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BGH Beschluss v. - XII ZB 257/22

Betreuungsrechtliche Genehmigung einer zivilrechtlichen Unterbringung

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen der betreuungsgerichtlichen Genehmigung einer zivil-rechtlichen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BGB.

Gesetze: § 1906 Abs 1 Nr 1 BGB, § 1906 Abs 1 Nr 2 BGB

Instanzenzug: Az: 5 T 86/22vorgehend Az: 41 XVII 13986 B

Gründe

I.

1Der 1985 geborene Betroffene leidet seit längerer Zeit an einer schizophrenen Erkrankung und an einer Substanzmittelabhängigkeit. Für ihn wurde eine Betreuung eingerichtet und ein Berufsbetreuer bestellt, dessen Aufgabenkreis unter anderem die Gesundheitssorge und die Aufenthaltsbestimmung umfasst. Zwischen 2009 und 2013 sowie zwischen 2018 und 2021 befand sich der Betroffene mehrfach in stationärer Behandlung, nachdem er jeweils zuvor seine antipsychotische Medikation abgesetzt hatte. Zuletzt hatte das Amtsgericht durch einstweilige Anordnung vom auf Antrag des Betreuers die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis zum genehmigt. Am und am genehmigte das Amtsgericht - ebenfalls im Wege einstweiliger Anordnung - die Zwangsmedikation des Betroffenen für die Dauer von jeweils zwei Wochen.

2Der Betreuer hat im vorliegenden Verfahren die geschlossene Unterbringung des Betroffenen über den hinaus beantragt und daneben um die erneute Genehmigung einer Zwangsbehandlung ersucht. Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens mit Beschluss vom die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens zum und mit einem weiteren Beschluss vom die antipsychotische Zwangsmedikation des Betroffenen bis längstens zum genehmigt. Am hat der Betroffene gegen den „Bescheid vom 13. April … Widerspruch“ eingelegt und diesen damit begründet, dass „die Unterbringung für ein Jahr nicht notwendig“ sei. Das Landgericht hat die Beschwerde mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die geschlossene Unterbringung nur bis längstens genehmigt wird.

3Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene zum einen gegen die Genehmigung seiner Unterbringung. Zum anderen erstrebt er die Feststellung, dass die mit gesondertem genehmigte Zwangsmedikation rechtswidrig war.

II.

4Die Rechtsbeschwerde ist mangels Rechtsbeschwerdebefugnis unzulässig, soweit sie auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der mittlerweile durch Zeitablauf erledigten Zwangsmedikation abzielt.

5Im Rahmen der Rechtsbeschwerdebefugnis ist zu prüfen, ob der Rechtsbeschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung in formeller oder materieller Hinsicht beschwert ist (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 695/14 - FamRZ 2016, 120 Rn. 9) und mit seinem Rechtsmittel eine Beseitigung gerade dieser Beschwer erstrebt. Das ist in Bezug auf die Genehmigung der Zwangsmedikation hier schon deshalb nicht der Fall, weil diese nicht der Verfahrensgegenstand ist, über den das Beschwerdegericht entschieden hat.

6Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob das Beschwerdegericht - wie die Rechtsbeschwerde meint - das Schreiben des Betroffenen vom dahingehend hätte auslegen müssen, dass dieser nicht nur den amtsgerichtlichen Beschluss zur Genehmigung der Unterbringung, sondern auch den am gleichen Tag erlassenen Beschluss zur Genehmigung der Zwangsmedikation angreifen wollte. Denn hat das Gericht das Rechtsschutzbegehren eines Beteiligten aufgrund von Rechtsirrtum oder Missverständnis unrichtig und zu eng ausgelegt, ist seine Endentscheidung aus diesem Grund nur dann unrichtig und mit den zulässigen Rechtsmitteln angreifbar, wenn das Gericht in der Beschlussformel gleichwohl über das gesamte Rechtsschutzbegehren des Beteiligten erschöpfend entschieden und seine Instanz durch diese Beschlussfassung als erledigt betrachtet hat (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 571/21 - FamRZ 2022, 1634 Rn. 11 mwN).

