Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage - Geltendmachung von Rechtsbehelfen gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen
Gesetze: § 13 SGB 10, § 37 SGB 10, § 56a S 1 SGG, § 62 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 44a VwGO, BUK-NOG, GG
Instanzenzug: SG Freiburg (Breisgau) Az: S 3 R 3882/18 Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 8 R 257/21 Beschluss
Gründe
1I. Die Beteiligten streiten über die Beachtung einer an einen Rentenberater zur Vertretung im Verwaltungsverfahren erteilten Vollmacht.
2Die Klägerin bevollmächtigte "zur Vertretung bis auf Widerruf" (Vollmacht vom ) einen Rentenberater, der in verschiedenen Widerspruchsverfahren und auch in sozialgerichtlichen Verfahren für sie tätig wurde. Mit Bescheid vom erfolgte eine Neuberechnung ihrer Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung eines Hinzuverdienstes ab . Die Beklagte versandte den Bescheid an die Klägerin. Auf den Widerspruch des Rentenberaters übermittelte die Beklagte eine Eingangsbestätigung vom ebenfalls unmittelbar an die Klägerin.
3Am hat die Klägerin Unterlassungsklage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, unter Androhung eines Zwangsgeldes die vorgelegte Vollmacht "nicht weiterhin zu missachten". Es finde eine "systematische Vollmachtsmissachtung" statt. Das SG hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Es hat offengelassen, ob es bereits an der für eine Unterlassungsklage erforderlichen Wiederholungsgefahr fehlt. Jedenfalls könnten Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden (Urteil vom ). Das LSG hat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen. Ergänzend hat es ausgeführt, es bestehe auch keine Wiederholungsgefahr. Die Beklagte habe die Vollmacht bei nur untergeordneten Vorgängen ohne Rechtsnachteile für die Klägerin missachtet (Beschluss vom ).
4Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie macht als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und einen Verfahrensfehler geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG).
5II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die Beschwerdebegründung legt keinen Zulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dar. Auch einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) hat die Klägerin nicht hinreichend bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
61. Die Klägerin hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt.
7Eine Rechtssache hat nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§ 162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN; s auch Fichte in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 160a RdNr 32 ff).
9a) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin damit eine aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert. Die Bezeichnung einer solchen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (vgl - juris RdNr 5 mwN). Der Frage lässt sich zwar entnehmen, dass es der Klägerin um die Anwendbarkeit des § 56a Satz 1 SGG auf Unterlassungsklagen geht. Was sie aber unter "systematischer Nichtbeachtung der Vollmacht, die gemäß § 13 SGB X zu beachten ist" versteht, erschließt sich aus ihrer Frage jedoch nicht ohne Weiteres. Zur Rechtsstellung des Bevollmächtigten im Verwaltungsverfahren enthält § 13 Abs 1 bis 3 SGB X verschiedene Regelungen und differenziert insbesondere danach, ob der Bevollmächtigte im Verwaltungsverfahren Erklärungen abgibt oder entgegennimmt (vgl dazu im einzelnen Roller in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 13 RdNr 9 f). Dem Gesamtzusammenhang des Vortrags nach wendet sich die Klägerin dagegen, dass Verfahrenshandlungen nicht gegenüber ihrem Bevollmächtigten vorgenommen worden seien.
10b) Jedenfalls zeigt die Klägerin einen bestehenden (abstrakten) Klärungsbedarf nicht hinreichend auf. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich beantwortet hat, jedoch bereits Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; vgl - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; aus jüngerer Zeit - juris RdNr 9 mwN). Dazu führt die Klägerin ua aus, in der Sozialgerichtsbarkeit gebe es "selbstverständlich" zu § 56a SGG noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung und schon gar nicht im Zusammenhang mit "kollektiv, systematischen Vollmachtsmissachtungen". Das Rechtsgeschäft der Bevollmächtigung gehöre hinsichtlich seiner Beurteilung und Qualität nicht zum Aufgabenbereich der Sozialverwaltung. Auch zu § 44a VwGO habe ihre Rechtsprechungsrecherche kein Ergebnis erbracht.
11Die Vorschrift des § 56a SGG war bereits mehrfach Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Danach können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen grundsätzlich nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dieser zunächst nur für das verwaltungsgerichtliche Verfahren in § 44a VwGO ausdrücklich geregelte Grundsatz galt auch im sozialgerichtlichen Verfahren schon vor Inkrafttreten des § 56a SGG (vgl - BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2, RdNr 27). Die durch Gesetz vom (BGBl I 3836) eingefügte Regelung dient der Vereinfachung und der Beschleunigung des sozialgerichtlichen Verfahrens und soll verhindern, dass durch Rechtsbehelfe gegen Verfahrenshandlungen die Sachentscheidung der Behörde verzögert wird (vgl - SozR 4-2500 § 35a Nr 6 RdNr 48 unter Hinweis auf BT-Drucks 17/12297 S 39). Das BVerwG hat vor diesem Hintergrund ausdrücklich entschieden, dass auch Verpflichtungs-, Feststellungs- und Leistungsklagen zu den ausgeschlossenen Rechtsbehelfen zählen (stRspr; vgl 9 A 20.01 - BVerwGE 115, 373 - RdNr 54 mwN; vgl auch W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl 2021, § 44a RdNr 4: "allg Leistungs- und Unterlassungsklagen"). Die Klägerin nimmt auf keine dieser Entscheidungen Bezug und legt deshalb auch nicht dar, ob oder inwieweit dadurch ihre Frage noch nicht beantwortet worden ist. Soweit sie zur Begründung der Klärungsbedürftigkeit auch auf ein (entgegen ihrer Angabe) nicht beigefügtes und auch nicht näher bezeichnetes Urteil des LSG Baden-Württemberg verweist und daraus zitiert "Ausführungen zu § 56a SGG enthält der Anerkenntnis-Gerichtsbescheid nicht", ist dieses Vorbringen schlicht unverständlich.
