Anlageprospekts, weist dies auf das bestehende Vertrauensverhältnis hin und ist daher für sich genommen nicht schlechthin "unverständlich" oder "unentschuldbar" (Senat aaO).
III.
25Das angefochtene Urteil kann daher mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht aufrechterhalten werden. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, muss sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Sollte dieses - gegebenenfalls nach erneuter Anhörung des Klägers - zu dem Ergebnis gelangen, der bislang auf die mangelnde Aufklärung über das Totalverlustrisiko der Anlage gestützte Schadensersatzanspruch sei verjährt, wird es die weiteren vom Kläger gerügten Aufklärungsfehler und Prospektmängel, zu denen es keine Feststellungen getroffen hat, in den Blick zu nehmen haben. Sind dem Anspruchsgegner mehrere, voneinander abgrenzbare Aufklärungs- und/oder Beratungsfehler vorzuwerfen, wird die Verjährungsfrist jeweils gesondert berechnet. Die Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB sind getrennt für jede Pflichtverletzung zu prüfen, die insoweit verjährungsrechtlich selbständig zu behandeln ist (vgl. Senat, Urteil vom - III ZR 169/08, BKR 2010, 118 Rn. 15 mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:011222UIIIZR229.21.0
Fundstelle(n):
VAAAJ-32824