BGH Beschluss v. - VIa ZB 9/22

Instanzenzug: Az: 6 U 308/21vorgehend LG Mosbach Az: 2 O 79/21

Gründe

I.

1Der Kläger erwarb im März 2017 einen neuen Fiat K65 ES zum Preis von 65.495 €. Die Beklagte ist die Holdinggesellschaft der später aus der Fusion der Automobilunternehmen PSA und Fiat Chrysler hervorgegangenen FCA-Gruppe. Der Kläger behauptet, das von ihm erworbene Fahrzeug verfüge über unzulässige Abschalteinrichtungen, von denen der Vorstand und Mitarbeiter der Beklagten Kenntnis gehabt und über die sie ihn getäuscht hätten.

2Der Kläger hat die Beklagte auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen und auf Zahlung von Deliktszinsen jeweils Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs in Anspruch genommen sowie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt.

3Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht durch den angegriffenen Beschluss als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

4Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (§ 574 Abs. 2 ZPO). Insbesondere verletzt entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde die Verwerfung der Berufung als unzulässig den Kläger weder in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

51. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Berufung sei nicht ordnungsgemäß begründet, weil sie nicht auf die tragenden Erwägungen des Landgerichts eingehe. Sie zeige nicht auf, aus welchen Gründen die tatsächliche Feststellung des Landgerichts fehlerhaft sei, die Beklagte sei an der Herstellung oder dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs nicht beteiligt gewesen. Insbesondere mache sie nicht geltend, das Landgericht habe ein diesbezügliches Beweisangebot des Klägers übergangen. Ebenso wenig lege sie dar, warum die daran geknüpfte rechtliche Bewertung des Landgerichts fehlerhaft sei, die Haftung der Beklagten setze ihre Beteiligung an der Herstellung oder dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs voraus, wofür die Stellung als reine Finanzholdinggesellschaft im Verhältnis zu einer produzierenden Tochtergesellschaft nicht genüge. Die bloße Wiederholung der erstinstanzlichen Behauptung zu der Herstellereigenschaft der Beklagten und dem Vorsatz ihres Vorstands genüge nicht.

62. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

7a) Wendet sich der Berufungskläger gegen die Rechtsanwendung des erstinstanzlichen Gerichts, so muss die Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Bei Angriffen gegen die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts muss die Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.

8Da die Berufungsbegründung erkennen lassen soll, aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, hat dieser - aus sich heraus verständlich - darzulegen, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils er bekämpft und welche rechtlichen oder tatsächlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Der Berufungskläger hat diejenigen Punkte darzulegen, die er als unzutreffend ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen er die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet. Besondere formale Anforderungen an diesbezügliche Darlegungen des Berufungsklägers bestehen zwar nicht. Für die Zulässigkeit der Berufung ist es auch ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen (, juris Rn. 6; Beschluss vom - VI ZB 4/20, NJW-RR 2022, 998 Rn. 6; Beschluss vom - VIa ZB 2/21, juris Rn. 8). Dabei ist stets zu beachten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weitergehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist (, juris Rn. 6; Beschluss vom , aaO).

9b) Gemessen daran hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass die Berufungsbegründung des Klägers den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 oder 3 ZPO nicht gerecht wird.

10aa) Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, selbst wenn unzulässige Abschalteinrichtungen zum Einsatz kämen, fehlte es an einer haftungsbegründenden Handlung der Beklagten. Der Kläger habe nicht den Beweis erbracht, dass die Beklagte das Fahrzeug produziert habe. Die Beklagte habe die vom Kläger pauschal behauptete Herstellereigenschaft substantiiert bestritten, worauf weder näherer Sachvortrag des Klägers noch ein Beweisangebot gefolgt seien. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte mehr als die Aufgaben einer bloßen Finanzholding wahrgenommen habe. Der Kläger habe auch nicht bewiesen, dass die Beklagte oder ihre Rechtsvorgängerin das Fahrzeug in Kenntnis einer möglichen unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht habe. Die Konstruktion des Fahrzeugs durch Mitarbeiter einer Tochtergesellschaft oder eines sonstigen Konzernunternehmens könne der Beklagten wegen der rechtlichen Selbstständigkeit der einzelnen Unternehmen nicht zugerechnet werden.

11bb) Mit dieser Argumentation setzt sich die Berufungsbegründung des Klägers nicht hinreichend auseinander.