7So liegt der Fall hier aber nicht. Beschlussformel und Entscheidungsgründe der Beschwerdeentscheidung lassen unzweifelhaft erkennen, dass das Beschwerdegericht lediglich über das Rechtsmittel des Betroffenen gegen den amtsgerichtlichen Beschluss zur Genehmigung der Unterbringung befinden wollte. Dieses Verständnis wird nach Aktenlage auch durch die Verfahrensführung des Beschwerdegerichts gestützt. Das Amtsgericht ist im Rahmen seiner Nichtabhilfeentscheidung zwar davon ausgegangen, dass sich die Beschwerde des Betroffenen gegen „die beiden Beschlüsse vom “ richtet, und hat die Sachen dem Landgericht vorgelegt, wo die beiden Beschwerdeverfahren bezüglich der Unterbringung und bezüglich der Zwangsbehandlung gesondert und mit unterschiedlichen Aktenzeichen eingetragen worden sind. Vor Erlass der angefochtenen Entscheidung hat die Berichterstatterin der Beschwerdekammer aber verfügt, dass das Verfahren bezüglich der Zwangsbehandlung wieder auszutragen sei, weil sich nach ihrer Ansicht die Beschwerde des Betroffenen nur gegen seine Unterbringung richte. Selbst wenn deshalb die Erstbeschwerde des Betroffenen auch gegen den Beschluss zur Genehmigung der Zwangsbehandlung gerichtet gewesen sein sollte, hätte dies verfahrensrechtlich lediglich zur Folge, dass sein diesbezügliches und mit einem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG weiter zu verfolgendes Begehren noch vor dem Beschwerdegericht anhängig wäre.

III.

8Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die vom Beschwerdegericht im Wesentlichen bestätigte Genehmigung der Unterbringung richtet, ist sie begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

91. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, aufgrund der schizophrenen Erkrankung des Betroffenen bestehe die Gefahr, dass dieser sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge. Er zeige keinerlei Krankheitseinsicht und würde seine Medikation bei einer Entlassung nicht weiter einnehmen. Die Symptome seiner Erkrankung würden sich weiter verschlimmern und es würde zu einer massiven Eigengefährdung durch Fehlhandlungen und durch ein Fortschreiten der Chronifizierung kommen. Aus dem Sachverständigengutachten ergebe sich, dass ohne Fortführung der Behandlung das Auftreten massiver Krisen mit der Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schädigung in hohem Maße wahrscheinlich sei. Die Unterbringung für ein Jahr sei auch verhältnismäßig. Sie erscheine aufgrund der nachvollziehbaren Angaben im Sachverständigengutachten angemessen und erforderlich, um den Gesundheitszustand des Betroffenen zu stabilisieren. Weil auf den Zeitpunkt der Gutachtenerstattung abzustellen sei, könne die geschlossene Unterbringung des Betroffenen aber nur bis längstens zum genehmigt werden.

102. Dies hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

11a) Das Beschwerdegericht hat die materiellen Voraussetzungen für eine geschlossene Unterbringung des Betroffenen nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht ausreichend festgestellt. Nach dieser Vorschrift ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.

12aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats setzt die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zwar keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr für den Betreuten voraus. Notwendig ist allerdings eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben des Betreuten. Dies setzt kein zielgerichtetes Verhalten des Betreuten voraus, so dass beispielsweise auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist. Erforderlich sind aber objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens. Der Grad der Gefahr ist dabei in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 280/18 - FamRZ 2019, 552 Rn. 12 mwN und vom - XII ZB 342/16 - FamRZ 2017, 1422 Rn. 12 mwN).

13bb) Diese rechtlichen Ausgangspunkte hat das Beschwerdegericht zwar zutreffend erkannt. Seine tatrichterlichen Feststellungen vermögen eine geschlossene Unterbringung des Betroffenen nach diesen Maßstäben aber nicht zu rechtfertigen. Zwar leidet der Betroffene, wie das sachverständig beratene Beschwerdegericht festgestellt hat, an einer behandlungsbedürftigen hebephrenen Schizophrenie. Das Beschwerdegericht hat aber keine hinreichend konkreten Umstände für die Annahme aufgezeigt, dass der Betroffene sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen werde, wenn seine geschlossene Unterbringung unterbleibt. Anhaltspunkte für eine Suizidgefahr hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt und sie ergeben sich auch nicht aus dem Sachverständigengutachten. Soweit das Beschwerdegericht darauf abgestellt hat, dass die Chronifizierung der Erkrankung ohne die ärztliche Behandlung fortschreiten könnte, besagt das für sich genommen noch nichts über eine bestehende erhebliche Gesundheitsgefährdung, der nur mit einer Unterbringung begegnet werden könnte (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 342/16 - FamRZ 2017, 1422 Rn. 16). Den insoweit abstrakt und formelhaft bleibenden Ausführungen des Beschwerdegerichts zu den „Fehlhandlungen“ und „massiven Krisen“, die bei einem Unterbleiben der weiteren Behandlung für den Betroffenen zu erwarten wären, lassen sich ohne nähere Feststellungen zur konkreten Art der befürchteten selbstschädigenden Handlungen und den konkreten Auswirkungen eines krisenhaften Krankheitsschubs keine genügenden Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens entnehmen, der dem Betroffenen ohne die Unterbringung drohen könnte.

