Einkommensteuer | Dividendenbesteuerung von Ausschüttungen einer chinesischen Kapitalgesellschaft (FG)
Eine Person, die in Deutschland
ihren Wohnsitz hat und damit der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt, ist
nach Art. 4 Abs. 1 DBA-China im Inland ansässig. Eine gleichzeitige
Ansässigkeit in China (Doppelansässigkeit) liegt nach dem in den Streitjahren
bis 2018 maßgeblichen chinesischen Steuerrecht nur vor, wenn die Person in
China entweder einen (dauerhaften) Wohnsitz (sog. Domizil) hat oder sie sich
ein Jahr oder länger in China aufhält (; Nichtzulassungsbeschwerde anhängig, BFH-Az. I B 48/22).
Sachverhalt: Der in China geborene Kläger absolvierte in Deutschland ein technisches Universitätsstudium und ist ebenso wie seine Ehefrau seit 2001 deutscher Staatsangehöriger. Aus der Ehe ist ein in den Streitjahren 2013 bis 2018 minderjähriges Kind hervorgegangen. Die Eheleute hatten im Jahr 2003 ein Reihenhaus in H erworben. Im Jahr 2016 zogen sie in ein Einfamilienhaus in G, das auf einem von ihnen im Jahr 2013 erworbenen Grundstück neu errichtet worden war. Der Kläger ist Inhaber verschiedener Unternehmen in China und in Deutschland. In Deutschland hält er jeweils 90 Prozent an einer M GmbH und einer Werkzeug GmbH, seine Ehefrau 10 Prozent. In China ist der Kläger zu 100 Prozent an mehreren Unternehmen beteiligt, die er ab 2001 gegründet hatte (Werkzeug Ltd., Gew Ltd., M Ltd., T Ltd. und Werkzeug Ltd., X).
Bis einschließlich 2007 wurden der Kläger und seine Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Auf der Einkommensteuererklärung der Ehefrau für 2008 wurde von der Sachbearbeiterin des FA notiert: „Telefonat mit StB, Ehemann lebt seit 2007 wieder in China Einzelveranlagung der EF.“ Ab erhielt die Ehefrau für die Einzelveranlagung eine neue Steuernummer. Sie erklärte für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2018 Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit als Geschäftsführerin der M GmbH und der Werkzeug GmbH.
Nach einer Steuerfahndungsprüfung und Auswertung der beschlagnahmten Unterlagen ging das FA von einem fortbestehenden Wohnsitz des Klägers im Inland aus und erließ für die Streitjahre 2013 bis 2018 Einkommensteuerbescheide, in denen Gewinnausschüttungen der chinesischen Gesellschaften des Klägers als Einkünfte aus Kapitalvermögen erfasst wurden. Hieraus ergaben sich Einkommensteuernachzahlungen von etwa 3 Mio. €. Die Zinsfestsetzungen ergingen hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes von 0,5 Prozent pro Monat jeweils vorläufig. Mit seinem Einspruch trug der Kläger vor, er würde seit 2007 unter der Ladungsanschrift in seiner Villa in China wohnen. Diese Immobilie hätten er und seine Ehefrau im Jahr 2007 zu jeweils hälftigem Miteigentum erworben. Im Jahr 2008 habe er sich aus Deutschland „ins Ausland“ abgemeldet. Von seiner Ehefrau und seiner Familie lebe er seit 2006 getrennt.
Das FG wies die Klage wegen Einkommensteuer 2013 bis 2018 ab. Zu Gunsten des Klägers wurden nur die Zinsfestsetzungen geändert:
Die Zinsbescheide sind rechtswidrig, soweit eine Verzinsung i.H. von 0,5 Prozent im Monat ab dem erfolgt ist. Aufgrund des am in Kraft getretenen sog. Zinsanpassungsgesetz sind die Zinsen in den Fällen des § 233a AO abweichend von § 238 Abs. 1 Satz 1 AO rückwirkend ab dem für jeden Monat mit 0,15 Prozent, d.h. 1,8 Prozent pro Jahr festzusetzen.
