Strafsache: Erfordernis der substantiellen Förderung des Verfahrens im Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung
Leitsatz
Auch wenn in einem Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung Verfahrensvorgänge stattfinden, die als Sachverhandlung anzusehen sind, verstößt es gegen § 229 StPO, wenn aus dem gesamten Verfahrensgang erkennbar wird, dass das Gericht mit der Verhandlung nicht die substantielle Förderung des Verfahrens bezweckt, sondern allein die Wahrung der Unterbrechungsfrist im Auge hat.
Gesetze: § 229 StPO
Instanzenzug: LG Ansbach Az: KLs 1112 Js 5131/16
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und sechs Monate der Gesamtfreiheitsstrafe wegen überlanger Verfahrensdauer für vollstreckt erklärt; außerdem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Rüge einer Verletzung des § 229 StPO Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), so dass es eines Eingehens auf die anderen Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge nicht bedarf.
21. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
3Mit Anklageschrift vom legte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten 204 Taten des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt sowie 88 Betrugstaten zur Last. Ihm wurde vorgeworfen, dadurch insgesamt Schäden in Höhe von etwa 435.000 Euro verursacht zu haben. Als Beweismittel waren in der Anklageschrift neben Urkunden 16 Zeugen benannt; dabei handelte es sich um elf Arbeitnehmer des Angeklagten, zwei Ermittlungsbeamte und drei Vertreter der betroffenen (Sozial-)Versicherungsträger.
4Die Hauptverhandlung begann am , Fortsetzungstermine waren auf den 15., 19., 23. und anberaumt. Das Beweisprogramm des Landgerichts wurde an diesen Tagen abgearbeitet. Die Hauptverhandlung verlängerte sich aufgrund von Beweisanträgen, welche die Verteidigung am 3., 19. und anbrachte, und durch erneute Vernehmung von sieben Zeugen.
5In der Sitzung vom (9. Verhandlungstag) stellte die Verteidigung weitere Beweisanträge. Sie beantragte unter anderem, ein Sachverständigengutachten einzuholen zum Beweis der Tatsache, dass die dem Angeklagten zur Last gelegten Schwarzlohnzahlungen durch seinen Betrieb nicht erwirtschaftet werden konnten. Auf diesen Antrag ließ das Landgericht außerhalb der Hauptverhandlung die Buchhaltung des Angeklagten nach seinen Vorgaben aufarbeiten und von der Deutschen Rentenversicherung Bund (im Folgenden: Deutsche Rentenversicherung) nach und nach drei von einer der Anklageschrift zugrunde liegenden Schadensberechnung abweichende „alternative“ Schadensberechnungen erstellen. Dadurch verzögerte sich das Verfahren erheblich. Die dritte alternative Schadensberechnung datierte vom . Im Termin vom (62. Verhandlungstag) lehnte das Landgericht den am gestellten Beweisantrag mit der Begründung ab, dass es aufgrund dieser Schadensberechnung über ausreichende eigene Sachkunde zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten hinsichtlich der mutmaßlich vorenthaltenen Arbeitsentgelte verfüge.
6Der Verfahrensgang gestaltete sich diesbezüglich wie folgt:
7Mit Verfügung vom begann das Landgericht damit, Jahresabschlüsse des von dem Angeklagten betriebenen Unternehmens sowie ihn betreffende Einkommensteuerbescheide zum Bestandteil der Akten zu machen. Im Termin vom erkundigte sich der Vorsitzende nach den Buchhaltungsunterlagen des Unternehmens, woraufhin der Verteidiger erklärte, dass diese vollständig vom Zoll beschlagnahmt worden seien. Im Termin vom ersuchte der Vorsitzende die Staatsanwaltschaft unter anderem darum, die den Tatzeitraum betreffende Buchhaltung des Angeklagten als Beweismittel zu erschließen. Die Staatsanwaltschaft leitete die entsprechende Verfügung des Vorsitzenden am selben Tag zu weiteren Ermittlungen an das Hauptzollamt weiter.
