Instanzenzug: Az: 35 KLs 21/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt; ferner hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich das zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, die sich mit Einzelausführungen gegen den Strafausspruch wendet.
2Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.
I.
31. Nach den Feststellungen befand sich der in den Niederlanden wohnhafte, zur Tatzeit 59 Jahre alte Angeklagte in Geldnot. Vor diesem Hintergrund erklärte er sich Anfang des Jahres 2021 gegenüber einem unbekannt gebliebenen Auftraggeber bereit, Postsendungen mit Betäubungsmitteln über die Grenze nach Deutschland zu transportieren und zum Versand bei verschiedenen Postfilialen aufzugeben. Der Angeklagte traf sich in den verfahrensgegenständlichen Fällen jeweils mit dem unbekannt gebliebenen Haupttäter auf niederländischem Staatsgebiet, erhielt eine Liste mit Postfilialen, die er anfahren sollte, übernahm die versandfertig verpackten Betäubungsmittel und lud diese überwiegend eigenhändig in sein Fahrzeug ein. Anschließend transportierte er sie absprachegemäß über die niederländisch-deutsche Grenze und gab sie bei verschiedenen Postfilialen in Dortmund, Essen, Düsseldorf und Duisburg zum Versand an die Abnehmer auf. Dabei hielt er für möglich und nahm billigend in Kauf, dass sich in den Postsendungen verschiedene Arten und erhebliche Mengen von Betäubungsmitteln befanden, die zuvor verkauft worden waren und nun an die Besteller ausgeliefert werden sollten. Als Entlohnung erhielt er einen Kurierlohn in Höhe von jeweils 200 €. Im Einzelnen:
4a) Am führte der Angeklagte mit seinem Kraftfahrzeug insgesamt 22 Paket- und Briefsendungen mit verschiedenen Betäubungsmitteln über die Grenze nach Deutschland ein und gab sie in Dortmund zur Absendung auf; die Sendungen enthielten unter anderem rund 2,2 Kilogramm Amphetamin, 11,58 Gramm Crystal Meth, 3,06 Gramm Heroin und 10 Gramm Kokain (Tat II.1). Am transportierte der Angeklagte mindestens eineinhalb Kilogramm Amphetamin aus den Niederlanden nach Deutschland und gab die in 16 Sendungen verpackten Betäubungsmittel in Dortmund zum Versand an die Abnehmer auf (Tat II.2). Am führte der Angeklagte aus den Niederlanden versandfertige Postsendungen mit insgesamt mehr als elf Kilogramm Amphetamin aus den Niederlanden nach Deutschland ein und gab sie in einer Postfiliale in Essen auf; die Betäubungsmittel konnten überwiegend von den Ermittlungsbehörden abgefangen und sichergestellt werden (Tat II.3). Am und am führte der Angeklagte mehrere Postsendungen mit insgesamt 1.533 Gramm Amphetamin (Tat II.4) sowie mindestens 1.000 Gramm Amphetamin (Tat II.5) nach Deutschland ein und gab sie in Düsseldorf bzw. Duisburg auf; den Ermittlungsbehörden gelang es in beiden Fällen, einen Teil der Betäubungsmittel sicherzustellen. Am führte der Angeklagte elf Postsendungen mit insgesamt mindestens 600 Gramm Amphetamin nach Deutschland ein, von denen 500 Gramm sichergestellt werden konnten (Tat II.6). Am transportierte der Angeklagte mindestens 1.200 Gramm Amphetamin (Tat II.7) und am mindestens 1.500 Gramm Amphetamin (Tat II.8) nach Deutschland und gab die Postsendungen in Essen bzw. Dortmund auf. Schließlich führte der Angeklagte am insgesamt 91 Postsendungen mit Betäubungsmitteln nach Deutschland ein, die er in einen Briefkasten in Duisburg einwerfen sollte; noch bevor ihm dies gelang, wurde er einer Polizeikontrolle unterzogen und festgenommen; die mitgeführten Betäubungsmittel – unter anderem mehr als 22 Kilogramm Amphetamin, 127 Gramm MDMA, 3,6 Gramm Kokain, 4,83 Gramm Heroin, 9,67 Gramm Crystal Meth und 56 Gramm Marihuana – konnten sichergestellt werden (Tat II.9).
