Rechtsschutzversicherung: Aktive Prozessführungsbefugnis des Schadensabwicklungsunternehmens für den Anspruch auf Auskehr der einem im Strafverfahren freigesprochenen Versicherten durch die Staatskasse erstatteten Auslagen
Leitsatz
Aus § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG ergibt sich weder unmittelbar noch in entsprechender Anwendung eine aktive gesetzliche Prozessstandschaft des Schadensabwicklungsunternehmens eines Rechtsschutzversicherers für den Anspruch auf Auskehr der einem im Strafverfahren freigesprochenen Versicherten durch die Staatskasse erstatteten Auslagen.
Gesetze: § 86 Abs 1 S 1 VVG, § 126 Abs 2 S 1 VVG, § 467 Abs 1 StPO
Instanzenzug: LG Halle (Saale) Az: 1 S 203/20vorgehend AG Merseburg Az: 7 C 208/19
Tatbestand
1Die Parteien streiten - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - um die Prozessführungsbefugnis des klagenden Schadensabwicklungsunternehmens.
2Die Klägerin ist das Schadensabwicklungsunternehmen des Rechtsschutzversicherers (nachfolgend Versicherer) des Beklagten. Der Versicherer gewährte dem Beklagten im Jahr 2015 Deckung für ein Strafverfahren und zahlte einen Betrag von 817,53 € auf eine Vorschusskostenrechnung des Verteidigers des Beklagten. Nach Freispruch des Beklagten erstattete die Staatskasse diesem für seine Auslagen im Strafverfahren einen den Vorschuss übersteigenden Betrag. Mit der Klage fordert die Klägerin vom Beklagten in der Hauptsache Zahlung von 817,53 €, und zwar mit dem Hauptantrag an die Klägerin und mit dem Hilfsantrag an den Versicherer.
3Das Amtsgericht hat dem Hilfsantrag unter Annahme einer gewillkürten Prozessstandschaft stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter.
Gründe
4Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
5I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich die Prozessführungsbefugnis der Klägerin aus § 126 Abs. 2 VVG. Die Vorschrift sei über ihren Wortlaut hinaus auch auf Aktivprozesse des Versicherungsgebers gegen den Versicherungsnehmer anwendbar.
6II. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung durfte das Berufungsgericht die Prozessführungsbefugnis der Klägerin nicht annehmen.
71. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich aus § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG keine aktive gesetzliche Prozessstandschaft der Klägerin für den hier geltend gemachten Anspruch.
8a) Nach § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG können Ansprüche auf die Versicherungsleistung aus einem Vertrag über eine Rechtsschutzversicherung, wenn - wie hier - ein selbständiges Schadensabwicklungsunternehmen mit der Leistungsbearbeitung beauftragt ist, nur gegen dieses geltend gemacht werden. Die Vorschrift begründet einen Fall gesetzlicher Prozessstandschaft (vgl. , VersR 2018, 1119 Rn. 30; vom - IV ZR 34/16, VersR 2016, 1593 Rn. 10; jeweils m.w.N.). In ihrem Anwendungsbereich ist allein das Schadensabwicklungsunternehmen passiv prozessführungsbefugt, während der Versicherer materiell-rechtlich Verpflichteter aus dem Versicherungsvertragsverhältnis mit dem Versicherungsnehmer bleibt (vgl. aaO Rn. 31; vom aaO; jeweils m.w.N.).
9b) Noch zutreffend und im Einklang mit der allgemeinen Auffassung hat das Berufungsgericht angenommen, eine aktive Prozessführungsbefugnis des Schadensabwicklungsunternehmens sei vom Wortlaut des § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG nicht umfasst. Einer unmittelbaren Anwendung auch auf Aktivprozesse steht der klare Wortlaut der Vorschrift ("gegen dieses") entgegen. Insoweit verhält es sich anders als in dem durch den Senat entschiedenen Fall der passiven Prozessführungsbefugnis für einen auf "Quasideckung" gerichteten Schadensersatzanspruch, in welchem der Wortlaut des § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG einer weiten Anwendung nicht entgegenstand (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 243/17, VersR 2018, 1119 Rn. 25).