Der Zinsänderung stet nicht Art. 97 § 15 Abs. 16 EGAO entgegen. Der Senat folgt insoweit nicht der Auffassung des FA, dieser Regelung liege der Rechtsgedanke zugrunde, dass weiterhin die Voraussetzungen für die vorläufigen Zinsfestsetzungen gegeben seien, solange die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung des neuen, geringeren Zinssatzes noch nicht vorlägen und ein Rechtsbehelf daher mangels Vorliegens eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sei. Zunächst ist es vorliegend unstreitig möglich gewesen, sog. manuelle Bescheide zu erlassen, so dass die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung von § 238 Abs. 1a AO im Einzelfall vorliegen. Auch verfolgt Art. 97 § 15 Abs. 16 EGAO den Zweck, dass die Finanzverwaltung im steuerlichen Massenverfahren (wie bisher) Zinsfestsetzungen vorläufig erlassen kann, obwohl die Voraussetzungen von § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO nach dem Inkrafttreten des Zinsanpassungsgesetzes nicht mehr vorliegen. Darum geht es aber vorliegend nicht, sondern um die Rechtmäßigkeitsprüfung von Verwaltungsakten. Soweit das FA daher beantragt, das Verfahren wegen der Zinsfestsetzungen abzutrennen und auszusetzen, bis die Finanzverwaltung die Voraussetzungen für eine automationsgestützte Anwendung von § 238 Abs. 1a AO geschaffen hat, ist dies abzulehnen. Eine Verfahrenstrennung ist nicht prozessökonomisch und eine Verfahrensaussetzung mangels Vorgreiflichkeit nicht möglich.
Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerbescheide
Die Einkommensteuerbescheide sind rechtmäßig, weil der Kläger im Inland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist und Deutschland auch das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinnausschüttungen zusteht.
Unbeschränkte Steuerpflicht des Klägers wegen Wohnsitz im Inland
Der Kläger ist in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Er hat in den Streitjahren seinen Wohnsitz im Inland, zunächst in H und ab 2016 mit der Fertigstellung des Gebäudes in G, gehabt. Ihm haben dort jederzeit Räumlichkeiten zur Verfügung gestanden, die über eine lediglich kurzfristige, vorübergehende oder eine bloß notdürftige Unterbringungsmöglichkeit weit hinausgegangen sind. Auch ist er hälftiger Miteigentümer der jeweiligen Wohnungen gewesen, so dass ihm ein Anspruch auf Nutzung zugestanden hat bzw. weiter zusteht. Seine Nutzungsmöglichkeiten sind weder durch Vereinbarungen noch durch Absprachen derart beschränkt gewesen, dass er die Wohnung nicht jederzeit für einen Wohnaufenthalt hätte nutzen können.
Wer - wie der Kläger zuletzt in G - in einer Bleibe jedenfalls über eine Schlafgelegenheit, ein Ankleidezimmer und einen Stellplatz für einen stets zur Nutzung vorgehaltenen Pkw verfügt, hat einen Wohnsitz im Inland. Dass der Kläger bei Aufenthalten in Deutschland nur zur Ersparnis von Hotelkosten in seinen ihm mitgehörenden Räumlichkeiten übernachtet haben will, ist vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft. Von seiner jederzeitigen Nutzungsmöglichkeit hat der Kläger auch Gebrauch gemacht. In jedem Jahr des Streitzeitraums hat er - bis auf das Jahr 2017 - mehr als 90 Tage in Deutschland und davon ganz überwiegend -zunächst in H, ab 2016 in G- in seinen Räumlichkeiten verbracht. Selbst wenn er von hier aus einige Geschäftsreisen innerhalb Deutschlands unternommen haben sollte, bleibt ein substantieller Anteil an Aufenthalten in der Immobilie in G. Auch hat der Kläger die laufenden Kosten für das Haus in G (Rundfunkgebühren, Strom, Wasser, Gas und Abwasser) getragen.
