Vergewaltigung: Strafrahmenverschiebung bei verminderter Schuldfähigkeit
Gesetze: § 21 StGB, § 49 Abs 1 StGB
Instanzenzug: LG Regensburg Az: 5 KLs 402 Js 18978/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Bedrohung und Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Nach den Feststellungen geriet der Angeklagte aus Eifersucht und Enttäuschung darüber, dass die Nebenklägerin mit ihm keine Intimitäten austauschen wollte, über ein Telefonat der Nebenklägerin mit ihrem Bekannten in Wut. Er verschloss gegen 23:30 Uhr die Wohnungseingangs- und Balkontür und ließ sämtliche Rolläden herunter, so dass ein Entkommen der Nebenklägerin nicht möglich war. Er zerbrach ihr Mobiltelefon und verletzte die Nebenklägerin im Laufe der Nacht immer wieder durch Faustschläge oder Schläge mit der Hand gegen Kopf und Körper; er würgte sie heftig und drang gegen ihren Willen mit dem Finger in ihre Vagina und ihren Anus ein und zwang sie, bei ihm den Oralverkehr zu vollziehen. Ferner drohte er mehrfach, die Nebenklägerin zu töten. Gegen 7:30 Uhr verließ er die Wohnung.
3Das sachverständig beratene Landgericht ist auf der Grundlage einer durch Rückrechnung bestimmten Blutalkoholkonzentration von 2,05 Promille davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten alkoholbedingt jedenfalls bis 2:30 Uhr nicht ausschließbar erheblich beeinträchtigt gewesen sei. Die fakultative Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hat es abgelehnt, weil der Angeklagte aufgrund seiner Eifersucht mit derartigen Übergriffen unter Alkoholeinfluss habe rechnen müssen. Der Alkoholkonsum sei ihm mangels Abhängigkeit oder zu erwartender Entzugserscheinungen auch vorzuwerfen.
42. Anders als der Schuldspruch hält der Strafausspruch rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Absehen von der Strafrahmenmilderung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5Ob eine fakultative Milderung des Strafrahmens nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen ist, hat das Tatgericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Bei verminderter Schuldfähigkeit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Schuldgehalt und damit die Strafwürdigkeit der Tat verringert sind, sodass regelmäßig eine Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen ist, wenn dem nicht andere schulderhöhende Umstände entgegenstehen, die diese Schuldminderung kompensieren (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 575/19, vom – GSSt 3/17, BGHSt 62, 247 Rn. 42). Nach diesen Maßstäben ist das Absehen von der Strafmilderung zwar nicht allein deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Tatgericht im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung maßgeblich darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte aufgrund vorhandener Fähigkeit, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen, die Trunkenheit selbst verschuldete (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 53/20, vom – 3 StR 575/19). Es ist jedoch nicht beweiswürdigend belegt, dass der Angeklagte mit derartigem aggressiven Verhalten unter Alkoholeinfluss rechnen musste (vgl. ). Die Strafrahmenverschiebung hätte das Landgericht nicht mit der Begründung ablehnen dürfen, dass der eifersüchtige Angeklagte „in Kenntnis dieser emotional angespannten Rahmenbedingungen (…) damit (habe) rechnen können und müssen, (es würden) unter dem starken Einfluss von Alkohol seine Gefühle für die (Nebenklägerin) verstärkt zutage treten, (und er werde) auf eine tatsächliche oder vermeintliche Zurückweisung verärgert reagieren.“ Weder die Nebenklägerin noch seine Lebensgefährtin, die Zeugin A. , berichteten davon, dass der – unbestrafte – Angeklagte unter dem Einfluss von Alkohol zu aggressivem und dem Tatgeschehen annähernd vergleichbarem Verhalten neigt, welches aufgrund seiner Intensität zudem mit einer bloßen „Verärgerung“ nicht in Einklang zu bringen ist.
62. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne den Rechtsfehler auf eine noch niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte. Der Senat hebt auch die im Übrigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Person auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:301122B6STR414.22.0
Fundstelle(n):
GAAAJ-30217