Strafurteil wegen Kindesmissbrauchs und Besitzes kinderpornografischer Inhalte: Anforderungen an die Wiedergabe des Beweisergebnisses; Einziehung von Festplatte und Computer
Gesetze: § 73 StGB, § 74 Abs 1 Alt 2 StGB, § 184b Abs 3 StGB, § 184b Abs 7 StGB, § 184c Abs 6 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Gera Az: 7 KLs 460 Js 14481/21 jug (2)
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in vier Fällen sowie Besitzes kinderpornographischer Inhalte in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Inhalte“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und einen Laptop sowie eine mobile Computerfestplatte eingezogen. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
21. a) Nach den Feststellungen cremte der Angeklagte als leiblicher Vater der am geborenen Nebenklägerin das nackte Kind gegen dessen ausdrücklichen Willen am 14. und in der gemeinsamen Wohnung nach dem Duschen am gesamten Körper, der Brust und dem Gesäß ein (Taten II. A. 1. und 2.). Am 15. und veranlasste er die Nebenklägerin, sich wegen einer angeblichen notwendigen körperlichen Untersuchung nackt auf den Wohnzimmertisch zu legen und die Beine zu spreizen. Er manipulierte jeweils am Körper des Mädchens mit den Händen (Taten II. A. 3. und 4.). In einem der beiden Fälle fertigte er ein Foto von der Scheide des Kindes, nachdem er es veranlasst hatte, seine Schamlippen zu spreizen. Das Bild speicherte er vorübergehend auf dem Laptop Lenovo.
3b) Am hatte der Angeklagte mindestens 24 kinderpornographische und 45 jugendpornographische Bilder auf dem Laptop Lenovo und der mobilen Festplatte Toshiba gespeichert (Tat II. A. 5.).
42. Der Angeklagte hat sich nicht zur Sache eingelassen. Die Strafkammer hat die Verurteilung auf die Angaben der Nebenklägerin, das vorbeschriebene Foto ihrer Scheide auf dem Laptop des Angeklagten sowie mehrere Chat-Nachrichten zwischen ihr und einer Freundin aus dem Tatzeitraum gestützt. Die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage hat sie neben den beiden letztgenannten Umständen maßgeblich damit begründet, dass die Angaben zum Kerngeschehen konstant seien, wenngleich sich die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung „nur wenig detailreich erinnerte und während ihrer Aussage mehrfach in Schweigen verfiel.“
II.
5Das Rechtsmittel des Angeklagten ist überwiegend begründet.
61. Die Verfahrensrüge versagt aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargestellten Gründen.
72. Hingegen führt die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils zur Aufhebung der Schuldsprüche mit den Feststellungen in den Fällen II. A. 1. bis 4., des Strafausspruchs im Fall II. A. 5. − soweit dort die Festsetzung der Tagessatzhöhe unterblieben ist − und der Gesamtstrafe sowie zur Korrektur und Teilaufhebung der Einziehungsentscheidung.
8a) Die der Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in vier Fällen zugrundeliegende Beweiswürdigung erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft.
9aa) Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Die revisionsrechtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob diesem bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Erwägungen in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft sind oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstoßen (st. Rspr.; vgl. nur ‒ 3 StR 441/20, juris Rn. 23 mwN; vgl. auch KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 261 Rn. 189). Ein solcher Rechtsfehler liegt hier darin, dass das Landgericht die sich aufdrängende nähere Darstellung der Angaben der Nebenklägerin unterlassen hat, sodass sich die angefochtene Entscheidung als lückenhaft erweist.
10(1) § 261 und § 267 StPO verpflichten das Tatgericht die wesentlichen Beweiserwägungen in den Urteilsgründen so darzulegen, dass seine Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler zu überprüfen ist (vgl. Senat, Beschluss vom ‒ 2 StR 152/20, NStZ-RR 2021, 114, 115 mwN; , juris Rn. 3 mwN; KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl., § 267 Rn. 12). Der wesentliche Inhalt einer Zeugenaussage ist danach in den Urteilsgründen auch außerhalb einer Aussage-gegen-Aussage Konstellation darzustellen, wenn dies erforderlich ist, um die tatgerichtliche Beweiswürdigung auf Rechtsfehler zu überprüfen (vgl. Senat, Urteil vom ‒ 2 StR 236/15, NStZ-RR 2016, 148, 149; Beschluss vom ‒ 2 StR 152/20, aaO; KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl., § 267 Rn. 15).