12(1) Der Kläger hat darin ausgeführt, das Landgericht habe bei der Frage, ob der von ihm erlittene Schaden der Beklagten zurechenbar sei, verkannt, dass ihm mangels Einblicks in die inneren Strukturen, Vorgänge und Abläufe bei der Beklagten kein näherer Vortrag dazu möglich sei, wer mit der Entwicklung und dem Inverkehrbringen der Motoren konkret betraut gewesen sei. Die Beklagte habe das von der Klagepartei erworbene Fahrzeug gebaut und ihre Mitarbeiter hätten die streitgegenständliche Software in Kenntnis ihrer Funktionsweise in die Motorsteuerung der Motorenreihe integriert. Die Beklagte treffe eine sekundäre Darlegungslast, die in ihrem Unternehmen im Zusammenhang mit der Implementierung der Software erfolgten Vorgänge und Entscheidungsprozesse konkret darzulegen und näher vorzutragen, welches ihrer Organe die Entwicklung und das Inverkehrbringen der Motoren veranlasst habe. Dieser sekundären Darlegungslast habe die Beklagte durch ihr pauschales Bestreiten nicht genügt. Das gelte umso mehr, als der Motor und die Steuerung des Abgasverhaltens zentrale Bestandteile der Entwicklung eines Kraftfahrzeugs seien. Es sei deshalb davon auszugehen, dass die Implementierung der unzulässigen Abschalteinrichtungen nicht auf einer unbemerkt gebliebenen Entscheidung von mit der Entwicklung oder dem Einbau der Steuerungssoftware betrauten Mitarbeitern der Beklagten beruht habe, sondern der Vorstand der Beklagten oder sonstige maßgebliche Organe von der innerhalb des Unternehmens getroffenen Entscheidung zur Vornahme von Manipulationen Kenntnis gehabt hätten und diese befürwortet, wenn nicht gar in Auftrag gegeben hätten.

13(2) Hierdurch hat der Kläger die tragende Erwägung des Landgerichts nicht in Frage gestellt, er habe die Herstellereigenschaft der Beklagten nur pauschal behauptet und nicht bewiesen. Der Kläger hat in der Berufungsbegründungsschrift lediglich erneut vorgetragen, die Beklagte habe "das durch die Klagepartei erworbene Fahrzeug gebaut und eine EG-Typgenehmigung beantragt". Mit der Erwägung des Landgerichts, der Kläger habe keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Beklagte "vor der Fusion für die Fiat Chrysler mehr als nur die Aufgaben einer Finanzholding wahrgenommen" habe, hat sich der Kläger dagegen nicht - wie nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO erforderlich - befasst.

14(3) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, hat der Kläger in der Berufungsbegründungsschrift auch nicht nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO vorgetragen, das Landgericht habe das Vorbringen des Klägers in erster Instanz fehlerhaft nicht unter dem Aspekt gewürdigt, die Beklagte sei als Konzernspitze an der Herstellung und dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs jedenfalls nach § 830 Abs. 2 BGB in der Weise beteiligt gewesen, dass sie als strategiebestimmende Anstifterin oder Gehilfin für die Produktion und den Vertrieb des Fahrzeugs durch eine Konzerntochter hafte.

15Der Kläger hat seine Ansprüche in der Berufungsbegründungsschrift weiterhin auf die (täterschaftliche) Herstellung des Fahrzeugs bzw. den (täterschaftlichen) Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch die Beklagte und nicht auf die Beteiligung der Beklagten an einer deliktischen Schädigung des Klägers durch eine Tochtergesellschaft als Herstellerin gestützt. Soweit er in der Berufungsbegründungsschrift angeführt hat, nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast sei anzunehmen, dass der Vorstand oder sonstige Verantwortliche der Beklagten an der Entscheidung über die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtungen beteiligt gewesen seien, bezogen sich seine Ausführungen auf die Produktion des Fahrzeugs im Unternehmen der Beklagten und nicht auf die Entscheidung von Repräsentanten der Beklagten, ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug von einer Konzerntochter herstellen und in den Verkehr bringen zu lassen.

16cc) Die von der Rechtsbeschwerde zitierten Ausführungen des Klägers in seiner Stellungnahme auf den vorab erteilten Hinweis des Berufungsgerichts konnten - unabhängig davon, dass der Kläger auch insoweit einen tauglichen Berufungsangriff nicht formuliert hat - schon deshalb nicht nachträglich zur Zulässigkeit der Berufung führen, weil eine unzulängliche Berufungsbegründung nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr geheilt werden kann (vgl. , MDR 2022, 267 Rn. 28 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:090123BVIAZB9.22.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-32438