BGH Urteil v. - VIa ZR 267/22

Instanzenzug: Az: I-13 U 130/21vorgehend LG Paderborn Az: 3 O 421/20

Tatbestand

1Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug.

2Im September 2014 kaufte die Klägerin von der Beklagten ein neues, von der Beklagten hergestelltes und mit einem ebenfalls von ihr hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgerüstetes Fahrzeug für 30.443,50 €. Die zur Motorsteuerung eingesetzte Software sah eine Umschaltlogik vor, die später vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) beanstandet wurde. Die Klägerin ließ die Software einem vom KBA freigegebenen Update unterziehen und die Beklagte durch ein anwaltliches Schreiben erfolglos auffordern, ihr den Kaufpreis nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu erstatten.

3Das Landgericht hat die auf Zahlung und Feststellung gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das angefochtene Urteil teilweise abgeändert und unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen die Beklagte zur Zahlung von 23.624,16 € (Kaufpreises abzüglich des Wertes der gezogenen Nutzungen in Höhe von 6.819,34 €) nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs verurteilt. Ferner hat es den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt und die Beklagte zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen verurteilt.

4Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie ihr Begehren auf vollständige Zurückweisung der Berufung der Klägerin weiterverfolgt.

Gründe

5Die gemäß § 542 Abs. 1, § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vollumfänglich (vgl. dazu VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 16 ff.) statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision der Beklagten hat in der Sache nur zu einem geringen Teil Erfolg.

6I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, wie folgt begründet:

7Der Klägerin stehe zwar ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB zu. Dieser Anspruch sei aber verjährt und nicht durchsetzbar. Der Lauf der Verjährungsfrist habe mit Ablauf des Jahres 2015 begonnen, weil die Klägerin schon im Jahr 2015 nicht nur vom "Dieselskandal" im Allgemeinen, sondern auch von der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs Kenntnis gehabt habe. Der Klägerin sei eine Klageerhebung im Jahr 2015 zumutbar gewesen. Daher sei mit Ablauf des Jahres 2018 Verjährung eingetreten, die die Zustellung der Klage am nicht mehr habe hemmen können.

8Allerdings stehe der Klägerin ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB zu. Diese Vorschrift sei auch in den Fällen des sogenannten "Dieselskandals" anwendbar. Die Klägerin könne Erstattung des wegen des Direktkaufs von der Beklagten vollständig vereinnahmten Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verlangen. Ein Abzug wegen einer Händlermarge sei nicht vorzunehmen. Die Beklagte habe in der vorliegenden Konstellation eines Kaufs direkt bei ihr ohne Einschaltung eines Vertragshändlers den vollen Kaufpreis in Höhe von 30.443,50 € erlangt, ohne der Klägerin weitere Abzugsposten entgegenhalten zu können. Allerdings sei der aus § 852 Satz 1 BGB folgende Anspruch der Höhe nach durch die Höhe des nach §§ 826, 31 BGB geschuldeten und der Vorteilsausgleichung im Umfang der Nutzungsvorteile im Wert von 6.819,34 € unterworfenen Schadensersatzes begrenzt. Der Annahmeverzug der Beklagten sei festzustellen. Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten könne die Klägerin gemäß §§ 826, 249 BGB verlangen.

9II. Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

101. Zutreffend und von der Revision nicht angegriffen hat das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß §§ 826, 31 BGB zwar bejaht, aber aufgrund der ausdrücklich getroffenen Feststellung einer Kenntnis der Klägerin von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs schon im Jahr 2015 mit Rücksicht auf die Verjährung des Anspruchs dessen Durchsetzbarkeit mit Ablauf des Jahres 2018 verneint.

112. Aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht weiter bei der Prüfung eines Anspruchs aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB davon ausgegangen, da die Beklagte das Fahrzeug selbst an die Klägerin verkauft habe, habe sie nach Erfüllung ihrer Forderung aus Kaufvertrag das von der Klägerin geleistete Entgelt nach § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB in voller Höhe erlangt ( VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 52 ff.; Urteil vom - VII ZR 422/21, WM 2022, 1743 Rn. 35). Soweit sich die Revision gegen die Feststellung des Berufungsgerichts wendet, die Klägerin habe das Fahrzeug direkt von der Beklagten gekauft, kann ihr die von ihr insoweit erhobene Verfahrensrüge mit Rücksicht auf §§ 314, 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht zum Erfolg verhelfen.