Keine familienrechtliche Trennung
Der Kläger hat auch nicht - wie von ihm behauptet - seit 2006 im familienrechtlichen Sinne von seiner Ehefrau getrennt gelebt. In einer Gesamtschau besteht zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau eine häusliche Gemeinschaft. Sie haben alle wichtigen Festtage und persönlichen Anlässe gemeinsam mit den Kindern gefeiert und ihre Unternehmen in Deutschland gemeinsam betrieben. Sie haben alle wichtigen Fragen das Haus betreffend (Bebauung und Einrichtung) einvernehmlich geregelt und wechselseitig Verfügungsbefugnis über ihre Privatkonten gehabt. Auch spricht nichts dafür, dass sich zumindest einer der Ehegatten subjektiv von der Ehe gelöst hat. Jedenfalls hat - bei einer unterstellten Trennung ab dem Jahr 2006 - keine Veranlassung für den Kläger bestanden, im Jahr 2013 das Grundstück in G gemeinsam mit seiner Ehefrau zu erwerben und aufwändig zu bebauen. Nicht zuletzt sind die Eheleute trotz der angeblichen Trennung im Jahr 2006 bis heute weder geschieden noch ist ein Ehescheidungsverfahren anhängig.
Steuerbare Gewinnausschüttungen (Einkünfte aus Kapitalvermögen)
Der Kläger hat steuerbare Bezüge aus den Gewinnausschüttungen seiner (ausländischen) Kapitalgesellschaften bezogen (Werkzeug Ltd., Gew Ltd. und T Ltd. jeweils X), die den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzuordnen sind und die mangels Antrag nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG der Abgeltungsteuer unterliegen. Die Beteiligungsbezüge von ausländischen Kapitalgesellschaften unterfallen § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, wenn die ausländische Gesellschaft und das zum Bezug führende ausländische Beteiligungsrecht ihrer Struktur nach einer unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG fallenden inländischen Kapitalgesellschaft im Wesentlichen entspricht. Dies ist nach dem sog. Typenvergleich festzustellen. Die chinesische Ltd. ist mit einer GmbH vergleichbar. Es handelt sich dabei um eine Kapitalgesellschaft mit einer beschränkten Haftung im Außenverhältnis, die im Wesentlichen im chinesischen Gesellschaftsrecht (PRC Company Law) geregelt ist. Die Gesellschaftsrechte des Inhabers ähneln dem eines GmbH-Gesellschafters.
Deutsches Besteuerungsrecht für Gewinnausschüttungen nach DBA-China
Das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinnausschüttungen stet nach dem einschlägigen DBA Deutschland zu. Eine Anrechnung von chinesischer Quellensteuer nach § 32d Abs. 5 Sätze 1 und 2 EStG ist nicht vorzunehmen, da die Kapitalerträge in China nicht besteuert worden sind. Sowohl der persönliche als auch der sachliche Anwendungsbereich des DBA-China sind eröffnet. Dabei gilt das (alte) DBA-China vom bis zum und das (neue) DBA-China vom gilt ab (BGBl II 2016, 1005). Die Regelungen sind - soweit sie den Streitfall betreffen - weitgehend inhaltsgleich. Nach Art. 1 DBA-China gilt das Abkommen für Personen, die in einem Vertragsstaat oder in beiden Vertragsstaaten ansässig sind und sachlich nach Art. 2 Abs. 1 DBA-China für Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, die in einem der Vertragsstaaten erhoben werden.
Der Kläger ist nur in Deutschland ansässig.