11(2) Den sich daraus ergebenen Anforderungen genügen die Gründe des angefochtenen Urteils nicht. Die Strafkammer hat die Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin daraus abgeleitet, dass deren Angaben „bezüglich des Kerngeschehens konstant“ seien, ohne diese „Konstanz“ durch eine inhaltliche Darstellung der verschiedenen Aussagen zu belegen.
12(a) Anlass zu einer solchen Darstellung bestand hier für die vier festgestellten Taten deshalb, weil die Nebenklägerin sich in der Hauptverhandlung „insgesamt nur wenig erinnerte und während ihrer Aussage mehrfach in Schweigen verfiel“ bzw. „zunächst beschwichtigend die Fälle 1. bis 4. bestätigt [habe], indem sie auf Nachfrage angab, dass es zutreffe, dass sie ihr Vater ˌ auch malˈ, wenn auch ˌ nicht wirklichˈ eingecremt und sie ˌ auch schon soˈ untersucht habe“. Nach Vorhalt von ‒ nicht näher beschriebenen ‒ Lichtbildern hat sie bekundet, „dass ˌ alles was hier vorgeworfen wird, stimmtˈ, dann aber nach einer Pause von einigen Sekunden einschränkend und mit leiser Stimme hinzugefügt, das sei aber ˌo.K.ˈ für sie gewesen“. Letzterem Teil der Aussage ist die Strafkammer indes nicht gefolgt. Bereits deshalb war es in diesem Fall erforderlich, den Inhalt der den Angeklagten belastenden Aussagen der Nebenklägerin vor der Polizei und in der Hauptverhandlung im Einzelnen darzustellen (vgl. hierzu Senat, Urteil vom ‒ 2 StR 236/15, aaO mwN).
13(b) Im Lichte der rudimentär wiedergegebenen Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung erschließt sich ohne weitere Darstellung zum Inhalt der verschiedenen Aussagen auch nicht, wieso die Aussagekonstanz einen Beleg darin erfährt, dass die Freundin der Nebenklägerin und deren Mutter „die entsprechenden Angaben der Zeugin A. S. vor der Kammer bestätigt haben“. Hinzu kommt, dass die Nebenklägerin, wie in der Strafzumessung aufscheint, der sachverständigen Zeugin Dr. Sc. erzählte, „dass sie mehrfach von ihrem Vater vergewaltigt worden sei“. Auch dieser Umstand, der in den Urteilsgründen keinerlei Erörterung erfährt, hätte es geboten, die sich scheinbar unterscheidenden Angaben der Nebenklägerin gegenüber verschiedenen Zeuginnen näher darzustellen.
14(c) Auch die Darstellung der Aussage der Ermittlungsbeamtin zu den vormaligen Angaben der Nebenklägerin ist nicht geeignet, die Aussagekonstanz zu belegen. Die Urteilsausführungen beschränken sich auf die Angabe, die Nebenklägerin habe ihr gegenüber bekundet, „dass ihr Vater sie zweimal am ganzen Körper eingecremt habe und dass sie sich zweimal nackt auf den Küchentisch habe legen müssen und der Angeklagte sie neuerlich ˌ unten rumˈ untersucht habe“.
15(d) Auf der Grundlage dieser ebenfalls auf das absolute Kerngeschehen reduzierten Wiedergabe der Angaben der Nebenklägerin ist es dem Senat nicht möglich, die vom Landgericht festgestellte Aussagekonstanz zu überprüfen. Das gilt insbesondere deshalb, weil sich auch die Urteilsfeststellungen zu den Taten auf dieses Kerngeschehen – dargestellt in einem einzigen Satz − reduzieren. Damit ermöglichen weder die Urteilsfeststellungen noch die Darstellung der Beweiswürdigung den Rückschluss, welche Angaben die Nebenklägerin zum gesamten Tatablauf gemacht hat. Es erschließt sich auch nicht, wieso die Strafkammer feststellt, die „Untersuchung“ der Nebenklägerin hätte auf dem „Wohnzimmertisch“ stattgefunden, während die Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren vom „Küchentisch“ sprach. Dies gilt umso mehr, als auch die Mitarbeiterin des Jugendamtes „eine diesen Angaben (gemeint ist die Darstellung der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren) entsprechende Äußerung durch die Zeugin A. S. […] in der Hauptverhandlung bestätigt hat“. Eine weitergehende zusammengefasste inhaltliche Angabe ihrer Aussage enthalten die Urteilsgründe ebenfalls nicht.