12Das Berufungsgericht hat mit Tatbestandswirkung im ersten Absatz der Urteilsgründe des Berufungsurteils als unstreitig festgestellt, die Klägerin habe das Fahrzeug "direkt bei der Beklagten" bestellt. Daran anknüpfend hat es bei der Subsumtion unter § 852 BGB ausdrücklich angeführt, die Beklagte habe "den vollen Kaufpreis" erlangt, es sei "aufgrund des durch die Beklagte in sittenwidriger Weise herbeigeführten Kaufvertragsabschlusses zu einer Vermögensverschiebung durch die (unmittelbare) Zahlung des Kaufpreises an die Beklagte gekommen, den diese vollständig vereinnahmt" habe.

13Die Bindungswirkung dieser tatbestandlichen Feststellungen entfällt nicht deshalb, weil das Berufungsgericht im zweiten Absatz der Urteilsgründe wegen des Sach- und Streitstands auf die angefochtene Entscheidung und damit auf die Feststellung des Landgerichts Bezug genommen hat, die Klägerin habe "das Kraftfahrzeug als Neuwagen vom Vertragshändler erworben, der es zuvor bei der Beklagten gekauft" habe, und weiter ausgeführt hat, Änderungen hätten sich in zweiter Instanz lediglich insoweit ergeben, "als der Kilometerstand des Fahrzeugs nunmehr 67.200 km" betrage. Zwar ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass dem Tatbestand keine Beweiskraft zukommt, wenn und soweit er aufgrund konkreter Bezugnahmen aus dem Urteil selbst folgende Widersprüche, Lücken oder Unklarheiten aufweist (vgl. , VersR 2015, 1165 Rn. 48; Urteil vom - IV ZR 19/19, NJW-RR 2021, 32 Rn. 16). Hier ergibt der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe allerdings eindeutig, dass das Berufungsgericht bei der Frage, wer Vertragspartner der Klägerin geworden sei, wie auch bei der gegenüber den Feststellungen des Landgerichts der Beklagten günstigeren Bemessung der Höhe des Kaufpreises einen anderen Sachverhalt als das Landgericht als unstreitig feststellen wollte. Der von der Beklagten behauptete Widerspruch besteht daher nicht.

14Die widerspruchsfreie Feststellung, es sei unstreitig, dass die Klägerin das Fahrzeug bei der Beklagten direkt gekauft habe, hat die Beklagte nicht zum Gegenstand eines Tatbestandsberichtigungsantrags gemacht. Mit einer Verfahrensrüge kann der von der Revision behauptete Fehler bei der Wiedergabe des Parteivorbringens dann nicht gerügt werden (vgl. , NJW-RR 2016, 1187 Rn. 24; Beschluss vom - XI ZB 34/19, juris Rn. 81 mwN).

153. Einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand hält im Ergebnis auch die Berechnung des Umfangs des der Klägerin nach §§ 826, 852 Satz 1 BGB wegen ihres Vertragsabschlussschadens zustehenden Restschadensersatzanspruchs. Das Berufungsgericht hat für die Bemessung des Anspruchs aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB letztlich die Höhe des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB als maßgeblich erachtet. Das trifft im konkreten Fall zu, weil bei einem Direktverkauf durch den Schädiger die Höhe des Vertragsabschlussschadens nach §§ 826, 31 BGB dem vom Schädiger Erlangten nach § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB entspricht. Eine vom Schädiger als Direktverkäufer an den Händler etwa gezahlte Vertriebsprovision wäre nicht in Abzug zu bringen. Insoweit handelte es sich um Aufwand des Schädigers, der nur als Entreicherung berücksichtigt werden könnte, auf die sich die Beklagte nach § 818 Abs. 4, § 819 BGB nicht berufen kann ( VIa ZR 138/22, juris Rn. 9 mwN).

164. Das Berufungsgericht hat lediglich verkannt, dass die Klägerin, was der Senat nach Erlass des Berufungsurteils näher ausgeführt hat, von der Beklagten aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB nicht Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen verlangen kann ( VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 21).

17III. Nur soweit das Berufungsgericht dem Berufungsantrag zu 4 auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten teilweise entsprochen hat, unterliegt das Berufungsurteil mithin der Aufhebung (§ 562 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzugs gemäß § 280 Abs. 1 und 2, § 286 Abs. 1 BGB sind nicht erfüllt (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 78; Urteil vom - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 22). Da die Klägerin mithin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt beanspruchen kann, kann der Senat insoweit in der Sache selbst erkennen und auf die Revision der Beklagten die Berufung der Klägerin in diesem Punkt zurückweisen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im Übrigen ist die überwiegend unbegründete Revision zurückzuweisen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:121222UVIAZR267.22.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-31234