10c) Aber auch aus einer analogen Anwendung des § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG lässt sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts eine aktive Prozessführungsbefugnis des Schadensabwicklungsunternehmens für den hier geltend gemachten Anspruch nicht herleiten.
11aa) Ob eine analoge Anwendung des § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG auf den Aktivprozess in Betracht kommt, ist umstritten. Teilweise wird dies in einzelnen Konstellationen befürwortet, so etwa bei vertraglichen oder bereicherungsrechtlichen Rückforderungsansprüchen (, juris Rn. 21, 23; Brünger in Staudinger/Halm/Wendt, Versicherungsrecht 2. Aufl. § 126 VVG Rn. 9), für die Geltendmachung von Ansprüchen aus Leistungskondiktion bis zum Abschluss der Leistungsbearbeitung (Bruck/Möller/Bruns, VVG 9. Aufl. § 126 Rn. 40; ähnlich BK-VVG/Honsell, § 158l Rn. 16), bei einer Auseinandersetzung über Deckungsfragen (van Bühren, EWiR 2018, 623, 624) oder soweit der Aktivprozess im Zusammenhang mit der "Versicherungsleistung" (§ 126 Abs. 2 Satz 1 VVG) steht, d.h. die "Leistungsbearbeitung" (§ 164 Abs. 1 Satz 1 VAG) betrifft (Jungermann, r+s 2019, 15, 17). Die Gegenauffassung lehnt eine analoge Anwendung der Vorschrift auf den Aktivprozess ab (OLG Karlsruhe NJW-RR 2021, 488 Rn. 31 zur Klage gegen den Rechtsanwalt auf Rückforderung nicht verbrauchter Vorschusszahlungen; OLG Jena AnwBl 2020, 44 [juris Rn. 43 f.] zu einem nach § 86 Abs. 1 VVG auf den Versicherer übergegangenen Schadensersatzanspruch gegen den Rechtsanwalt; LG Gera, Urteil vom - 6 O 581/17, BeckRS 2020, 12365 Rn. 44; AG Hannover r+s 2019, 15; Zöller/Althammer, ZPO 34. Aufl. vor § 50 Rn. 28; BeckOK-VAG/Eberhardt, § 164 Rn. 10 [Stand: ]; BeckOK-VVG/Filthuth, § 126 Rn. 15a [Stand: ]; Prölss/Martin/Piontek, VVG 31. Aufl. § 126 Rn. 7; MünchKomm-VVG/Richter, 2. Aufl. § 126 Rn. 9; BeckOK-StVR/Tibbe, § 126 VVG Rn. 11 f. [Stand: ]; Bayr, jurisPR-VersR 20/2017 Anm. 5 unter C; Dallwig, jurisPR-VersR 11/2021 Anm. 1 unter C I).
12bb) Die zweitgenannte Ansicht trifft jedenfalls für den hier geltend gemachten Anspruch zu. Eine analoge Anwendung des § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG mit der Folge einer aktiven gesetzlichen Prozessstandschaft des Schadensabwicklungsunternehmens scheidet daher vorliegend aus.
13(1) Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. Die Lücke muss sich also aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem - dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zugrundeliegenden - Regelungsplan ergeben (Senatsurteil vom - IV ZR 97/15, NJW-RR 2017, 1416 Rn. 22; , MDR 2017, 329 [juris Rn. 32]; jeweils m.w.N.; st. Rspr).
14(2) Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber, wenn er den vorliegenden Fall bedacht hätte, für diesen eine aktive Prozessführungsbefugnis des Schadensabwicklungsunternehmens angeordnet hätte.