8Gegenstand der Hauptverhandlung in den Jahren 2018, 2019 und 2020 war im Wesentlichen die Erörterung des Verfahrensstandes in Bezug auf die am veranlassten weiteren Ermittlungen des Hauptzollamts. Häufig wurden Verfügungen des Vorsitzenden verlesen, die sich an die Staatsanwaltschaft richteten und Ermittlungsaufträge enthielten. Das Landgericht machte regelmäßig von der Möglichkeit Gebrauch, die Hauptverhandlung gemäß § 229 Abs. 1 und 2 StPO bis zu drei Wochen bzw. einem Monat zu unterbrechen. Infolgedessen fand diese im Jahr 2018 lediglich an 19 Tagen, im Jahr 2019 an 17 Tagen und im Jahr 2020 an 16 Tagen statt, wobei zumeist nur wenige Minuten lang verhandelt wurde. Insgesamt belief sich die Dauer der Hauptverhandlung im Jahr 2018 auf siebeneinhalb, im Jahr 2019 auf fünfeinhalb und im Jahr 2020 auf sechseinhalb Stunden.
9So begann etwa der auf den folgende 22. Sitzungstag am , der von 10:40 Uhr bis 11 Uhr dauerte, damit, dass der Vorsitzende den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft fragte, ob weitere Unterlagen eingegangen seien. Dieser erklärte, dass das Hauptzollamt per E-Mail vom einen Eingang der Unterlagen bis zum Ende der Woche in Aussicht gestellt habe, und reichte die E-Mail zu den Akten. Daraufhin ersuchte der Vorsitzende die Staatsanwaltschaft, bei der Deutschen Rentenversicherung – anknüpfend an deren der Anklage zugrunde liegenden Schadensberechnung vom – Alternativberechnungen einzuholen. Im Anschluss daran wurden weitere Termine abgestimmt und die Hauptverhandlung unterbrochen.
10Die am angeforderte alternative Schadensberechnung der Deutschen Rentenversicherung ging am bei der Staatsanwaltschaft ein. Dies gab der Vorsitzende im Termin vom (23. Sitzungstag) bekannt. Außerdem teilte er mit, dass die Unterlagen noch gesichtet werden müssten. Im Termin vom (24. Sitzungstag) wurde hinsichtlich der ersten alternativen Schadensberechnung das Selbstleseverfahren angeordnet. Zudem gab der Vorsitzende bekannt, dass neue Leitzordner mit der Beschriftung „Buchhaltung“ eingegangen seien, die indes einer weiteren Klärung bedürften. Der Verteidiger des Angeklagten wies darauf hin, dass sich die Buchhaltung 2012 beim Zoll befinde, woraufhin der Berichterstatter ausdrücklich nach Buchungssätzen fragte, die bereits mit einem Antrag der Verteidigung vom mitgeteilt worden waren. Schließlich gab der Vorsitzende dem Angeklagten auf, die Buchungssätze zu der vorliegenden Buchhaltung 2007 bis 2016 vorzulegen und mitzuteilen, ob sich diese Unterlagen gegebenenfalls an anderer Stelle befänden, beispielsweise beim Steuerberater.
11Im Termin vom (25. Sitzungstag) erkundigte sich der Vorsitzende bei der Verteidigung nach den Buchhaltungsunterlagen, deren Vorlage dem Angeklagten auferlegt worden war. Der Verteidiger erklärte dazu, dass die betreffenden Unterlagen nach Einschätzung des Angeklagten komplett beschlagnahmt worden seien. Daraufhin beschloss das Landgericht, die Geschäftsräume des Steuerberaters des Angeklagten nach Buchhaltungsunterlagen von dessen Unternehmen für die Jahre 2007 bis 2016 durchsuchen und diese gegebenenfalls beschlagnahmen zu lassen.
12Mit Schreiben vom wies das Hauptzollamt die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass die Jahresabschlüsse der Jahre 2007 bis 2015 am dem Landgericht und die den Jahresabschlüssen für die Jahre 2007 bis 2016 zugrundeliegende Buchhaltung am der Staatsanwaltschaft übergeben worden seien. Es wies ferner darauf hin, dass dem Sicherungsstellungsverzeichnis der Ermittlungsakten zu entnehmen sei, dass die Finanzbuchhaltung der Jahre 2007 bis Mai 2016 am sichergestellt worden sei. Das Schreiben des Hauptzollamts vom ging am beim Landgericht ein.