12Soweit die Klägerin "desweiteren und darüber hinaus" geltend macht, im allgemeinen Verwaltungsrecht werde bei Anwendung der VwGO die Sache anders betrachtet, zumindest was die Frage der Bevollmächtigung angehe, "wenn es um die Zurückweisung von Bevollmächtigten" gehe, legt die Klägerin schon nicht den Bezug zum vorliegenden Verfahren dar. Vielmehr trägt sie selbst an anderer Stelle in ihrer Beschwerdebegründung vor, dass ihr Rentenberater nicht nach § 13 Abs 5 SGB X zurückgewiesen wurde.
13Mit ihrem Vortrag, es bestünden zudem massive verfassungsrechtliche Zweifel an § 44a VwGO und § 56a SGG, zeigt die Klägerin ebenfalls keine klärungsbedürftige Rechtsfrage hinreichend auf. Sie benennt zwar Verstöße gegen Art 19 Abs 4 GG und Art 2 Abs 1 GG. Eine mögliche Verletzung von Verfassungsrecht wird aber nicht weiter begründet. Dazu wäre unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung - insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG - im Einzelnen aufzuzeigen gewesen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Dazu müssen der Bedeutungsgehalt der infrage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verfassungsverletzung dargelegt werden. Die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit und die Nennung der als verletzt angesehenen Normen des GG genügt nicht (vgl - juris RdNr 7 mwN).
14c) Schließlich legt die Klägerin auch die (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der von ihr aufgeworfenen Rechtsfrage nicht dar. Eine solche ist gegeben, wenn das Revisionsgericht nach und aufgrund der Zulassung der Revision in der Lage ist, über die klärungsbedürftige Rechtsfrage auch sachlich entscheiden zu können. Zur Darlegung der Klärungsfähigkeit ist daher darzutun, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfene Frage entscheiden müsste (vgl zuletzt - juris RdNr 8 mwN).
15Die Klägerin führt dazu lediglich aus, das Revisionsgericht sei an einer Entscheidung prozessrechtlich nicht gehindert. Betroffen sei "genau die Rechtsfrage" zur Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs. Weitere Ausführungen wären aber zur Begründung dafür erforderlich gewesen, dass die Klage nicht auch aus anderen Gründen unzulässig ist. Die Klägerin hat eine Unterlassungsklage erhoben, die ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse voraussetzt. Dafür muss eine Wiederholungsgefahr gegeben sein (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 54 RdNr 42a mwN). Die Klägerin hat dazu lediglich vorgebracht, es handele sich um eine "systematische Vollmachtsmissachtung", und geltend gemacht, es seien "in 2 Jahren 36 Fälle aufgelaufen". Dabei geht es jedoch um Fälle des von der Klägerin in den Vorinstanzen bevollmächtigten Rentenberaters. Ein Rechtsschutzinteresse der Klägerin selbst lässt sich daraus nicht entnehmen. Dieses ergibt sich auch nicht aus einem besonderen "Schutzinteresse" bei rentenrechtlichen Fragestellungen.
16Soweit es der Klägerin um von ihr befürchtete Bekanntgaben von weiteren Verwaltungsakten an sie selbst anstelle an den von ihr bevollmächtigten Rentenberater geht, hätte sie sich auch mit den sich daraus ergebenden Rechtsfolgen und dabei insbesondere auch mit der Sonderregelung des § 37 Abs 1 Satz 2 SGB X befassen müssen (vgl dazu Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 37 RdNr 24).
172. Die Klägerin hat schließlich auch einen Verfahrensfehler nicht hinreichend bezeichnet.
18Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich, darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
19Die Beschwerdebegründung der Klägerin wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Sie rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) und führt zur Begründung aus, das LSG habe entgegen ihres Sachvortrags behauptet, es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte die Vollmacht weiterhin missachten werde. Das LSG habe sich nicht mit ihrem Vorbringen auseinandergesetzt. Der tatsächliche Sachverhalt bestätige das konkrete Gegenteil.
20Aus diesem Vorbringen ergibt sich kein schlüssiger Vortrag einer Gehörsverletzung. Zwar ver-pflichtet der Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Verfahrensgrundrecht schützt aber nicht davor, dass Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt bleibt. Ebenso wenig bietet es Schutz davor, dass das Gericht die Ansicht eines Beteiligten nicht teilt (vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 1890/15 - SozR 4-1100 Art 103 Nr 4 RdNr 14 mwN; BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 1283/13 - juris RdNr 9). Die Rüge der Klägerin zielt im Kern darauf, das LSG hätte ihrem Vorbringen zum Bestehen einer Wiederholungsgefahr folgen müssen. Das ist aber gerade nicht Inhalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 2 BvR 1673/19 - juris RdNr 6 mwN; s auch - SozR 4-2500 § 130b Nr 2 RdNr 48).
21Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
223. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.Düring Gasser Körner
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2022:300622BB5R1522B0
Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 392 Nr. 6
EAAAJ-31541