15(a) Die Einführung des § 126 VVG n.F./§ 158l VVG (in der Fassung bis ; nachfolgend a.F.) beruht auf der gesetzgeberischen Aufhebung des strengen deutschen Spartentrennungsgebotes durch § 164 Abs. 1 Satz 1 VAG n.F./§ 8a Abs. 1 Satz 1 VAG (in der Fassung bis ; nachfolgend a.F.) in Umsetzung der Richtlinie 87/344/EWG des Rates vom zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung (ABl. EG Nr. L 185 S. 77; nachfolgend Richtlinie 87/344/EWG; vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 243/17, VersR 2018, 1119 Rn. 20). Jene Richtlinie ist mittlerweile in der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit ("Solvabilität II"; ABl. EU Nr. L 335 S. 1; nachfolgend Solvabilität II Richtlinie) aufgegangen (vgl. Prölss/Dreher/Präve, VAG 13. Aufl. § 164 Rn. 3).
16(b) Der Sinn und Zweck der Regelung des § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG besteht in der Vermeidung von Interessenkollisionen bei einem Kompositversicherer, der zusammen mit der Rechtsschutzversicherung noch andere Versicherungssparten betreibt. Diese Gefahr einer Interessenkollision kann insbesondere in den Fällen bestehen, in denen der Rechtsschutzversicherer eines Geschädigten zugleich Haftpflichtversicherer des Gegners ist und Rechtsschutz gegen den Haftpflichtversicherer erforderlich wird (vgl. , VersR 2018, 1119 Rn. 21; vom - IV ZR 34/16, VersR 2016, 1593 Rn. 10). Der Rechtsschutzversicherte könnte sich in einem solchen Fall gezwungen sehen, zur Darstellung von Grund und Höhe seiner Ansprüche auf Versicherungsschutz Tatsachen vorzutragen, die sich der Kompositversicherer als gleichzeitiger Haftpflichtversicherer zu eigenem Vorteil zunutze machen könnte (vgl. BT-Drucks. 11/6341, S. 37 li. Sp. zu § 158l VVG a.F.). Darüber hinaus können sich Interessenkollisionen daraus ergeben, dass der Versicherer dem Rechtsschutzversicherten auch in einer anderen Versicherungssparte Versicherungsschutz gewährt (vgl. BT-Drucks. 11/6341, S. 36 re. Sp.; Erwägungsgrund 4 zur Richtlinie 87/344/EWG; Erwägungsgrund 82 zur Solvabilität II Richtlinie). Um derartige Interessenkollisionen von vornherein zu vermeiden, hat der Gesetzgeber die Einschaltung eines selbständigen Schadensabwicklungsunternehmens vorgesehen (Senatsurteil vom aaO m.w.N.; vgl. auch BT-Drucks. 11/6341, S. 37 li. Sp.). Darüber hinaus hat der Gesetzgeber aufsichtsrechtlich einerseits dem Kompositversicherer untersagt, dem Schadensabwicklungsunternehmen Weisungen bezüglich der Bearbeitung einzelner Versicherungsfälle zu erteilen (§ 164 Abs. 4 Satz 1 VAG), andererseits darf das Schadensabwicklungsunternehmen dem Versicherer keine Angaben machen, die zu Interessenkollisionen zum Nachteil des Versicherten führen können (§ 164 Abs. 4 Satz 2 VAG; vgl. Senatsurteil vom aaO m.w.N.).
17(c) Die Gesetzesmaterialien bieten keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber die Frage, ob es zur Vermeidung solcher Interessenkollisionen in bestimmten Fällen - etwa bei der Rückforderung zuviel gezahlter Vorschüsse - einer aktiven Prozessstandschaft des Schadensabwicklungsunternehmens bedarf, in den Blick genommen hätte. Vielmehr nimmt die Gesetzesbegründung nur Bezug auf "Ansprüche … gegen den Kompositversicherer" und einen "Rechtsstreit gegen das Schadenabwicklungsbüro" (vgl. BT-Drucks. 11/6341, S. 37 li. Sp.), ohne Aktivprozesse zu erwähnen.
18(d) Es kann auch nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber für den hier geltend gemachten Anspruch eine aktive gesetzliche Prozessstandschaft des Schadensabwicklungsunternehmens angeordnet hätte. Denn es besteht keine vergleichbare Gefahr von Interessenkollisionen.