Der abkommensrechtliche Begriff der Ansässigkeit ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 DBA-China. Er schränkt die Abkommensberechtigung auf solche Personen ein, die nach dem Recht zumindest eines der Vertragsstaaten aufgrund von ortsbezogenen Merkmalen in einem Vertragsstaat der Steuerpflicht unterliegen. Art. 4 Abs. 1 DBA-China definiert die Voraussetzungen der Ansässigkeit nicht abkommensautonom, sondern durch ausdrückliche Anknüpfung an das innerstaatliche Recht des jeweiligen Vertragsstaats. Die Aufzählung der Kriterien, aus denen sich die Steuerpflicht ergeben kann, verdeutlicht, dass sich die unbeschränkte Steuerpflicht aus ortsbezogenen Merkmalen des nationalen Steuerrechts ableitet. Auf die tatsächliche Besteuerung im Ansässigkeitsstaat kommt es dagegen nicht an.
Eine Anwendung von Art. 4 Abs. 2 DBA-China (tie-breaker-rule) scheidet aus, wenn der Steuerpflichtige schon nach Art. 4 Abs. 1 DBA-China nur in einem Vertragsstaat ansässig ist. Nur bei einer sog. Doppelansässigkeit, d.h. bei Ansässigkeit in beiden Vertragsstaaten, bestimmt Art. 4 Abs. 2 DBA-China, in welchem Staat eine Person abkommensrechtlich als ansässig gilt. Der andere Vertragsstaat kann dann lediglich Quellenstaat sein.
Keine Doppelansässigkeit in Deutschland und China
Da der Kläger seinen Wohnsitz in Deutschland hat und der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt, ist er nach Art. 4 Abs. 1 DBA-China im Inland ansässig. Er ist nicht gleichzeitig in China ansässig. Nach chinesischem Steuerrecht ist für die dortige unbeschränkte, persönliche Steuerpflicht grundsätzlich maßgeblich, ob eine Person dauerhaft in China wohnhaft ist oder sich dort mindestens fünf Jahre ohne wesentliche Unterbrechung aufhält. Bis zum Ablauf von fünf Jahren wird eine Mischform von beschränkter und unbeschränkter Steuerpflicht angewendet, wonach gewisse Einkünfte aus chinesischen Quellen vollumfänglich, Kapitaleinkünfte jedoch nur beschränkt steuerpflichtig sind. Vorliegend ist aufgrund des Streitzeitraums auf den Rechtsstand des chinesischen Steuerrechts bis zum abzustellen, so dass die umfassende Reform des Einkommensteuerrechts in China mit Wirkung zum unbeachtlich ist.
Keine unbeschränkte Steuerpflicht nach chinesischem Steuerrecht
Im Streitfall hat sich der Senat die Kenntnisse über das chinesische Steuerrecht als Tatsache (§ 293 Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 Satz 1 FGO) durch die allgemein verfügbaren Gesetzestexte, Verwaltungsanweisungen, Kommentierungen und den Vortrag der Beteiligten verschafft. Danach gibt es im chinesischen Steuerrecht in den Streitjahren zwei Anknüpfungspunkte für die unbeschränkte Steuerpflicht. Die unbeschränkte Steuerpflicht einer natürlichen Person in China setzt in den Streitjahren voraus, dass sie in China entweder, in Anlehnung an das Prinzip des „domicile“ aus dem Common Law nach Art. 1 Abs. 1, 1. Alt. des Individual Income Tax Law of the PRC (IITL) i.V.m. Art. 2 der chinesischen Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (chin. EStDV), einen (dauerhaften) Wohnsitz (sog. Domizil) hat, oder dass sie sich ein Jahr oder länger in China aufhält (Art. 1 Abs. 1, 2. Alt. IITL i.V.m. Art. 3 chin. EStDV).
