BGH Urteil v. - VII ZR 292/21

Instanzenzug: Az: 17 U 6060/20vorgehend LG Traunstein Az: 3 O 3725/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.

2Er erwarb im Juli 2010 von einem Autohändler ein Fahrzeug Audi A3 Ambition Sportback 2.0 TDI als Neuwagen zum Preis von 35.380 €. In dem Fahrzeug ist ein Motor des Typs EA 189 verbaut, der von der Beklagten entwickelt und hergestellt wurde. Die in den Motor eingebaute Software erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte oder im üblichen Straßenverkehr befindet, und spielt auf dem Prüfstand ein anderes Motorprogramm ab als im Normalbetrieb. Hierdurch werden auf dem Prüfstand geringere Stickoxidwerte erzielt.

3Mit einer Pressemitteilung sowie einer Ad-hoc-Mitteilung vom informierte die Beklagte die Öffentlichkeit über den Umstand, dass bei Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA 189 auffällige Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden seien. In der Folgezeit wurde die Thematik des sogenannten Abgasskandals breit diskutiert und in Presse, Funk und Fernsehen darüber berichtet, insbesondere auch über die Betroffenheit einzelner Fahrzeugmodelle der unterschiedlichen Marken des VW-Konzerns. Am schaltete die Beklagte eine Webseite zur Ermittlung der individuellen Betroffenheit frei, auf der man durch Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer überprüfen konnte, ob ein konkretes Fahrzeug von der Manipulation betroffen ist. Hierüber informierte die Beklagte mittels einer Pressemitteilung und veröffentlichte den Link auf ihrer Internetpräsenz. Die Webseite wurde zudem in den Medien bekannt gemacht. Auch die Tochterunternehmen des VW-Konzerns wie die AUDI AG entwickelten entsprechende Webseiten und veröffentlichten entsprechende Pressemitteilungen. Mit Bescheid vom ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt den Rückruf und eine entsprechende Nachrüstung der betroffenen Fahrzeuge an, worüber die Beklagte in einer weiteren Pressemitteilung berichtete. Mit Schreiben vom Februar 2016 informierte die AUDI AG den Kläger darüber, dass auch in seinem Fahrzeug eine entsprechende Software verbaut sei. Im Dezember 2017 wurde ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update am klägerischen Fahrzeug aufgespielt.

4Der Kläger behauptet, er habe im Jahr 2015 noch keine Kenntnis gehabt, dass sein Fahrzeug vom sogenannten Abgasskandal betroffen sei, und hiervon erst im Zuge der Rückrufaktion durch das Schreiben der AUDI AG vom Februar 2016 erfahren.

5Mit seiner am eingegangenen und am zugestellten Klage hat der Kläger die Erstattung des Kaufpreises nebst Zahlung von Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten verlangt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

6Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter.

Gründe

7Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

8Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - ausgeführt, etwaige Ansprüche des Klägers seien Ende 2018 verjährt. Der Kläger hätte spätestens Ende 2015 ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen erlangen müssen, denn er habe bereits 2015 Kenntnis vom Dieselskandal allgemein sowie von dem Umstand gehabt, dass VW und AUDI zum selben Konzern gehörten. Die Betroffenheit seines Dieselfahrzeugs hätte der Kläger bereits im Herbst 2015 unschwer feststellen können. Sollte er dies unterlassen haben, habe er die im eigenen Interesse gebotene Sorgfalt in besonderem Maße außer Acht gelassen. Schließlich sei dem Kläger die Klageerhebung im Jahr 2015 auch bereits zumutbar gewesen.

II.

9Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

10Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden. Rechtsfehlerhaft ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass den Ansprüchen des Klägers die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede entgegensteht. Hierbei ist mangels entgegenstehender Feststellungen des Berufungsgerichts revisionsrechtlich zugunsten des Klägers zu unterstellen, dass die im Januar 2020 erfolgte Zustellung der im Dezember 2019 bei Gericht eingereichten Klage demnächst im Sinne von § 167 ZPO erfolgt ist.

111. Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist für den deliktischen Schadensersatzanspruch drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Hierzu genügt es in Fällen der vorliegenden Art, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (vgl. Rn. 17 m.w.N., NJW 2022, 1311).

122. Eine - auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen allein in Betracht kommende und gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB der positiven Kenntnis gleichstehende - grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs im Zeitraum bis Ende 2015 ist zu verneinen.

13a) Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder dasjenige nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können ( Rn. 23 m.w.N., MDR 2022, 558).

14Den Geschädigten trifft dabei im Allgemeinen weder eine Informationspflicht noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Inwieweit der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Unterlassen einer solchen Ermittlung ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein, so dass er aus verständiger Sicht gehalten ist, die Voraussetzungen des Anspruchs aufzuklären, soweit sie ihm nicht ohnehin bekannt sind ( Rn. 25 m.w.N., MDR 2022, 558).

15b) Nach diesen Maßstäben war der Kläger nicht bereits im Jahr 2015 zur Vermeidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit gehalten zu ermitteln, ob sein Fahrzeug vom sogenannten Dieselskandal betroffen war.

16Selbst wenn es dem Kläger, wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist, noch in dem verbleibenden - kurzen - Zeitraum seit Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals und der Freischaltung der Online-Plattform im Oktober 2015 bis zum Jahresende möglich gewesen sein sollte, die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs zu ermitteln, liegt darin, dass der Kläger in dem genannten Zeitraum hiervon keinen Gebrauch machte, kein schwerwiegender Obliegenheitsverstoß in eigenen Angelegenheiten. Mit Rücksicht darauf, dass der VW-Konzern seit September 2015 mit zahlreichen Informationen an die Öffentlichkeit getreten war und auch weitere Erklärungen angekündigt hatte, war ein Zuwarten des Klägers zumindest bis zum Ende des Jahres 2015 nicht schlechterdings unverständlich (vgl. Rn. 27, MDR 2022, 558).

III.

17Das angefochtene Urteil war daher nach § 562 ZPO aufzuheben und die Sache gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen Die Sache ist nicht zur Entscheidung reif, weil das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus konsequent - keine abschließenden Feststellungen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der vom Kläger verfolgten Ansprüche getroffen hat.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:151222UVIIZR292.21.1

Fundstelle(n):
WAAAJ-31386