5b) Das Landgericht hat die Taten rechtlich jeweils als Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen gemäß §§ 30 Abs. 1 Nr. 4, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 StGB gewertet.
62. Im Rahmen der Strafzumessung ist das Landgericht in allen Fällen zur Annahme minder schwerer Fälle der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 2 BtMG) gelangt und hat Einzelstrafen von einem Jahr und sechs Monaten (Tat II.9), einem Jahr und drei Monaten (Tat II.3) sowie jeweils zehn Monaten für die verbleibenden sieben Taten verhängt. Diese Einzelstrafen hat es auf die Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zurückgeführt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
II.
7Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.
81. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Strafausspruch beschränkt.
9Zwar ist der Revisionsantrag - weitergehend - auf die Aufhebung des angegriffenen Urteils insgesamt gerichtet. Eine Auslegung der Revisionsbegründungsschrift unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV ergibt jedoch, dass die Staatsanwaltschaft den Schuldspruch und die Einziehungsentscheidung von ihrem Revisionsangriff ausgenommen hat. In der Revisionsbegründung wird allein der Strafausspruch als rechtsfehlerhaft beanstandet und Einwendungen gegen die Strafrahmenwahl, die Strafzumessungserwägungen im engeren Sinne sowie die Strafhöhe erhoben; Bedenken gegen den Schuldspruch oder die Einziehungsentscheidung werden nicht geltend gemacht. Folglich widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründungsschrift. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Angriffsziel durch Auslegung zu ermitteln (vgl. ‒ 5 StR 313/21, NStZ-RR 2022, 201; Urteil vom ‒ 4 StR 468/14, NStZ-RR 2015, 88). Diese ergibt hier, dass die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision ausschließlich den Strafausspruch angreifen und den Schuldspruch sowie die Einziehungsentscheidung von ihrem Revisionsangriff ausnehmen will. Eine solche auf die Straffrage beschränkte Teilanfechtung des tatgerichtlichen Urteils ist zulässig (vgl. , Rn. 12; Urteil vom ‒ 4 StR 481/16, NStZ-RR 2017, 105, 106) und unter den hier gegebenen Umständen des Einzelfalls auch wirksam. Denn der angefochtene Teil der tatgerichtlichen Entscheidung kann losgelöst von den übrigen Entscheidungsteilen einer rechtlichen Überprüfung unterzogen werden.
102. Die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die Strafrahmenwahl hält hinsichtlich keiner der verfahrensgegenständlichen neun Taten rechtlicher Überprüfung stand; sie weist Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht der Strafzumessung im engeren Sinne den für minder schwere Fälle der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30 Abs. 2 BtMG eröffneten Strafrahmen zugrunde gelegt hat, sind nicht tragfähig.
11a) Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB wird die Strafe bei tateinheitlicher Begehung nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Für die Ermittlung des sonach maßgeblichen Strafrahmens ist ‒ entgegen der Auffassung des Landgerichts ‒ kein abstrakter Strafrahmenvergleich, sondern ein Vergleich der konkret in Betracht kommenden Strafrahmen unter Berücksichtigung von Ausnahmestrafrahmen, etwa dem Vorliegen eines minder schweren oder eines besonders schweren Falls bei dem jeweiligen Delikt geboten (vgl. ‒ 4 StR 136/20 Rn. 6; Beschluss vom – 3 StR 123/03, NStZ 2004, 109; SSW-StGB/Eschelbach, 5. Aufl., § 52 Rn. 76; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 52 Rn. 3).
12An dem erforderlichen konkreten Strafrahmenvergleich fehlt es. Nachdem das Landgericht hinsichtlich der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) einen minder schweren Fall im Sinne des § 30 Abs. 2 BtMG (Strafrahmen: 3 Monate bis 5 Jahre Freiheitsstrafe) angenommen hat, hätte es prüfen müssen, ob es im Hinblick auf das tateinheitlich verwirklichte Delikt der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge von dem nach §§ 27, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG ausgeht, der von drei Monaten bis zu elf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe reicht, oder ob auch insoweit ein minder schwerer Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG anzunehmen ist. Hierzu verhält sich das Urteil nicht. Die Annahme eines minder schweren Falls der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge liegt angesichts des Tatbilds denkbar fern und hätte daher ins Einzelne gehender, nachvollziehbarer Darlegungen bedurft, an denen es hier fehlt.