Kein Domizil des Klägers in China
Der Begriff Domizil ist im Sinne einer dauerhaften Absicht, in dem jeweiligen Land zu verweilen, zu verstehen. Er ist einem qualifizierten Wohnsitz vergleichbar und kann nur an einem Ort bestehen. Nach Art. 2 chin. EStDV hat eine natürliche Person ihr Domizil in China, wenn sie aufgrund ihrer (städtischen) Registrierung, ihrer Familienverhältnisse sowie ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse ihren gewöhnlichen Aufenthalt in China hat. Somit haben ausländische Bürger, die sich nur aufgrund ihrer Tätigkeit in China aufhalten, grundsätzlich keinen Wohnsitz in China, weil ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort nicht in China liegt. Hätte der Kläger allein aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse („economic interests“ nach Art. 2 chin. EStDV) ein Domizil in China, wäre er dort unbeschränkt steuerpflichtig. Das vertritt aber selbst der Kläger im Ergebnis nicht, da er dann in China „domiciled“ wäre und nicht lediglich „fiscal resident“. Letzteres soll ihm aber die chinesische Steuerverwaltung bescheinigt haben („Chinese fiscal resident“).
Kein Aufenthalt von einem Jahr oder länger
Der Aufenthalt von einem Jahr oder länger - der neben dem Domizil ebenfalls die unbeschränkte Steuerpflicht auslöst - meint einen Aufenthalt in China von 365 Tagen im Steuerjahr (Art. 1 Abs. 1, 2. Alt. IITL i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 chin. EStDV). Ein Steuerjahr in diesem Sinne entspricht dem Kalenderjahr (Art. 44 chin. EStDV). Lediglich vorübergehende Abwesenheitstage werden nicht berücksichtigt (Art. 3 Abs. 1 chin. EStDV). Vorübergehende Abwesenheitstage bedeuten einen Aufenthalt außerhalb Chinas von nicht mehr als 30 Tagen und bei mehreren Abwesenheiten von nicht mehr als 90 Tagen pro Steuerjahr (Art. 3 Abs. 2 chin. EStDV). Die Aufenthaltsdauer in China wird anhand des Einreise- und Ausreisedatums (via Stempel) im Reisepass festgestellt. Demgegenüber sind natürliche Personen, die kein Domizil oder keinen gewöhnlichen Aufenthalt in China haben, weil sie sich weniger als 365 Tage in einem Steuerjahr in China aufhalten, nur mit ihren chinesischen Einkünften beschränkt steuerpflichtig (Art. 1 Abs. 2 IITL).
Vor diesem Hintergrund geht der Senat nicht davon aus, dass der Kläger einer persönlich unbeschränkten Steuerpflicht in China unterliegt. Seine Abwesenheitstage in China haben - selbst nach den Schilderungen des Klägers - in jedem Streitjahr mehr als 90 Tage betragen, so dass er eine persönliche Steuerpflicht im Sinne von Art. 1 Abs. 1 IITL vermeidet. Dabei geht der Senat davon aus, dass sich der Kläger auch vor den Streitjahren in vergleichbarem Umfang, d.h. jährlich mehr als 90 Tage außerhalb Chinas aufgehalten hat. Denn weder hat der Kläger insoweit Abweichungen vorgetragen noch ergibt sich eine Änderung seines Reiseverhaltens aus den sonstigen Umständen.
Die Bescheinigungen über eine Besteuerung seiner Arbeitseinkünfte steht dem nicht entgegen, da diese der beschränkten Steuerpflicht unterliegen (Art. 1 Abs. 2 IITL i.V.m. Art. 5 Abs. 1 chin. EStDV) und damit nichts über eine unbeschränkte Steuerpflicht aussagen. Soweit der Kläger Bescheinigungen vorlegt, die ihn als „Chinese fiscal resident“ bezeichnen, folgt daraus keine Ansässigkeit des Klägers in China im Sinne von Art. 4 Abs. 1 DBA-China. Ansässigkeitsbescheinigungen eines anderen Vertragsstaats haben keine Bindungswirkung. Ob Umstände vorliegen, die im anderen Vertragsstaat nach dessen Recht eine Ansässigkeit begründen, muss jeder Staat selbständig prüfen.