13Im Termin vom (26. Sitzungstag) teilte der Vorsitzende mit, dass eine neue CD von der Staatsanwaltschaft übergeben worden sei, die noch gesichtet werden müsse. Ferner gab er bekannt, dass sich die Buchhaltungsunterlagen, auf die sich der Durchsuchungsbeschluss vom bezogen habe, bereits bei den Akten befänden und dass der Verteidiger des Angeklagten mit Schriftsatz vom Buchungssätze vorgelegt habe, wie sie auch das Gericht benötige. Auf die an den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft gerichtete Frage, ob auch solche Unterlagen vorlägen, antwortete dieser, dass er dies nicht wisse, sich derartige Buchungssätze aber vielleicht auf der neuen CD befänden.
14Zu Beginn des Termins vom (27. Sitzungstag), der von 13:09 Uhr bis 13:15 Uhr dauerte, gab der Vorsitzende bekannt, dass die Strafkammer die den Jahresabschlüssen 2007 bis 2015 zugrunde liegenden, bei den Akten befindlichen Buchungssätze – wie bereits im Termin vom angesprochen – „in beweismittelfähiger Form“ aufbereitet benötige. Er gab eine entsprechende Verfügung vom selben Tag bekannt, wovon der Verteidiger und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft jeweils eine Ablichtung erhielten. Sodann wurde die Hauptverhandlung unterbrochen.
15Die aufbereiteten Unterlagen (drei Leitzordner) übergab eine Mitarbeiterin des Hauptzollamts dem Landgericht am . Davon setzte der Vorsitzende die Verfahrensbeteiligten im Termin vom (28. Sitzungstag) in Kenntnis; er wies zugleich darauf hin, dass die übergegebenen Akten noch nicht hätten gesichtet werden können.
16Im Termin vom (29. Sitzungstag) gab der Vorsitzende bekannt, dass die am übergebenen Unterlagen nicht in der Form vorlägen, in der die Strafkammer sie benötige; er verkündete eine Verfügung, mit der die Staatsanwaltschaft ersucht wurde, die Unterlagen entsprechend aufzuarbeiten.
17Am setzte das Hauptzollamt die Staatsanwaltschaft davon in Kenntnis, dass mit dem Berichterstatter der Strafkammer über die Aufarbeitung der Buchungsunterlagen gesprochen worden sei. Dieser habe verfügt, dass die mittlerweile aufbereiteten Unterlagen direkt an das Landgericht übersandt werden sollten; außerdem sei vereinbart worden, „diverse Unterlagen“, die zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unternehmens des Angeklagten dienlich sein könnten, dem Landgericht über die Staatsanwaltschaft zukommen zu lassen. Die aufbereiteten Buchungsunterlagen wurden am zu den Akten genommen. Ein entsprechender Vermerk des Berichterstatters wurde im Termin vom (33. Sitzungstag) bekannt gemacht.
18Unter dem ersuchte der Vorsitzende das Hauptzollamt, die Buchungssätze nochmals nach weiteren Vorgaben zu überarbeiten. Die Verfahrensbeteiligten wurden im Termin vom (35. Sitzungstag) davon in Kenntnis gesetzt, verbunden mit dem Hinweis, dass bei der Durchsicht der Unterlagen diverse Unstimmigkeiten festgestellt worden seien, weshalb das Hauptzollamt zur Nachbesserung aufgefordert worden sei. Die entsprechenden „Nachbesserungen“ übersandte das Hauptzollamt dem Landgericht unter dem . Dies teilte der Vorsitzende den Verfahrensbeteiligten im Termin vom (36. Sitzungstag) mit. Außerdem setzte er sie davon in Kenntnis, dass das Hauptzollamt nicht nur die beanstandeten Punkte ausgebessert, sondern drei Leitzordner Buchungsunterlagen vorgelegt habe, die nun vom Gericht im Hinblick darauf überprüft werden müssten, dass das Hauptzollamt mitgeteilt habe, bezüglich bestimmter Punkte keinen Fehler gefunden zu haben. Im Termin vom (37. Sitzungstag) gab der Vorsitzende bekannt, dass bei der Auswertung der Leitzordner kleine Unstimmigkeiten festgestellt worden seien, weshalb das Hauptzollamt zu einer entsprechenden Nachbesserung aufgefordert worden sei. Nachdem das Hauptzollamt die nachgebesserten Unterlagen mit Schreiben vom dem Landgericht übermittelt hatte, ordnete der Vorsitzende mit Verfügung vom eine weitere Nachbesserung an. Diese übersandte das Hauptzollamt am , ebenso wie eine daraufhin angeordnete weitere korrigierte Ausarbeitung. In der Folgezeit führte das Hauptzollamt auf Ersuchen des Landgerichts Nachermittlungen betreffend die Lohnabrechnungen der Arbeitnehmer und weiterer Buchhaltungsunterlagen des Angeklagten durch.