13Würde ein minder schwerer Fall der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 2 BtMG verneint, wäre der Strafzumessung im engeren Sinne in sämtlichen Fällen der gemäß §§ 27, 49 Abs. 1 StGB gemilderte Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG zugrunde zu legen, weil es sich konkret um das Gesetz handelt, das die schwerste Strafe vorsieht.
14b) Weiterhin hat das Landgericht nicht bedacht, dass der Angeklagte, der die Betäubungsmittel in sämtlichen Fällen in seinem Kraftfahrzeug transportierte, auch des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG schuldig ist. Zwar tritt der Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge als Auffangtatbestand hinter die gleichzeitig verwirklichte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zurück. Jedoch entfaltet bei Gesetzeskonkurrenz das zurücktretende Delikt grundsätzlich eine Sperrwirkung (st. Rspr.; vgl. nur ‒ 3 StR 448/18 Rn. 7). Somit darf bei Anwendung des minder schweren Falles nach § 30 Abs. 2 BtMG die Strafe nicht milder sein als nach dem Strafrahmen der verdrängten Vorschrift des § 29a Abs. 1 BtMG, sofern nicht auch insoweit die Voraussetzungen eines minder schweren Falles nach § 29a Abs. 2 BtMG gegeben sind.
15c) Diese Rechtsfehler bei der Strafrahmenwahl führen zur Aufhebung des Urteils im gesamten Strafausspruch (§ 337 StPO). Auf die weiteren sachlich-rechtlichen Einwendungen der Staatsanwaltschaft gegen die tatgerichtlichen Strafzumessungserwägungen kommt es daher ebenso wenig an wie auf die weitere Frage, ob die verhängten, außergewöhnlich milden Einzelstrafen und die kaum nachvollziehbar milde Gesamtstrafe noch ihre Aufgabe erfüllen, gerechter Schuldausgleich zu sein, oder Anlass zu der Besorgnis geben, dass das Tatgericht Gesichtspunkte der Strafzumessung mit solchen der Strafaussetzung zur Bewährung vermengt und die Bemessung der Strafen so vorgenommen hat, dass deren Vollstreckung noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann (vgl. ‒ 4 StR 5/07, Rn. 8; Urteil vom ‒ 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 321).
16d) Der Senat hebt auch die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine in sich stimmige Entscheidung der Straffrage zu ermöglichen.
III.
17Das Revisionsvorbringen gibt Anlass zu folgenden Hinweisen:
18Es begegnet ‒ entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft ‒ keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht den Umstand, dass es sich bei Amphetamin um eine Droge mittlerer Gefährlichkeit handelt, nicht strafschärfend berücksichtigt hat. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Amphetamin auf der Gefährlichkeitsskala einen mittleren Platz einnimmt und daher für sich genommen keinen Strafschärfungsgrund darstellt (vgl. ‒ 1 StR 83/22 Rn. 4; Urteil vom ‒ 4 StR 274/17; Beschluss vom ‒ 3 StR 97/17 Rn. 13). Die Strafzumessungserwägungen lassen ‒ entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft ‒ auch nicht besorgen, dass das Landgericht übersehen haben könnte, dass die vom Angeklagten eingeführten Betäubungsmittel nicht in sämtlichen Fällen ‒ sondern nur im Fall II.9 vollständig und in den Fällen II.3 bis 7 teilweise ‒ sichergestellt worden sind.
19Soweit das Landgericht dem „Teilgeständnis“ des Angeklagten, der bestritten hat, vorsätzlich gehandelt und für möglich gehalten zu haben, Drogen zu transportieren, gleichwohl bestimmendes strafmilderndes Gewicht beigemessen hat, hält sich dies noch innerhalb des weiten tatgerichtlichen Wertungsspielraums. Gleiches gilt für die strafmildernde Berücksichtigung des Umstands, dass der Angeklagte sich mit der außergerichtlichen Einziehung der sichergestellten Betäubungsmittel nebst Verpackungsmaterialien einverstanden erklärt hat; das Landgericht hat die Verzichtserklärung ungeachtet der Frage von Wirksamkeit und Bedeutung erkennbar als ein Zeichen der Einsicht und Reue gewertet; hiergegen ist von Rechts wegen nichts zu erinnern, auch wenn eine andere Bewertung möglich gewesen wäre.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:241122U4STR175.22.0
Fundstelle(n):
XAAAJ-29278