Jedenfalls Lebensmittelpunkt in Deutschland
Selbst wenn der Kläger aber in China aufgrund einer persönlich unbeschränkten Steuerpflicht besteuert werden würde und damit - neben Deutschland - auch in China ansässig wäre, gilt er nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. c DBA-China nur als in Deutschland ansässig, denn er hat den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Deutschland. Der Kläger hat zwar sowohl in Deutschland als auch in China eine ständige Wohnstätte. Da aber die persönlichen Beziehungen des Klägers in Deutschland überwiegen (Ehefrau, minderjähriges Kind) und die wirtschaftlichen Beziehungen in Deutschland und China in gleichem Maße ausgeprägt sind, überwiegen in einer Gesamtschau die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen des Klägers in Deutschland, so dass hier der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen liegt.
Jedenfalls Ansässigkeit in Deutschland wegen Staatsangehörigkeit
Selbst wenn sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht feststellen lässt - was der Senat nur hilfsweise unterstellt -, hätte der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt sowohl in Deutschland als auch in China, so dass er aufgrund seiner deutschen Staatsangehörigkeit auch in diesem Fall als in Deutschland ansässig gilt (Art. 4 Abs. 2 Buchst. c DBA-China). Daher ist der Kläger auf jeden Fall (unter mehreren abkommensrechtlichen Gesichtspunkten) im Inland und nicht in China ansässig.
Deutsches Besteuerungsrecht für Gewinnausschüttungen
Das Besteuerungsrecht für die Gewinnausschüttungen der chinesischen Ltd.‘s steht Deutschland zu. Nach Art. 10 Abs. 1 DBA-China können Dividenden, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft (China) an eine im anderen Vertragsstaat (Deutschland) ansässige Person zahlt, im anderen Staat (Deutschland) besteuert werden (sog. Verteilungsnorm). Dem Ansässigkeitsstaat der die Dividenden zahlenden Gesellschaft steht grundsätzlich ein der Höhe nach begrenzter Quellensteuerabzug zu (Art. 10 Abs. 2 DBA-China).
Keine Steuerfreistellung der Gewinnausschüttungen
Die Gewinnausschüttungen sind in Deutschland nicht von der Besteuerung freigestellt. Nach Art. 24 Abs. 2 DBA-China (Art. 23 Abs. 2 DBA-China) wird eine mögliche Doppelbesteuerung in der Bundesrepublik Deutschland wie folgt vermieden (sog. Methodenartikel): Von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer werden grundsätzlich die Einkünfte aus China sowie die in China gelegenen Vermögenswerte ausgenommen, die nach diesem Abkommen in China besteuert werden können (sog. Freistellungsmethode; Art. 24 Abs. 2 Buchst. a DBA-China [Art. 23 Abs. 2 Buchst. a DBA-China). Für Einkünfte aus Dividenden gilt die vorstehende Bestimmung aber nur dann, wenn Dividenden an eine in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Gesellschaft von einer in China ansässigen Gesellschaft gezahlt werden, deren Kapital zu mindestens 10 Prozent (25 Prozent) unmittelbar der deutschen Gesellschaft zuzuordnen ist (sog. Schachtelprivileg; Art. 24 Abs. 2 Buchst. a Abs. 2 DBA-China [Art. 23 Abs. 2 Buchst. a Abs. 2 DBA-China]). In den übrigen Fällen, d.h. bei Zahlung einer Dividende an eine natürliche Person, wird die nach chinesischem Recht und in Übereinstimmung mit diesem Abkommen gezahlte ausländische Steuer auf die deutsche Steuer unter Beachtung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts angerechnet (sog. Anrechnungsmethode; Art. 24 Abs. 2 Buchst. b Doppelbuchst. bb DBA-China [Art. 23 Abs. 2 Buchst. b (i) DBA-China]).
Da China vorliegend von seinem Quellensteuerrecht aus Gründen der Ansiedlung von ausländisch investierten Gesellschaften keinen Gebrauch gemacht hat, scheidet eine Anrechnung, die nach deutschem Steuerrecht auf der Grundlage von § 32d Abs. 5 EStG durchzuführen wäre, aus.
Quelle: FG Baden-Württemberg, Newsletter 3/2022 (il)
Fundstelle(n):
HAAAJ-29937