16(e) Die Notwendigkeit der weitergehenden inhaltlichen Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin bestand hier auch deshalb, weil der Chatverkehr zwischen ihr und ihrer Freundin zur Tatzeit in Details von den Feststellungen abweicht. Während im Urteil festgestellt ist, dass der Angeklagte die Nebenklägerin nach dem Duschen am gesamten Körper, der Brust und dem Gesäß eincremte, hat die Nebenklägerin im Chatverkehr auf die Frage ihrer Freundin, „ob der Angeklagte auch an den ˌTittenˈ gewesen sei“ geantwortet: „Da hat er halt nur creme so drauf getan und wollte es noch verreiben habe mich dann aber gesagt mach ich allein (hat er auch schon das 2 mal gemacht bei letzten duschen war das genauso)“. Die Angabe der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren, der Angeklagte habe auch ihre Brust eingecremt, findet damit in dem Chatverkehr – jedenfalls ohne weitere Erläuterung − keine uneingeschränkte Bestätigung.
17(3) Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II. A. 1. bis 4. mit den zugrundeliegenden Feststellungen.
18b) Während der Schuldspruch im Fall II. A. 5. keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist, unterfällt die Strafzumessung insoweit der Aufhebung, als die Festsetzung der Tagessatzhöhe unterblieben ist. Dieser Festsetzung bedarf es auch dann, wenn ‒ wie hier ‒ aus Geld- und Freiheitsstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird (st. Rspr.; vgl. etwa ‒ 6 StR 469/21, juris Rn. 2 mwN).
19c) Die Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II. A. 1. bis. 4. zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
20d) Die Einziehungsentscheidung hat lediglich hinsichtlich der Festplatte des Laptops Lenovo sowie der mobilen Computerfestplatte Toshiba Bestand; die weitergehende Einziehung des Laptops Lenovo unterfällt der Aufhebung. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Zuschrift zutreffend ausgeführt:
„Bei einer Verurteilung nach § 184b Abs. 3 StGB sind nach § 184b Abs. 7 StGB (§ 184b Abs. 6 StGB a.F.) Beziehungsgegenstände der Tat zwingend einzuziehen. Bei einer Verurteilung nach § 184c Abs. 3 StGB gilt dies wegen der Verweisung auf die entsprechenden Vorschriften des § 184b StGB in § 184c Abs. 6 StGB ebenso. Wurde der Besitz kinder- oder jugendpornographischer Schriften - wie hier - durch Abspeichern von Bilddateien auf einem Computer ausgeübt, unterliegt insoweit lediglich die als Speichermedium verwendete Festplatte der Einziehung. Die Einziehung des für den Speichervorgang verwendeten Computers kann dagegen nur nach § 74 Abs. 1 Alt. 2 StGB im Rahmen einer Ermessensentscheidung erfolgen. Mangels jeglicher Begründung der Einziehungsentscheidung ist nicht erkennbar, dass die Strafkammer das ihr eingeräumte Ermessen ausgeübt hat.“
21Die weiterhin mögliche Einziehung des Lenovo Laptops (ohne Festplatte) als Tatmittel nach § 74 Abs. 1 StGB lässt die Strafzumessung im Fall II. A. 5. unberührt. Der Senat schließt aus, dass dem gebrauchten Laptop (ohne Festplatte) ein beträchtlicher Wert zukommt, dessen Entziehung als bestimmender Gesichtspunkt bei der Strafzumessung zu berücksichtigen wäre (vgl. Senat, Beschluss vom ‒ 2 StR 517/19, juris Rn. 7 mwN).
22e) Die Feststellungen zur Zumessung der Tagessatzhöhe im Fall II. A. 5. der Urteilsgründe sowie zur Einziehung sind von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht betroffen. Sie können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
23f) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass sich die festgestellten Tatzeiten aus der Gesamtheit der Urteilsgründe bisher nur teilweise (vgl. den dargestellten Chatverkehr) rekonstruieren lassen. Zudem wird das neue Tatgericht Gelegenheit haben, genauer als bisher darzustellen, dass in den Fällen II. A. 3. und 4. die Manipulationen „am Körper des Mädchens mit den Händen“ die für die Verwirklichung des Tatbestands des § 176 Abs. 1 StGB a.F. erforderliche Voraussetzung des Körperkontakts zwischen Täter und Opfer erfüllten. Insoweit wird auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts verwiesen. Im Hinblick auf die von der Sachverständigen wiedergegebene Schilderung der Nebenklägerin zu weiteren – bisher nicht festgestellten − gravierenden Sexualstraftaten des Angeklagten wird das Tatgericht auf der Grundlage des zur Aburteilung stehenden Sachverhalts zu belegen haben, ob sich der von der Sachverständigen beschriebene psychische Zustand der Nebenklägerin jedenfalls teilweise auf diesen zurückführen lässt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:221122B2STR311.22.0
Fundstelle(n):
KAAAJ-30152