19Der hier geltend gemachte Anspruch resultiert nicht etwa aus dem Wegfall des rechtlichen Grundes für die Zahlung des Vorschusses (§ 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB), denn der Freispruch des Beklagten führte nicht zum Wegfall des Anspruchs auf die Versicherungsleistung. Vielmehr folgt er daraus, dass die Staatskasse den Anspruch des Beklagten auf Erstattung seiner notwendigen Auslagen (§ 467 Abs. 1 StPO) diesem gegenüber erfüllt hat, obwohl der Anspruch in Höhe von 817,53 € gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf den Versicherer übergegangen war, weil dieser in dieser Höhe den Vorschuss für die Verteidigerkosten getragen hatte. Ob sich dieser - der Sache nach unstreitige - Anspruch im Streitfall aus einer dem § 17 Abs. 9 Satz 3 ARB 2010 entsprechenden vertraglichen Regelung oder aus §§ 677, 681 Satz 2, 667 BGB ergibt, kann dahinstehen (vgl. zur Rechtsnatur dieses Anspruchs Prölss/Martin/Armbrüster, VVG 29. Aufl. ARB 2010 § 17 Rn. 71; Harbauer/Schneider, Rechtsschutzversicherung 9. Aufl. § 17 ARB 2010 Rn. 163; zu einem entsprechenden Anspruch gegen den Rechtsanwalt des Versicherungsnehmers vgl. auch , NJW 2019, 3003 Rn. 8 m.w.N.). Sein Bestehen hängt jedenfalls davon ab, dass der Versicherer den Vorschuss getragen hat, der Versicherungsnehmer einen Auslagenerstattungsanspruch gegen die Staatskasse hat - das ergibt sich aus dem freisprechenden Urteil - und die Staatskasse die Auslagen an den Versicherungsnehmer (und nicht an den Versicherer) erstattet hat. Hingegen ist für den Anspruchsübergang und damit auch für das Bestehen des hier geltend gemachten Anspruchs unerheblich, ob ein Anspruch auf die Versicherungsleistung bestand (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 169/20, VersR 2021, 772 Rn. 18 m.w.N.). Da mithin für das Bestehen des Anspruchs ausschließlich äußerlich unschwer feststellbare Umstände eine Rolle spielen, die - anders als die Umstände, die der Versicherungsnehmer offenbaren muss, um Deckung zu erlangen - keinen Bezug zum eigentlichen Inhalt des Versicherungsfalls haben, droht jedenfalls nicht in einem dem gesetzlich geregelten Fall vergleichbaren Maß, dass dem Versicherer durch seine Rechtsverfolgung oder durch die Rechtsverteidigung des Versicherungsnehmers Umstände zur Kenntnis gelangen, die er als Haftpflichtversicherer einer anderen beteiligten Person oder in einem anderen mit dem Versicherungsnehmer bestehenden Versicherungsverhältnis zu Lasten des Versicherungsnehmers verwenden könnte.
20(e) Ein abweichender hypothetischer Regelungswille des Gesetzgebers folgt auch nicht aus seiner Absicht, in Umsetzung der Richtlinie 87/344/EWG eine richtlinienkonforme nationale Regelung zu schaffen. Zwar kann sich eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes daraus ergeben, dass das ausdrücklich angestrebte Ziel einer richtlinienkonformen Umsetzung durch die Regelung nicht erreicht worden ist und ausgeschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber die Regelung in gleicher Weise erlassen hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass sie nicht richtlinienkonform ist (vgl. zum gleichgelagerten Fall der teleologischen Reduktion Senatsurteil vom - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 23 m.w.N.). So liegt der Fall hier aber nicht. Denn entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts erfordern weder die Richtlinie 87/344/EWG noch die nachfolgende Solvabilität II Richtlinie eine aktive Prozessstandschaft des Schadensabwicklungsunternehmens für den hier geltend gemachten Anspruch (a. A. Jungermann, r+s 2019, 15, 16 im Hinblick auf Schadensersatzansprüche gegen den Rechtsanwalt des Versicherungsnehmers).