19Am (47. Sitzungstag) ordnete der Vorsitzende – erneut – das Selbstleseverfahren hinsichtlich der ersten alternativen Schadensberechnung der Deutschen Rentenversicherung an. Am (49. Sitzungstag) teilte er mit, dass bezüglich der Berechnungen der Rentenversicherung noch mögliche Nachermittlungen zu veranlassen seien.
20Im Termin vom (54. Sitzungstag), der von 13:08 Uhr bis 14:10 Uhr dauerte, wurden ein Schreiben des Finanzamts Ansbach vom und ein damit übersandter Betriebsprüfungsbericht für das Jahr 2007 verlesen. Danach wurde die Hauptverhandlung unterbrochen.
21Mit Verfügung vom ersuchte der Vorsitzende die Staatsanwaltschaft, bei dem Unternehmen, das die Lohnabrechnung für den Geschäftsbetrieb des Angeklagten erledigte, ein Verzeichnis der Abkürzungen einzuholen, die es in den Lohnbescheinigungen verwandt hatte; zugleich ersuchte der Vorsitzende die Staatsanwaltschaft, bei der Deutschen Rentenversicherung anknüpfend an deren Schadensberechnung vom und deren alternative Schadensberechnung aus April 2018 auf der Grundlage zahlreicher Änderungen eine zweite alternative Schadensberechnung einzuholen. Im Termin vom (55. Sitzungstag), der um 13:10 Uhr begann, gab der Vorsitzende die Verfügung vom bekannt. Er teilte mit, dass bislang nur das Abkürzungsverzeichnis bei Gericht eingegangen sei, das sodann verlesen wurde. Anschließend wurden mögliche weitere Termine erörtert und die Hauptverhandlung um 13:21 Uhr unterbrochen.
22Der Termin vom (56. Sitzungstag) begann um 13 Uhr. Der Vorsitzende stellte fest, dass die erbetenen Rentenversicherungsunterlagen noch nicht angekommen seien. Anschließend wurden ein Schreiben des Hauptzollamts Nürnberg vom und ein Schreiben der Deutschen Rentenversicherung vom nebst Anlagen verlesen. Danach wurde die Hauptverhandlung um 13:47 Uhr unterbrochen.
23Die zweite alternative Schadensberechnung der Deutschen Rentenversicherung ging am beim Landgericht ein. Ihr lagen die aufbereitete Buchhaltung und die Ergebnisse der vom Landgericht veranlassten Nachermittlungen zugrunde. Im Termin vom (57. Sitzungstag), der um 14 Uhr begann, gab der Vorsitzende zunächst den Eingang der zweiten alternativen Schadensberechnung bekannt. Anschließend wurden aus einem mit Schreiben der Deutschen Rentenversicherung vom übersandten Gesamtkontenspiegel vom für einen der in Rede stehenden Arbeitnehmer des Angeklagten die Versicherungszeiten ab dem verlesen. Danach wurde die Hauptverhandlung um 14:28 Uhr unterbrochen.