14b) Die Feststellungen des Beschwerdegerichts tragen auch eine Genehmigung der Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht.

15aa) Unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen für die Unterbringung eines Betreuten zur Durchführung einer Heilbehandlung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist eine Unterbringung nach dieser Vorschrift von vornherein nur dann genehmigungsfähig, wenn eine erfolgversprechende Heilbehandlung auch durchgeführt werden kann. Dies setzt entweder einen die Heilbehandlung deckenden entsprechenden natürlichen Willen des Betreuten oder die rechtlich zulässige Überwindung seines entgegenstehenden natürlichen Willens mittels ärztlicher Zwangsbehandlung voraus. Die Genehmigung einer Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist daher möglich, wenn zumindest nicht ausgeschlossen ist, dass sich der Betreute in der Unterbringung behandeln lassen wird, sein natürlicher Wille also nicht bereits der medizinisch notwendigen Behandlung entgegensteht, er aber (lediglich) die Notwendigkeit der Unterbringung nicht einsieht. Ist dagegen auszuschließen, dass der Betreute eine Behandlung ohne Zwang vornehmen lassen wird, ist die Genehmigung der Unterbringung zur Durchführung der Heilbehandlung nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nach § 1906 a Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegen und diese gemäß § 1906 a Abs. 2 BGB rechtswirksam genehmigt wird (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 398/17 - FamRZ 2018, 525 Rn. 20 f. mwN).

16bb) Gemessen daran kann eine geschlossene Unterbringung des Betroffenen auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht auf § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB gestützt werden.

17Auch wenn aus Sicht des Beschwerdegerichts der - von ihm für rechtskräftig erachtete - über die Genehmigung der Zwangsmedikation eine rechtlich tragfähige Grundlage für die Unterbringung zu einer gegen den natürlichen Willen des Betroffenen durchzuführenden Heilbehandlung bilden konnte, musste sich diese Beurteilung auf die Sechs-Wochen-Frist des § 329 Abs. 1 Satz 2 FamFG und damit auf den Zeitraum bis zum beschränken. Zwar ist eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch über die angeordnete Dauer einer Zwangsbehandlung hinaus möglich, wenn der Tatrichter davon ausgehen kann, dass die notwendige Heilbehandlung auch in der Folgezeit sichergestellt ist. Dies kann der Fall sein, wenn zu erwarten ist, dass sich der Betreute im Anschluss an die Zwangsbehandlung fortan freiwillig behandeln lässt oder eine weitere Zwangsbehandlung angeordnet werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 398/17 - FamRZ 2018, 525 Rn. 24). Hierzu hat das Beschwerdegericht jedoch bislang keine Feststellungen getroffen.

183. Die angegriffene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Sie ist gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Die Sache ist gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, das die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben wird. Daneben wird sich das Beschwerdegericht die Frage vorzulegen haben, ob das Schreiben des Betroffenen vom doch als Beschwerde gegen den Beschluss zur Zwangsmedikation ausgelegt werden kann. Der Hinweis der Rechtsbeschwerde darauf, dass der Betroffene nach Aktenlage die Einnahme von Medikamenten verweigert habe, die Durchführbarkeit einer antipsychotischen Medikation auch gegen den Willen des Betroffenen aber die notwendige Voraussetzung zumindest für eine auf § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB gestützte Unterbringung ist, kann dabei nicht von der Hand gewiesen werden.

19Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:301122BXIIZB257.22.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-32120