21(aa) Art. 3 Abs. 2 Richtlinie 87/344/EWG sieht vor, dass die Mitgliedstaaten "alle erforderlichen Maßnahmen" ergreifen, "um sicherzustellen, dass die in ihrem Gebiet ansässigen Unternehmen gemäß der von dem Mitgliedstaat vorgeschriebenen Regelung … wenigstens eine der folgenden Alternativlösungen anwenden". Es folgen drei als gleichwertig geltende Möglichkeiten, wie die Mitgliedstaaten drohenden Interessenkonflikten Rechnung tragen können. Der deutsche Gesetzgeber hat sich für die zweite Möglichkeit (Art. 3 Abs. 2 Buchst. b Richtlinie 87/344/EWG) entschieden (vgl. BT-Drucks. 11/6341, S. 22 li. Sp. zu § 8a VAG a.F.; Bruck/Möller/Bruns, VVG 9. Aufl. § 126 Rn. 2). Danach muss das Unternehmen "die Schadensverwaltung des Zweiges Rechtsschutz einem rechtlich selbständigen Unternehmen übertragen" (vgl. auch Erwägungsgrund 9: "Verwaltung der im Zweig Rechtsschutz anfallenden Schadensfälle"). Dem entspricht Art. 200 Solvabilität II Richtlinie, wonach die Herkunftsmitgliedsstaaten sicherstellen, dass die Versicherungsunternehmen eines der dort genannten Verfahren "für die Verwaltung von Schadensfällen" anwenden (Abs. 1), wobei die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Lösung darin besteht, dass das Versicherungsunternehmen "die Schadensverwaltung des Zweiges Rechtsschutz" einem rechtlich selbständigen Unternehmen überträgt (Abs. 3). Nähere Vorgaben zur Umsetzung, insbesondere im Hinblick auf die hier maßgebliche prozessuale Ausgestaltung, enthalten die Richtlinien nicht.
22(bb) Diesen Vorgaben ist der Gesetzgeber durch die Einführung von § 8a VAG a.F. (entsprechend § 164 VAG n.F.) und § 158l VVG a.F. (entsprechend § 126 VVG n.F.) nachgekommen, ohne dass zusätzlich - über den Wortlaut von § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG hinaus - zur richtlinienkonformen Umsetzung eine analoge Anwendung auf den Streitfall im Sinne einer aktiven Prozessstandschaft für den geltend gemachten Regressanspruch erforderlich wäre.
23Ob die Übertragung der "Schadensverwaltung" im Sinne der Richtlinien zwingend auch die Übernahme der Prozessführung durch das Schadensabwicklungsunternehmen bei der Geltendmachung eines Regressanspruchs umfasst, die der Entscheidung über die Deckung nachgelagert ist, ist im Lichte der durch die Richtlinien verfolgten Ziele zu bestimmen, wie sie sich aus den Erwägungsgründen 4, 9 und 10 zur Richtlinie 87/344/EWG und aus dem Erwägungsgrund 82 zur Solvabilität II Richtlinie ergeben. Demnach dienen die Regelungen der Vermeidung der oben bereits beschriebenen Interessenkollisionen im Interesse der Versicherten. Zu diesem Zweck ist eine aktive gesetzliche Prozessstandschaft des Schadensabwicklungsunternehmens für den hier geltend gemachten Anspruch aber, wie oben ausgeführt, nicht erforderlich.
24(cc) Der Senat hat keine Veranlassung, den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV um eine Vorabentscheidung zu ersuchen. Es liegt ein sogenannter "acte clair" vor, der eine Vorlagepflicht ausschließt (vgl. , Slg. 1982, 3415 Rn. 16; , BGHZ 229, 59 Rn. 22; vom - VI ZR 5/20, VersR 2020, 1267 Rn. 16; jeweils m.w.N.; BVerfG NZG 2013, 464 unter IV 2 a [juris Rn. 28]), denn dass die europarechtlichen Vorgaben im Streitfall eine aktive gesetzliche Prozessstandschaft des Schadensabwicklungsunternehmens nicht erfordern, ist derart offenkundig, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht seine Auffassung, es sei eine analoge Anwendung geboten, unter anderem auf die europarechtlichen Vorgaben gestützt hat. Denn eine eigene Begründung führt das Berufungsgericht insoweit nicht an, sondern zitiert lediglich wörtlich eine Urteilsanmerkung (Jungermann, r+s 2019, 15). Diese betrifft indessen bereits eine andere Fallkonstellation als die vorliegende, nämlich die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen durch das Schadensabwicklungsunternehmen gegen den Rechtsanwalt des Versicherungsnehmers.