24Der 58. Hauptverhandlungstag fand am in der Zeit von 13:12 Uhr bis 13:20 Uhr statt. Der Vorsitzende gab bekannt, dass hinsichtlich der zweiten alternativen Schadensberechnung ein Selbstleseverfahren durchgeführt werden solle, allerdings nicht bezüglich aller insoweit eingegangenen Unterlagen, weil die Deutsche Rentenversicherung noch Nachbesserungen vornehmen müsse. Die Anordnung erging deshalb nur in Bezug auf die Berechnung hinsichtlich einiger der in Rede stehenden Arbeitnehmer des Angeklagten. Danach wurde die Hauptverhandlung unterbrochen.
25Diesem Termin war am ein Gespräch des Berichterstatters mit einem Mitarbeiter der Deutschen Rentenversicherung über notwendige Korrekturen der zweiten alternativen Schadensberechnung vorausgegangen. Im Rahmen eines weiteren Gesprächs der beiden Beteiligten vom wurde das Vorgehen modifiziert. Aus den darüber am 10. und 22. Juni erstellten Vermerken geht hervor, dass die gewünschten Modifizierungen auch Zeugen betrafen, deren von der Deutschen Rentenversicherung erstellten Daten im Termin vom verlesen worden waren. Mit Schreiben vom legte die Deutsche Rentenversicherung die geänderten Daten vor. Dabei handelte es sich um die dritte alternative Schadensberechnung. Die zweite alternative Schadensberechnung, die teilweise Gegenstand des am angeordneten Selbstleseverfahrens war, wurde zu keinem Zeitpunkt vollständig in die Hauptverhandlung eingeführt. Die dritte alternative Schadensberechnung wurde demgegenüber im Termin vom (59. Sitzungstag), der von 13:10 Uhr bis 13:18 Uhr dauerte, vollständig im Wege des Selbstleseverfahrens zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht.
26Nachdem die Hauptverhandlung am von 13:08 Uhr bis 13:24 Uhr und am von 13 Uhr bis 13:55 Uhr fortgesetzt worden war, verkündete das Landgericht im Termin vom (62. Sitzungstag) den Beschluss, durch den der Beweisantrag vom abgelehnt wurde.
272. Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht einen Verstoß gegen § 229 StPO.
28a) Die in § 229 StPO normierten Unterbrechungsfristen werden im Hinblick auf die der Vorschrift zugrundeliegende Konzentrationsmaxime nur dann gewahrt, wenn in dem zur Fortsetzung der Hauptverhandlung anberaumten Termin zur Sache verhandelt, das Verfahren mithin inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch gefördert wird (vgl. , NStZ 2018, 297, 298). Das ist stets der Fall, wenn es zu Verfahrensvorgängen kommt, welche die zur Urteilsfindung führende Sachverhaltsaufklärung betreffen. Auch die alleinige Befassung mit Verfahrensfragen kann ausreichend sein, sofern es dabei um den Fortgang der Sachverhaltsaufklärung geht (vgl. , NStZ 2014, 220 mwN). Unter diesen Voraussetzungen ist die Dauer des Termins ebenso wenig von Bedeutung wie die Frage, ob dieser noch für weitere verfahrensfördernde Handlungen hätte genutzt werden können; gleichermaßen unschädlich ist es, wenn der Termin zugleich der Einhaltung der Unterbrechungsfrist dient (vgl. , BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 6).
29Auch wenn in dem Termin Verfahrensvorgänge stattfinden, die nach diesen Maßstäben grundsätzlich zur Unterbrechung der Fristen des § 229 StPO geeignet sind, liegt ein Verhandeln zur Sache jedoch dann nicht vor, wenn das Gericht dabei nur der äußeren Form nach zum Zwecke der Umgehung dieser Vorschrift tätig wird und der Gesichtspunkt der Verfahrensförderung dahinter als bedeutungslos zurücktritt (vgl. , NStZ 2012, 343; vom – 4 StR 370/13, NStZ 2014, 220 mwN). So verhält es sich etwa dann, wenn einheitliche Verfahrensvorgänge willkürlich in mehrere kurze Verfahrensabschnitte zerstückelt und diese auf mehrere Verhandlungstage verteilt werden, um dadurch die zulässigen Unterbrechungsfristen einzuhalten (vgl. , NStZ 2008, 115). Aus demselben Grunde verstößt es gegen § 229 StPO, wenn aus dem gesamten Verfahrensgang erkennbar wird, dass das Gericht mit der Verhandlung nicht die substantielle Förderung des Verfahrens bezweckt, sondern allein die Wahrung der Unterbrechungsfrist im Auge hat (vgl. , aaO; vom – 4 StR 370/13, aaO; Beschluss vom – 4 StR 64/22 Rn. 9, jeweils mwN).
