Instanzenzug: Az: VIa ZR 371/21 Beschlussvorgehend Az: 9 U 3585/21vorgehend LG Traunstein Az: 9 O 2809/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte als Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2Der Kläger kaufte im Februar 2014 von einem Händler ein von der Beklagten hergestelltes Neufahrzeug VW Caddy zu einem Kaufpreis von 28.044,12 € netto. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Motorsteuerungssoftware, die das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus auf dem Prüfstand erkannte und in diesem Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte. Der Kläger, der spätestens aufgrund der Mitteilung des Rückrufs durch das Kraftfahrt-Bundesamt im Jahr 2016 Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs hatte, ließ ein Software-Update durchführen.
3Mit seiner im November 2020 erhobenen Klage hat der Kläger, soweit im Revisionsverfahren von Interesse, die Beklagte auf Zahlung von 37.155,45 € nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Begehren auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung in Höhe von 19.984 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs weiter.
Gründe
4Die Revision hat Erfolg.
I.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen wie folgt begründet:
6Der Durchsetzung eines Anspruchs des Klägers gegen die Beklagte auf Schadensersatz gemäß §§ 826, 31 BGB stehe die Verjährungseinrede der Beklagten entgegen. Ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB, der allein die Herausgabe eines im Vermögen der Beklagten verbliebenen Gewinns umfasse, bestehe nicht, da der insoweit darlegungspflichtige Kläger zur Höhe des Gewinns keinen Vortrag gehalten habe. Zudem stehe einem der Höhe nach auf den Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB beschränkten Herausgabeanspruch nach §§ 826, 852 Satz 1 BGB entgegen, dass dem Kläger bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise kein Schaden entstanden sei. Er habe durch den Vertragsabschluss unter Berücksichtigung des Software-Updates als Vorteil ein wirtschaftlich gleichwertiges, voll nutzbares Fahrzeug erhalten und keinen höheren Wertverlust erlitten, als wenn er ein vergleichbares Fahrzeug ohne "Dieselmanipulation" erworben hätte.
II.
7Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung in entscheidenden Punkten nicht stand.
81. Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist die von der Revision hingenommene Annahme des Berufungsgerichts, ein Anspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sei jedenfalls verjährt und nicht durchsetzbar (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 33 ff.; vgl. auch VIa ZR 680/21, NJW-RR 2022, 1251 Rn. 25 ff.). Der Tatrichter ist nicht gehindert, das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach offen zu lassen, wenn er die Einrede nach § 214 Abs. 1 BGB für durchgreifend erachtet (vgl. , NJW-RR 2009, 671 Rn. 25). Ein Rechtsfehler des Berufungsgerichts bei der Bestimmung des dem Kläger durch das deliktische Handeln der Beklagten entstandenen Schadens hat sich bei der Subsumtion unter §§ 826, 31 BGB damit nicht zulasten des Klägers ausgewirkt.
92. Mit Rechtsfehlern behaftet ist dagegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dem Kläger stehe auch nach §§ 826, 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB ein (unverjährter) Anspruch auf Gewährung von Restschadensersatz nicht zu, weil er keinen Schaden erlitten habe.
10Nach den Feststellungen des Landgerichts, die sich das Berufungsgericht zu eigen gemacht hat, ist der Kläger durch ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten dazu veranlasst worden, unter Verletzung seines wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts einen Kaufvertrag abzuschließen, den er sonst nicht geschlossen hätte, weil das mit einer illegalen Abschalteinrichtung versehene Fahrzeug wegen der drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung für seine Zwecke nicht voll brauchbar war. Da die Verkehrsanschauung diesen Vertragsschluss bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht, liegt in der damit verbundenen Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung der dem Kläger zugefügte Schaden im Sinne der §§ 826, 852 Satz 1 BGB, ohne dass es auf die objektive Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung ankommt (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 26). Deshalb ist für die Bemessung des vom Kläger hier geltend gemachten großen Schadensersatzes ohne Belang, ob und in welchem Umfang die dauerhafte Gebrauchstauglichkeit des Fahrzeugs (wieder-)hergestellt wird.
11Lediglich im Falle der Geltendmachung des - vom Kläger nicht beanspruchten - kleinen Schadensersatzes, der sich nach dem Betrag bestimmt, um den der Geschädigte den Kaufgegenstand - gemessen an dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung - zu teuer erworben hat, kann die Wertsteigerung des Fahrzeugs durch ein nachträglich aufgespieltes Software-Update im Rahmen der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen sein (, BGHZ 230, 224 Rn. 34). Liegt der Schaden dagegen in einem unter Verletzung seines wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts sittenwidrig herbeigeführten ungewollten Vertragsschluss, so entfällt dieser Schaden nicht dadurch, dass sich der Wert oder Zustand des Vertragsgegenstands - wie gegebenenfalls hier durch das Aufspielen des Software-Updates - nachträglich verändern. Diese Umstände führen nicht dazu, dass der ungewollte Vertragsschluss rückwirkend zu einem gewollten wird (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 58; Urteil vom - VI ZR 633/20, VersR 2022, 520 Rn. 18; Urteil vom - VI ZR 475/19, VersR 2022, 654 Rn. 14; Urteil vom - VI ZR 68/20, WM 2022, 2395 Rn. 30).
123. Mit Erfolg wendet sich die Revision auch gegen die Annahme des Berufungsgerichts, für den Herausgabeanspruch nach §§ 826, 852 Satz 1 BGB gelte das "Abschöpfungsprinzip" mit der Folge, dass nur die Herausgabe eines im Vermögen des Schädigers verbliebenen Gewinns herausverlangt werden könne. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist als Erlangtes im Sinne von § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB nicht lediglich der Herstellergewinn, sondern der von der Beklagten vereinnahmte Händlereinkaufspreis herauszugeben ( VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16).
III.
13Der Zurückweisungsbeschluss ist danach in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang aufzuheben, da er sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§§ 561, 562 Abs. 1 ZPO).
14Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO), weil das Berufungsgericht bislang keine hinreichenden Feststellungen zu einem Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB getroffen hat. Die Sache ist daher im Umfang der Aufhebung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO), damit es nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung ( VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 13 ff.; Urteil vom - VIa ZR 31/22, juris Rn. 17; Urteil vom - VIa ZR 519/21, zVb) die erforderlichen Feststellungen nachholen kann.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:191222UVIAZR371.21.0
Fundstelle(n):
AAAAJ-32293