25(f) Anders als die Revisionserwiderung meint, ist eine analoge Anwendung des § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG im Streitfall auch nicht deshalb geboten, weil zur "Leistungsbearbeitung" im Sinne des § 164 Abs. 1 Satz 1 VAG auch die (bereicherungsrechtliche) Rückabwicklung bereits erbrachter Versicherungsleistungen gehöre und der Gesetzgeber einen Gleichlauf zwischen Versicherungsvertrags- und Versicherungsaufsichtsrecht, was die Einschaltung eines Schadensabwicklungsunternehmens betrifft, habe schaffen wollen. Zutreffend ist zwar, dass § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG das versicherungsvertragliche Spiegelbild der aufsichtsrechtlich in § 164 Abs. 1 Satz 1 VAG vorgeschriebenen Übertragung der Leistungsbearbeitung auf ein Schadensabwicklungsunternehmen bildet und nicht ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 126 VVG gegenüber dem des § 164 VAG enger fassen wollte (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 243/17, VersR 2018, 1119 Rn. 26). Die aktive Verfolgung des hier geltend gemachten Anspruchs unterfällt aber nicht der nach § 164 Abs. 1 Satz 1 VAG zwingend auf das Schadensabwicklungsunternehmen zu übertragenden "Leistungsbearbeitung". Der Wortsinn erfordert deren Einbeziehung ebenso wenig wie eine europarechtskonforme Auslegung. Der Begriff der "Leistungsbearbeitung" entspricht dem der "Schadensverwaltung" im Sinne von Art. 200 Abs. 3 Solvabilität II Richtlinie und Art. 3 Abs. 2 Buchst. b Richtlinie 87/344/EWG (vgl. BT-Drucks. 11/6341, S. 22 li. Sp.; HK-VAG/Goltz § 164 Rn. 3). Dass der Gesetzgeber oder der Richtliniengeber hierunter - über die Entscheidung über die Gewährung von Leistungen aus der Versicherung hinaus - auch die aktive Verfolgung von Regress- und Schadensersatzansprüchen, insbesondere auch des im Streitfall geltend gemachten Anspruchs, verstanden wissen wollten, liegt vor dem Hintergrund, dass Interessenkollisionen hier kaum zu befürchten sind, fern. Soweit dagegen in der Literatur auch Regress- und Schadensersatzansprüche weitgehend der "Leistungsbearbeitung" unterstellt werden, wenn sie nur im Zusammenhang mit der Versicherungsleistung stehen, und daraus die analoge Anwendung des § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG auf deren aktive Geltendmachung gefolgert wird (vgl. Jungermann, r+s 2019, 15, 16 f.), kehrt dies das durch § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG geschaffene Regel-Ausnahme-Verhältnis um und weitet damit die Grenzen der Analogie in unzulässiger Weise aus (vgl. auch Dallwig, jurisPR-VersR 11/2021 Anm. 1 unter C I).