30b) Daran gemessen stößt die Verfahrensweise des Landgerichts auf durchgreifende rechtliche Bedenken.
31aa) Es kann dahinstehen, ob es an einzelnen Verhandlungstagen überhaupt nicht zu Verfahrensvorgängen kam, die das Verfahren inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch förderten. Denn selbst wenn an allen Sitzungstagen Verfahrenshandlungen vorgenommen wurden, die grundsätzlich zur Unterbrechung der Fristen des § 229 StPO geeignet waren, so ist aus dem gesamten Verfahrensgang erkennbar, dass das Landgericht dabei zumindest an den Verhandlungstagen vom (22. Sitzungstag), vom (27. Sitzungstag), vom (54. Sitzungstag), vom (56. Sitzungstag), vom (57. Sitzungstag) und vom (58. Sitzungstag) nur der äußeren Form nach tätig wurde zu dem Zweck, die Vorschrift zu umgehen, und dass der Gesichtspunkt der Verfahrensförderung dahinter als bedeutungslos zurücktrat.
32Die Verfahrensweise des Landgerichts in den Jahren 2018, 2019 und 2020 belegt, dass es ihm in dieser Zeit im Wesentlichen nicht um die substantielle Förderung des Verfahrens, sondern allein um die Wahrung der Unterbrechungsfrist ging. Dadurch sollte ersichtlich eine Aussetzung der Hauptverhandlung vermieden werden, obwohl das Landgericht aufgrund des am gestellten Antrags etwa drei Jahre lang damit befasst war, außerhalb der Hauptverhandlung die Buchhaltung des Angeklagten nach seinen Vorgaben aufbereiten und mehrere alternative Schadensberechnungen erstellen zu lassen.
33Um die Hauptverhandlung trotz der Verzögerungen fortzuführen, hat das Landgericht die Unterbrechungsfristen des § 229 StPO über Jahre hinweg ausgereizt und die Verhandlung zeitlich dermaßen gestreckt, dass die jährliche Verhandlungsdauer kaum über diejenige eines einzigen gewöhnlichen Sitzungstages hinausging. Im Jahr 2018 verhandelte das Landgericht – verteilt auf 19 Sitzungstage – insgesamt nur siebeneinhalb Stunden, und in den Jahren 2019 und 2020 war die gesamte Verhandlungsdauer mit fünfeinhalb bzw. sechseinhalb Stunden noch kürzer, verteilt auf 17 bzw. 16 Tage.
34Gegenstand der Verhandlung war zumeist der Stand der Dinge betreffend die außerhalb der Hauptverhandlung stattfindenden Vorgänge der Aufarbeitung der Buchhaltung des Angeklagten und der Erstellung der alternativen Schadensberechnung. Zuweilen erschöpfte sich die Hauptverhandlung in der Bekanntgabe von darauf bezogenen Verfügungen, die außerhalb der Hauptverhandlung ergangen waren und den Verfahrensbeteiligten ebenso gut außerhalb der Hauptverhandlung hätten bekannt gemacht werden können. Ihre Verlesung in der Hauptverhandlung diente beispielsweise am 22. Sitzungstag () und am 27. Sitzungstag () ersichtlich dem Zweck, überhaupt eine Verfahrenshandlung vorzunehmen, die geeignet erschien, das Verfahren scheinbar inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch zu fördern.
