Gerichtsstandsbestimmung in Strafvollstreckungssachen: Fortwirkungszuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für Vollstreckung einer Einziehungsanordnung
Gesetze: § 458 Abs 1 StPO, § 459g Abs 2 StPO, § 459g Abs 5 S 1 StPO, § 462 Abs 1 StPO, § 462a Abs 1 S 2 StPO
Gründe
I.
1Das (8 KLs 211 Js 90753/18) gegen den Verurteilten u.a. wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in sieben Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verhängt. Ferner hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 430.000 Euro gegen ihn als Gesamtschuldner angeordnet. Mit Beschluss vom hat das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Hildesheim, in dessen Zuständigkeitsbereich der Verurteilte die Gesamtfreiheitsstrafe teilweise verbüßt hat, die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.
2Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat beantragt, gemäß § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO das Unterbleiben der Vollstreckung der im Urteil des Landgerichts Stuttgart angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 430.000 Euro anzuordnen.
3Mit Beschluss vom hat sich das Landgericht Hildesheim für unzuständig erklärt. Es vertritt die Auffassung, eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer bestehe nur für Entscheidungen, welche die Person betreffen, gegen die eine Freiheitsstrafe (noch) vollzogen wird. Der Verurteilte sei zwar Adressat der Einziehungsanordnung; ein Zusammenhang mit der Vollstreckung der Freiheitsstrafe, der eine besondere Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer rechtfertige, bestehe indes nicht.
4Das Landgericht Stuttgart hält sich ebenfalls für nicht zuständig. Die Voraussetzungen für eine Abgabe an das Gericht des ersten Rechtszuges nach § 462a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 458 Abs. 1 StPO lägen nicht vor. Die hier beantragte Entscheidung nach § 459g Abs. 5 StPO betreffe maßgeblich den Verurteilten selbst, so dass nach Aussetzung der Restfreiheitsstrafe und bedingter Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft die Zuständigkeit des Landgerichts Hildesheim fortbestehe (§ 462a Abs. 1 Satz 2 StPO).
II.
5Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung des zwischen den Landgerichten Hildesheim und Stuttgart bestehenden Streits gemäß § 14 StPO als gemeinschaftliches oberes Gericht berufen, weil diese in den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte liegen.
6Zuständig für die Vollstreckung der angeordneten Einziehung des Wertes der Taterträge und damit auch für die zwischen den beiden Gerichten allein im Streit stehende Entscheidung nach § 459g Abs. 5 StPO ist das Landgericht Hildesheim.
7In seiner Antragsschrift vom hat der Generalbundesanwalt u.a. ausgeführt:
„Denn die gemäß § 462a Abs. 1 i.V.m. §§ 462 Abs. 1 StPO begründete Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hildesheim erfasst auch die Vollstreckung von Nebenfolgen, die zu einer Geldzahlung verpflichten (§ 462 Abs. 1 i.V.m. § 459g Abs. 2 StPO), und besteht nach Aussetzung der Restfreiheitsstrafe und bedingter Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft fort (§ 462a Abs. 1 Satz 2 StPO).
Das Landgericht Stuttgart beruft sich zutreffend darauf, dass die Voraussetzungen für eine Abgabe an das Gericht des ersten Rechtszuges nach § 462a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 458 Abs. 1 StPO nicht vorliegen. Im Übrigen ist ihm darin zuzustimmen, dass die Entscheidung des Senats vom – 2 ARs 16/87 – einen anders gelagerten Sachverhalt betrifft. Denn diese verhält sich allein dazu, dass nach der Systematik des Gesetzes und dem Sinn und Zweck des § 462a StPO Entscheidungen gegen andere Personen wie Mitangeklagte, Nebenbeteiligte oder Verleger und Redakteure im Sinne von § 463 c Abs. 3 StPO von der Pauschalverweisung über § 462 Abs. 1 StPO auf die §§ 458 bis 461 StPO ausgenommen sind. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Allein der Umstand, dass von einer Entscheidung, die sich gegen den Verurteilten selbst richtet, auch andere Personen betroffen sind, rechtfertigt es entgegen der vom Landgericht Hildesheim im Anschluss an das Oberlandesgericht Celle vertretenen Auffassung jedoch nicht, diese Entscheidungen abweichend vom Wortlaut des § 462a Abs. 1 i.V.m. § 462 Abs. 1 StPO sämtlich von der Pauschalverweisung auf die §§ 458 bis 461 StPO auszunehmen. Denn im Regelfall ist eine einheitliche Entscheidungskompetenz für die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe und die Vollstreckung der Vermögensabschöpfungsentscheidung schon unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierung des Verurteilten sinnvoll. Im Übrigen liefe die Pauschalverweisung auf die §§ 458 bis 461 StPO jedenfalls hinsichtlich der Vollstreckung von Einziehungsanordnungen in der Praxis weitgehend ins Leere, wollte man hiervon sämtliche Entscheidungen ausnehmen, von denen andere Personen betroffen sind. Denn in der überwiegenden Zahl dieser Fälle betreffen die vollstreckungsrechtlichen Entscheidungen weitere Personen, insbesondere die durch die Tat Verletzten, häufig aber auch als Gesamtschuldner verurteilte Tatbeteiligte.“
8Dem tritt der Senat bei.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:010222B2ARS382.21.0
Fundstelle(n):
WAAAJ-32290