26Unbeschadet dessen ist der Versicherer aufgrund der Vorgabe in § 164 Abs. 4 Satz 2 VAG aufsichtsrechtlich verpflichtet, die Geltendmachung von Ansprüchen dem Schadensabwicklungsunternehmen im Wege einer gewillkürten Prozessstandschaft, der Stellvertretung oder der Abtretung zu überlassen, soweit er hierfür im konkreten Einzelfall Informationen benötigt, deren Erlangung zu Interessenkollisionen führen kann (so zutreffend BeckOK-VAG/Eberhardt, § 164 Rn. 19 [Stand: ]; Prölss/Martin/Piontek, VVG 31. Aufl. § 126 Rn. 11; BeckOK-StVR/Tibbe, § 126 VVG Rn. 13 [Stand: ]; van Bühren/Plote/Wendt, ARB 3. Aufl. § 126 Rn. 17; wohl auch Harbauer/Schmitt, Rechtsschutzversicherung 9. Aufl. § 126 VVG Rn. 14). Möchte er mit dem Ziel der Vereinfachung und zur größtmöglichen Rechtssicherheit eine Einzelfallprüfung von Interessenkonflikten vermeiden, steht es ihm frei, das Schadensabwicklungsunternehmen - etwa im Funktionsausgliederungsvertrag (vgl. OLG Karlsruhe NJW-RR 2021, 488 Rn. 32 ff.; BeckOK-StVR/Tibbe aaO) - umfassend zu ermächtigen und hierdurch die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft zu schaffen. Im Einklang mit der gesetzlichen Regelung bleibt dann aber die Letztentscheidungskompetenz beim Versicherer, wohingegen diesem im Anwendungsbereich von § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG die Prozessführungsbefugnis von Gesetzes wegen entzogen ist.
27(3) Eine analoge Anwendung des § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG auf den Streitfall lässt sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schließlich nicht damit begründen, dass die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung "entlang der Leistungsbeziehungen" erfolgen müsse. Abgesehen davon, dass der hier geltend gemachte Anspruch - wie zuvor dargestellt - nicht aus einer Leistungskondiktion folgt, besteht - worauf die Revision zu Recht hinweist - im Hinblick auf versicherungsvertragliche und bereicherungsrechtliche Erstattungspflichten eine Leistungsbeziehung nur im Verhältnis zum Versicherer (vgl. , juris Rn. 13; Prölss/Martin/Piontek, VVG 31. Aufl. § 126 Rn. 11; Harbauer/Schmitt, Rechtsschutzversicherung 9. Aufl. § 126 VVG Rn. 14; van Bühren/Plote/Wendt, ARB 3. Aufl. § 126 VVG Rn. 16; vgl. auch Senatsurteil vom - IV ZR 34/16, VersR 2016, 1593 Rn. 11 ff. im Hinblick auf § 4 Nr. 10 Buchst. a UStG), da dieser allein aus dem Versicherungsverhältnis materiell-rechtlich verpflichtet bleibt (vgl. , VersR 2018, 1119 Rn. 31; vom aaO Rn. 10; jeweils m.w.N.). Die Gegenauffassung (Jungermann r+s 2019, 15, 16), der sich das Berufungsgericht angeschlossen hat, vermengt hingegen Fragen der Prozessführungsbefugnis einerseits und der Sachlegitimation andererseits (zur Abgrenzung vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 30).
282. Ob sich die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 561 ZPO), vermag der Senat mangels tatrichterlicher Feststellungen nicht zu entscheiden, weshalb die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 563 Abs. 1 ZPO).
29Das Berufungsgericht hat sich - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - nicht mit der Frage befasst, ob die Klägerin aufgrund gewillkürter Prozessstandschaft prozessführungsbefugt ist. Die Rügen der Berufung gegen die Annahme einer gewillkürten Prozessstandschaft hat es bislang unbehandelt gelassen; dies wird es nachzuholen haben. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung nicht bereits generell in der als Ausgliederung geltenden Übertragung nach § 164 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 VAG die erforderliche Ermächtigung durch den Rechtsinhaber liegt. Wie bereits ausgeführt unterfällt die aktive Verfolgung des hier geltend gemachten Anspruchs nicht der nach § 164 Abs. 1 Satz 1 VAG zwingend auf das Schadensabwicklungsunternehmen zu übertragenden Leistungsbearbeitung. Gleichwohl kann der Funktionsausgliederungsvertrag eine weitergehende Ermächtigung enthalten (vgl. OLG Karlsruhe NJW-RR 2021, 488 Rn. 32 ff.). Diese ist aber im Einzelfall festzustellen. Daran fehlt es bislang.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:301122UIVZR143.21.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2023 S. 177 Nr. 3
WM 2023 S. 1720 Nr. 36
YAAAJ-29807