35An mehreren Verhandlungstagen wurden ausschließlich Urkunden verlesen, die ohne weiteres schon deutlich früher in die Hauptverhandlung hätten eingeführt werden können und in Bezug auf deren Verlesung in dem späteren Termin in Anbetracht der gesamten Verfahrensweise des Landgerichts ebenfalls kein anderer Grund erkennbar ist als derjenige, dass die Verlesung allein dazu diente, den Schein einer Verfahrensförderung zu wahren. Das gilt etwa im Hinblick auf das Schreiben des Finanzamts Ansbach vom , mit dem der Betriebsprüfungsbericht für das Jahr 2007 übersandt wurde und das am 15. Ju-li 2019 (dem 44. Sitzungstag) beim Landgericht einging. Verlesen wurden das Schreiben und der Betriebsprüfungsbericht indes erst am 54. Sitzungstag vom , wobei sich dieser Verhandlungstag in der Verlesung dieser Urkunden erschöpfte. Gleichermaßen verhält es sich hinsichtlich der Schreiben des Hauptzollamts Nürnberg vom und der Deutschen Rentenversicherung vom , die schon vor dem (dem 23. Sitzungstag) zu den Akten gelangten, ohne nachvollziehbaren Grund indes erst am (dem 56. Sitzungstag) verlesen wurden. Am 57. Sitzungstag vom wurden ausschließlich die Versicherungszeiten ab dem aus dem Gesamtkontenspiegel für den Versicherten O. vom verlesen, den die Deutsche Rentenversicherung mit Schreiben vom dem Hauptzollamt Nürnberg übersandt hatte und das am , mithin vor dem 24. Sitzungstag vom beim Landgericht eingegangen war. Auch insoweit beanstandet der Beschwerdeführer in Anbetracht der gesamten Umstände zu Recht, dass das fast zwei Jahre früher beim Landgericht eingegangene Schreiben „instrumentalisiert“ wurde, um bei Bedarf die Hauptverhandlung scheinbar zu fördern.
36Schließlich diente auch die Anordnung des Selbstleseverfahrens in Bezug auf einen Teil der zweiten alternativen Schadensberechnung am 58. Sitzungstag vom ersichtlich nur dazu, den Schein einer Verfahrensförderung zu wahren. Die Anordnung betraf lediglich die Berechnung hinsichtlich derjenigen Arbeitnehmer des Angeklagten, in Bezug auf die nach Mitteilung des Vorsitzenden keine weitere Nachbesserung seitens der Deutschen Rentenversicherung mehr erforderlich war. Die Vermerke des Berichterstatters vom 10. und belegen indes, dass schon im Termin vom feststand, dass die noch nötigen Korrekturen auch Arbeitnehmer des Angeklagten betrafen, in Bezug auf deren Daten das Selbstleseverfahren angeordnet wurde. Die geänderten Daten waren sodann Gegenstand der dritten alternativen Schadensberechnung, die am 59. Sitzungstag in die Hauptverhandlung eingeführt wurde. Die zweite alternative Schadensberechnung war demgegenüber – was der Strafkammer bewusst war – schon im Termin vom obsolet. Die an diesem Tag ergangene Anordnung des Selbstleseverfahrens in Bezug auf Teile der zweiten alternativen Schadensberechnung bezweckte mithin ersichtlich nicht die substantielle Förderung des Verfahrens, sondern diente allein dazu, die Hauptverhandlung scheinbar unter Wahrung der Unterbrechungsfrist fortzusetzen.
37Da der 22., 27., 54., 56., 57. und 58. Sitzungstag nicht geeignet waren, die Unterbrechungsfrist des § 229 StPO einzuhalten, hätte die Hauptverhandlung jeweils ausgesetzt werden müssen.
38bb) Es kann – wie im Regelfall (vgl. etwa , NStZ 2022, 760) – nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf dem Verstoß gegen § 229 StPO beruht. Ein besonders gelagerter Ausnahmefall, in dem die Fristüberschreitung ersichtlich weder den Eindruck von der Hauptverhandlung abgeschwächt noch die Zuverlässigkeit der Erinnerung beeinträchtigt hat (vgl. BGH aaO), liegt schon angesichts der Verfahrensdauer von mehreren Jahren ersichtlich nicht vor.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:131222B6STR95.22.0
Fundstelle(n):
AO-StB 2023 S. 278 Nr. 9
NJW 2023 S. 10 Nr. 4
NJW 2023 S. 377 Nr. 6
wistra 2023 S. 171 Nr. 4
RAAAJ-30825